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Erste gehörlose Abgeordnete: Wie Heike Heubach den Bundestag umkrempelt

Inklusion im Parlament: Heike Heubach ist die erste taube Abgeordnete in der Geschichte des Deutschen Bundestages. So hat sie die ersten Wochen im Hohen Haus erlebt.

von Kai Doering · 13. Mai 2024
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Heime Heubach

„Bisher hat alles sehr gut geklappt.“ Die neue SPD-Bundestagsabgeordnete Heike Heubach ist sehr zufrieden mit ihrer Premiere im Parlament in Berlin.

Den Moment, in dem sie Geschichte schreibt, erlebt Heike Heubach in einem Büro im fränkischen Fürth. Am 20. März, dem kalendarischen Frühlingsanfang, nimmt die 44-Jährige dort beim bayerischen Landeswahlleiter ihr Bundestagsmandat an. Mit der Unterschrift beginnt nicht nur für Heike Heubach ein neuer Lebensabschnitt als Abgeordnete. Es ist auch eine Premiere in 75 Jahren Bundestagsgeschichte. Heike Heubach ist die erste gehörlose Abgeordnete im Parlament. 

Fünf Tage vor Heike Heubachs historischer Unterschrift hat der bayerische Abgeordnete Uli Grötsch sein Mandat niedergelegt, um erster Polizeibeauftragter des Bundes beim Bundestag zu werden. Als Nachrückerin auf der Landesliste nimmt nun die Frau aus dem Wahlkreis Augsburg-Land und Aichach-Friedberg Grötschs Platz ein. 

„Ich will zeigen, dass auch Taube Abgeordnete sein können“, sagt Heike Heubach selbstbewusst und schiebt hinterher: „Als erstes bin ich Mensch, als zweites Abgeordnete und als drittes Gehörlose.“ Auf ihre Beeinträchtigung will sich die 44-Jährige keinesfalls reduzieren lassen. Die geht sehr wahrscheinlich auf eine Mittelohrentzündung als Säugling zurück. 

Genau weiß man es nicht. „Da meine Eltern schon früh wieder arbeiteten, habe ich als Baby viel Zeit mit meiner Oma verbracht. Sie hat irgendwann herausgefunden, dass ich nicht reagiere, wenn ich angesprochen werde“, erzählt Heubach. 

Die Premiere

Ende März im Bundestag: Heike Heubach erlebt ihre erste Plenarsitzung. Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion begrüßen sie in Gebärdensprache.

Heike Heubach bei ihrer ersten Plenarsitzung

Aufhalten lassen hat sie sich davon nicht. Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau und bekam zwei Töchter. Die jüngere wird in diesem Jahr ihr Abitur machen. Die ältere, die auch Mitglied bei den Jusos ist, studiert in Augsburg Jura. 

Beide wuchsen zweisprachig auf: Mit Heike Heubach und ihrem Mann, der ebenfalls taub ist, kommunizieren sie in Gebärdensprache. 2019 sprach der Vater eines Freundes ihrer Tochter Heike Heubach an, ob sie nicht bei der Kommunalwahl kandidieren wolle. Es war der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Rat von Heubachs Heimatstadt Stadtbergen. 

„Ich musste mich kneifen"

Kurz darauf trat Heike Heubach in die SPD ein, im folgenden Jahr bei der Wahl an – und verpasste den Einzug in den Stadtrat. Doch sie hatte Gefallen an der politischen Arbeit gefunden. 

„Kurz danach bin ich gefragt worden, ob ich nicht für den Bundestag kandidieren möchte“, erzählt sie. „Ich habe damals nicht wirklich damit gerechnet, dass das klappt.“ Am Ende fehlte aber nicht viel und Heubach wäre schon im September 2021 von Platz 24 der Landesliste aus ins Parlament eingezogen. 

Umso herzlicher ist der Empfang in der ersten Fraktionssitzung, an der Heike Heubach im März teilnimmt. „Ich saß da im Otto-Wels-Saal und musste mich erstmal kneifen“, erzählt die neue Abgeordnete. 

Am folgenden Tag darf sie im Sitzungssaal unter der Reichstagskuppel in der ersten Reihe zwischen Fraktionschef Rolf Mützenich und der Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin Katja Mast Platz nehmen. Die Abgeordneten begrüßen sie, indem sie ihre offenen Hände über den Kopf strecken und sie schnell nach links und rechts drehen – der Ausdruck für Applaus in Gebärdensprache.

Heike Heubach:

Ich will zeigen, dass auch Taube Abgeordnete sein können.

Künftig wird Heike Heubach einen festen Sitzplatz im Parlament haben. Simultandolmetschende werden ihr die Reden der anderen Abgeordneten übersetzen. 

Wann sie selbst ihre erste Rede halten wird, steht noch nicht fest. Klar ist aber: Auch sie wird übersetzt werden. Die Abgeordneten werden dann Heubachs Gebärden sehen und die Stimme einer Dolmetschenden hören. „Das wird sich alles noch etwas einspielen müssen, aber bisher hat alles sehr gut geklappt“, erzählt Heubach nach ihrer ersten Bundestagswoche. 

„Bezahlbares Wohnen ist eine zentrale Frage"

Anfang April – Heike Heubach ist gerade in einer Doppelspitze zur Vorsitzenden ihres Ortsvereins gewählt worden – nimmt sie auch an ihrer ersten Ausschusssitzung teil. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. 

„Bezahlbares Wohnen ist eine zentrale Frage unserer Zeit“, sagt sie. „Ich möchte aber auch gerne den Umweltaspekt mit einbeziehen.“ In Mailand hat sie mal den „Bosco Verticale“ gesehen, ein Hochhaus-Ensemble in das mehrere Hundert Bäume und Tausende Pflanzen integriert sind. „Das hat mich sehr beeindruckt.“ 

Zunächst aber muss Heike Heubach erst mal selbst eine Wohnung in Berlin finden. Noch wohnt sie in den Sitzungswochen im Hotel. „Aber auch das wird sich hoffentlich bald ändern.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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