Preiswertes Wohnen: Warum der Staat zum Handeln verpflichtet ist
Thomas Trutschel/photothek.net
Gejammert wird ja immer, aber derzeit ist der Chor der Klagenden besonders laut – und das in Zeiten von nahezu Vollbeschäftigung und kräftig steigender Löhne. Es gibt bei alledem jedoch ein Problem, über das zu klagen, nur allzu berechtigt ist. Es besteht vor allem in Ballungsgebieten und ihren Rändern viel zu wenig preiswerter Wohnraum. Damit sind Wohnungen gemeint, deren Miete 30 Prozent der Einkommen nicht überschreitet.
Der Staat ist zum Handeln verpflichtet
In manchen Städten, z.B. Berlin müssen bereits mehr als die Hälfte der Haushalte mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Miete verwenden. Das verursacht im schlimmsten Fall finanzielle Not und belastet in jedem Fall den Lebensstandard vieler Menschen. Es verhindert den dringend benötigten Zuzug von Fachkräften sowie die Wende zu klimaschonenderen Neubauten und erschwert, Flüchtende unterzubringen. Einige Wohnungssuchende fallen völlig durch das Raster und landen im sozialen Elend. Wohnungsnot ist somit vielleicht das bedrückendste soziale Problem unserer Zeit.
Es mangelt nicht an Vorschlägen, wie diese Misere überwunden werden könnte. Besonders illusionär sind jene, die allein auf Marktentscheidungen vertrauen. Sie übersehen, dass der Immobilienmarkt alles andere als ein perfekter Markt ist, auf dem jeder eine Chance hat. Vielmehr ist er von einem dramatischen Machtgefälle zwischen jenen geprägt, die Immobilien besitzen und solchen, die keine haben. Das erzeugt wirtschaftliche und soziale Verwerfungen. Deshalb ist der Staat zum Handeln verpflichtet.
Zehn Milliarden für sozialen Wohnungsbau
Die meisten Vorschläge haben den Nachteil, dass sie – wie der Abbau von Regulierungsvorschriften – viel Zeit benötigen, um letztendlich zu mehr neuen Bauten zu führen. Das spricht nicht grundsätzlich gegen sie, hilft aber aktuell nicht weiter. Steuerliche Anreize unterstützen bestehende Bauwünsche von Investoren, lösen aber kaum eine Bauwelle aus, wenn ihnen die Zinsen zu hoch sind und ihre Finanzierung nicht steht. Genau dies ist bei vielen derzeit angesichts der harten Geldpolitik der Fall.
Will man vor diesem Hintergrund die Baukonjunktur aus ihrem Tal herausführen, sie vielleicht sogar verstetigen, um die Zyklen von Aufs und Abs zu überwinden, die die notwendige Kapazitätsausweitung der Bauindustrie behindern, muss der Staat selbst handeln. Notwendig wäre ein Programm, das sich über die kommenden fünf bis zehn Jahre erstreckt und nach einer Anlaufphase, in der wegen der derzeit noch zu hohen Inflation der Betrag erst allmählich ansteigt, und in dem Jahr für Jahr etwa zehn Milliarden gezielt für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Durch die langfristige Orientierung und die Konstanz des Betrags, können die Erwartungen der Bauunternehmen auf eine stetige erhöhte Nachfrage nach Bauten gestützt werden. Das wird ihre Bereitschaft stärken, ihre Kapazitäten auszuweiten, so dass in Zukunft ein verstärkter Wohnungsbau ohne massive Preissteigerungen bewältigt werden kann. Abgerufen werden könnten diese Beträge von Kommunen, die am besten über ihren Bedarf an sozialem Wohnungsbau informiert sind.
Finanzierung ist möglich
Es folgt unweigerlich die Frage nach der Finanzierung. Angesichts der zentralen Bedeutung des Wohnungsbaus für die weitere Entwicklung unserer Volkswirtschaft in dieser Umbruchzeit, sollte dessen Finanzierung eine hohe Priorität im Haushalt zugemessen werden. Unter den gegenwärtigen Umständen erhöhter Inflation und Zinsen wäre eine steuerfinanzierte Ausgabenerhöhung der angemessene Weg. Dies würde den Inflationsdruck begrenzen und zugleich keine Kreditkosten entstehen lassen. Der Erhalt des Solidaritätsbeitrags bei der Einkommenssteuer hätte hierfür schon ausgereicht. Viele mittlere bis untere Einkommensbezieher hätten dann ein deutlich besseres Leben durch günstigeren Wohnraum, während der Steuerzuschlag für Besserverdienende für den Einzelnen kaum ins Gewicht fällt. Am Ende profitieren im übrigen auch sie, sofern sie Mieter sind, von der Entspannung auf dem Wohnungsmarkt.
Sollte dieser Weg durch den schwer zu begründenden Widerstand der FDP blockiert sein, bietet sich eine Finanzierung aus dem bei weitem noch nicht ausgeschöpften Wirtschaftsstabilisierungsfonds an. Die geplante Verschuldung würde dadurch nicht erhöht, eine für die FDP symbolträchtige Steuererhöhung aber vermieden. Vorrang vor diesen technischen Details sollte aber das entschlossene Bemühen haben, die akute Wohnungsnot zeitnah lösen zu wollen. Jammern hilft da wenig, es muss schnell gehandelt werden.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.