Meinung

Warum wir eine Quarantänestrategie gegenüber der AfD brauchen

Beim Kampf gegen Rechts reichen Glaubensbekenntnisse für die liberale Demokratie nicht aus. Es braucht einen Strategie- und Politikwechsel. Bei dieser „Quarantänestrategie“ sind wir alle gefragt.

von Marc Saxer · 2. Februar 2024
Demonstration in Hamburg Ende Januar: Beim Kampf gegen Rechts reichen Glaubensbekenntnisse für die liberale Demokratie nicht aus.

Demonstration in Hamburg Ende Januar: Beim Kampf gegen Rechts reichen Glaubensbekenntnisse für die liberale Demokratie nicht aus.

1. Was wir wissen 

Seit Jahren wissen wir, dass weder die Ausgrenzungs- noch die Umarmungsstrategie gegen Rechts funktionieren. Das hat Gründe:

  • Es ist empirisch gut belegt, dass ein Teil der AfD Wähler*innen „echte Nazis“ sind, also geschlossen rechtsextreme Einstellungen haben. Ein anderer Teil wählt die Partei jedoch aus Protest gegen den politischen Mainstream.
     
  • Es ist empirisch gut belegt, dass sowohl Führungspersonal als auch Programmatik der AfD immer rechtsextremer werden, aber für die Wahlentscheidung ihrer Anhänger*innen macht das keinen Unterschied.
     
  • Es ist empirisch gut belegt, dass die mediale Dauerbeschäftigung mit der AfD ihr Aufmerksamkeit und „Salonfähigkeit“ verschafft. Aber auch die Ausgrenzung hilft ihr, weil sie es der Partei erlaubt, sich als einzige Stimme der Aufrechten gegen das „Meinungsdiktat“ der liberalen Eliten zu stilisieren.
     
  • Es ist empirisch gut belegt, dass einige der politischen Positionen der AfD Resonanz bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein finden. Aber die Übernahme dieser Positionen durch andere Parteien zahlt bei Wahlen beim Original ein, nicht bei der Kopie.
     
  • Es ist juristisch gut argumentierbar, dass die AfD die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet und daher verboten werden sollte. Mit Blick auf Donald Trump wissen wir aber, dass die juristische Verfolgung politischer Wettbewerber ihre Wahlchancen noch steigert.

    Es kann also niemand mehr sagen, nicht zu wissen, was die AfD genau ist. Dennoch oder gerade deswegen wird sie gewählt. Wir haben also kein Erkenntnis-, sondern ein Strategie Problem.

    2. Was nicht funktioniert 

    Sowohl Ausgrenzungs- als auch Umarmungsstrategien im Kampf gegen Rechts dürfen als gescheitert gelten:

  • Die Ausgrenzungsstrategie beschränkt sich nicht auf die Parteifunktionär*innen und den harten Kern der Anhänger*innen, sondern will alle Wähler*innen und Sympathisant*innen der AfD verloren geben. Die Rechtsextremen sollen durch Diskursausschlüsse politisch delegitimiert werden; die Partei juristisch durch ein Verbot zum Verschwinden gebracht werden. Aber politisch wird die AfD nicht verschwinden: Als Vertretung des rechtsextremen Teils der Bevölkerung wird sie selbst dann bequem die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, wenn sie auf den harten Kern ihrer Anhänger*innen reduziert ist. Und ein juristisches Verbotsverfahren ist riskant und wird die Partei kurzfristig weiter stärken.  
  • Die Umarmungsstrategie versucht, die Partei zu normalisieren, indem sie sie zunächst auf kommunaler Ebene und dann auf Landesebene in die (Regierungs-) Verantwortung einbindet. Aus anderen Ländern wissen wir doch, dass diese Strategien oft scheitern. Im Gegenteil verändert die rechtsextreme Partei das Land, nicht das Land die Partei.

    3. Was tun?

    Eine erfolgversprechende Strategie muss daher als Ausgangspunkt die unbequeme Wahrheit akzeptieren, dass die AfD bis auf weiteres Teil des deutschen politischen Systems bleiben wird. Es macht jedoch einen riesigen Unterschied, ob sie mit unter 10 Prozent oder mit über 20 Prozent oder sogar 30 Prozent in den Parlamenten vertreten ist, oder sogar in die Regierungsverantwortung gelangt. 

    Ziel muss es also sein, die Wahlergebnisse der AfD zu halbieren, indem die nicht-rechtsextremen Protestwähler*innen zurückgeholt werden.

    Ich schlage daher eine Mischung aus Quarantäne- und Anpacken- Strategie vor. Die AfD Parteifunktionär*innen und der harter Kern ihrer Anhänger*innen sollten am rechten Rand isoliert und dadurch politisch impotent gemacht werden. Zugleich muss der Partei durch das Anpacken der Probleme der Wind aus den Segeln genommen werden. 

    Dafür braucht es in der Tat eine Brandmauer, also ein breites Bündnis aller Demokrat*innen, das verhindert, dass Rechtsextreme an die Schalthebel der Macht gelangen. 

    „Haltung“ allein reicht nicht aus

    „Haltung“ bzw. „Kein Fußbreit nach rechts“, wie von den Ausgrenzungsstrategen ad nauseam gefordert, reichen für sich genommen aber nicht aus. Ganz im Gegenteil braucht es in den demokratischen Debatten über notwendige Reformen wieder mehr Respekt für die Noch-Nicht-Überzeugten. 

    Zudem braucht es echte Kurswechsel auf einigen neuralgischen Politikfeldern. Anders als bei der Umarmungsstrategie geht es jedoch keineswegs um die Übernahme von Programmatik und Sprache der Rechten. Dennoch sind echte Politikwechsel bei den Themen Flucht, Migration und Integration notwendig. Das hartnäckige Weigern, die Probleme anzuerkennen, weil das angeblich die Rechten stärkt, erreicht das exakte Gegenteil. Die AfD wird tatsächlich zur einzigen politischen Alternative für alle, die einen Politikwechsel wollen.

    Eine ähnliche Alternativlosigkeit wurde im Kampf gegen die Corona-Pandemie postuliert; das Thema mobilisiert aber außerhalb des harten Kerns der AfD Unterstützer immer weniger.

    Auf den Politikfeldern Klimaschutz, Ukrainekrieg und Identitätspolitik werden im politischen Mainstream zwar durchaus mehrere Alternativen vertreten. Im politischen Diskurs operieren jedoch viele Intellektuelle mit diskursiver Ausgrenzung von Andersdenkenden. 

    Die AfD will sich als Stimme der Ausgegrenzten stilisieren

    Wer aber jeden, der sich Sorgen um den Industriestandort, die sozialen Kosten des Klimaschutzes oder einen Atomkrieg macht, zum Nazi erklärt, treibt sie diskursiv in die Arme der scheinbar einzigen „Alternative zum Meinungsdiktat“.

    Besonders toxisch wird dieses Muster, wenn sich ein Milieu im Besitz der einzigen Wahrheit wähnt, und politische Entscheidungen zur moralischen Wahl zwischen „richtig und falsch“ stilisiert. Dieses „Wir Guten gegen Die Bösen“-Stammesdenken erlaubt es der AfD, sich als einzige Stimme der Ausgegrenzten zu stilisieren.

    Besonders auf den Politikfeldern Klimaschutz und Identitätspolitik versucht ein Milieu, mit staatlichen Verboten Verhaltensänderungen der Anderslebenden oder durch soziale Ächtung Sprechver-/gebote für die Anderssprechenden durchzusetzen. Dieser Mangel an Respekt für die Werte und Lebensweisen anderer Milieus führt zu Kulturkämpfen, die die Rechten im Zweifel gewinnen.

    Wir müssen die Quellen der Unterstützung für die AfD trocken legen

    Kurzum, die Quarantänestrategie muss mehr sein, als eine diskursive Brandmauer gegen Rechts. Sie muss die Quellen der Unterstützung für die AfD trocken legen, indem sie eigene Fehler korrigiert:

  • Auftrag an die Politik: Dort, wo Politik sich gegen den Willen breiter Mehrheiten als alternativlos stilisiert, müssen substantielle Politikwechsel vollzogen werden (wie das gelingen kann zeigt Dänemark). Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, die aktuellen Großdemonstrationen gegen Rechts als Freischein für ein Weiter-So zu verstehen. Statt mit ideologisch motivierten Eingriffen in die Lebensweise eine breite Abwehrfront zu provozieren, muss demokratische Politik um breite milieuübergreifende Mehrheiten werben, die es braucht um die den Umbau von Staat und Wirtschaft gegen die Widerstände der Status Quo Kräfte durchzusetzen
     
  • Auftrag an die Intellektuellen: Statt Politik zu Moralfragen zu stilisieren, bei denen es nur eine richtige Meinung geben darf, muss demokratische Politik immer als Abwägung widersprechender Ziele und Interessen aller Milieus diskutiert werden. Statt Meinungsfreiheit als „rechts“ zu framen, braucht es eine offenere Streitkultur. Die großen Herausforderungen, vor denen Politik und Gesellschaft stehen, müssen in die historischen Umbrüche der Weltordnung und Weltwirtschaft eingeordnet werden, um sie versteh- und nachvollziehbar zu machen. 
     
  • Auftrag an soziale Bewegungen: Statt mit Kulturkämpfen andere Milieus umerziehen zu wollen, braucht es Respekt für Lebensweisen aller Menschen. Statt Stammesdenken braucht es gesellschaftlichen Zusammenhalt. Statt Disruption ohne Rücksicht auf die sozialen Kosten braucht es Solidarität mit den Verlieren des Wandels. Statt Weltuntergangsszenarien braucht es positive Zukunftsvisionen.
Autor*in
Marc Saxer

ist Mitglied der SPD Grundwertekommission. Sein Buch ‚Transformativer Realismus. Zur Überwindung der Systemkrise‘ ist 2021 im Dietz Verlag erschienen.

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