Soziale Politik

Neoliberale Mogelpackung: Warum sich die Wähler*innen der AfD selbst schaden

Beim Sozialstaat sparen, Vermögende entlasten und gegen die Anhebung beim Mindestlohn stimmen – der Ökonom Marcel Fratzscher erklärt, wer unter einer AfD-Politik am meisten leiden würde.

von Vera Rosigkeit · 18. Januar 2024
Demonstration gegen die AfD

Bei einer Demonstration in Köln gegen Rechts am 16. Januar 2024

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), nennt es ein bemerkenswertes Paradox. Der Ökonom weist in einem Bericht seines Instituts darauf hin, das Menschen, die die AfD unterstützen, auch am stärksten unter der AfD-Politik leiden würden. Und das in Bezug auf fast jeden Politikbereich. 

Fratzscher stützt sich in seinem Beitrag „Das AfD-Paradox: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen“ auf Studien über die Lebensverhältnisse von AfD-Unterstützer*innen. Danach spricht die AfD überwiegend Männer zwischen 35- und 59 Jahren in Orten mit weniger als 5000 – 25.000 Einwohnern an. 

Eine Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung kommt bezüglich der Sozialstruktur zu dem Schluss, dass die AfD im Westen vor allen dort punktet, wo Wähler*innen ein unterdurchschnittliches Haushaltsaufkommen aufweisen und im Osten in ländlichen Regionen stark ist, die unter Abwanderung leiden und ökonomisch abgehängt zu werden drohen. Zudem weisen sie ein höheres Unzufriedenheitsniveau auf. 

AfD: extrem neoliberal

Bemerkenswert für Fratzscher ist, dass sich die AfD „noch stärker und umfassender für eine marktorientierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ausspricht als die FDP – obwohl die beiden Parteien recht unterschiedliche Wählerklientele haben“. Die Politik der AfD stehe für eine „extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik“, so Fratzscher. 

Das heißt konkret, dass sie sich für Steuersenkungen, zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer und gegen Steuererhöhungen einsetze, wie beispielweise für eine Besteuerung großer Vermögen. Den Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener*innen wolle sie ganz abschaffen. In der Wirtschaftspolitik wolle die AfD „die Rolle des Staates beschneiden und die Macht des Marktes vergrößern“, so Fratzscher. 

Hinzu kommen Einschnitte bei Sozialleistungen. Laut aktuellen Forderungen wolle die AfD das Bürgergeld auf sechs Monate begrenzen und Langzeitarbeitslose zu Bürgerarbeit zwangsverpflichten. Gleichzeitig spreche sich die AfD gegen eine Stärkung der Rechte von Mieter*innen aus und hat 2021 gegen die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro gestimmt. 

„Steuersenkungen für die Spitzenverdiener*innen, niedrigere Löhne für Geringverdiener*innen und eine Beschneidung der Sozialsysteme würden AfD-Wähler*innen viel stärker negativ treffen als die Wähler*innen der meisten anderen Parteien“, betont Fratzscher. „Die Widersprüche zwischen den Interessen der AfD-Wähler*innen und den Positionen der AfD könnten kaum größer sein.“

AfD-Wähler*innen am meisten betroffen

Antworten auf die Frage, warum Bürger*innen die Politik einer Partei unterstützen, die dem eigenen Wohlergehen und Interessen zuwiderläuft, gibt Fratzscher in seinem Beitrag ebenfalls, wenn er von individuellen und kollektiven Fehleinschätzungen spricht. Durch die Hetze gegen Ausländer*innen und Menschen mit Migrationsgeschichte schaffe es die AfD, „den eigenen Unterstützer*innen einzureden, sie würden wirtschaftlich, sozial und politisch gewinnen, wenn soziale Leistungen oder Grundrechte für diese Gruppen eingeschränkt würden“.

Eine individuelle Fehleinschätzung liege darin, dass „AfD-Wähler*innen nicht realisieren, dass eine Politik der Diskriminierung und Ausgrenzung sie selbst stark negativ betreffen würde“. Denn gerade sie wären von Arbeitsplatzverlusten, einer schlechteren Infrastruktur und weniger Leistungen oder von Steuersenkungen für Spitzenverdiener*innen negativ betroffen.

 „Die AfD-Ideologie und -Politik – den Staat in der Wirtschafts- und Steuerpolitik zu reduzieren, die Sozialsysteme zu beschneiden, Chancen und Teilhabe von marginalisierten Gruppen in der Demokratie weiter zu beschränken, die Globalisierung und den Klimaschutz zurückzudrehen – würde nicht nur Deutschland, sondern in erster Linie den AfD-Wähler*innen schaden und sie weiter marginalisieren“, resümiert Fratzscher.

In seinen Analysen zur AfD-Politik stützt sich Fratzscher auf Fragen und die Antworten der Parteien aus dem Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2021 von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Autor*in
Avatar
Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

Weitere interessante Rubriken entdecken

4 Kommentare

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Fr., 19.01.2024 - 11:13

Permalink

Die AfD-Wähler sind nicht egoistisch und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Es geht bei der Wahl um nicht weniger als um die Rettung Deutschlands. Wenn die Ampel so weiter macht, ist das Land bald völlig ruiniert. Deshalb ist ein Kurswechsel der Politk im Moment wichtiger als, als das jeder ein paar mehr Euro in der Tasche hat.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 19.01.2024 - 11:57

Permalink

nachgerade geadelt. Merkt denn niemand, dass solche Begrifflichkeiten den Nimbus dieser Partei als Nationalsozialistisch, Faschistisch usw verwässert bzw gar inhaltlich in Frage stellt? Je mehr aus dem -insoweit- noch unverdächtigen Vokabular im Kontext der AfD verwandt wird, desto mehr gerät der eigentliche Charakter, der dieser Partei sonst doch zugeschrieben wird, in den Hintergrund. Ist es am Ende sogar so, dass die Partei die ihr sonst zugeschriebenen Merkmale gar nicht oder nicht in der entsprechenden Tiefe und Verbreitung aufweist?
man mag zu dem Schluss kommen, wenn sie denn neoliberal ist- das sind andere ja auch, und mit einer dieser anderen sind wir sogar in Koalitionen verbunden.
Ich finde

Gespeichert von Elias Hallmoser (nicht überprüft) am Fr., 19.01.2024 - 12:51

Permalink

wenn die AfD eine alleinige absolute Mehrheit im Bundestag als auch in den Landtagen [und der Bundesrat damit kein Widerstand wäre] erränge. Darüber braucht ein Wähler der AfD sich also gar nicht den Kopf zu zerbrechen. Und dadurch ist es kein Argument, anstelle dessen Grüne, Linke, BSW, SPD, FDP, FW, CDU oder CSU zu wählen.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 23.01.2024 - 09:30

Permalink

Das ist ja eine Erkenntnis: Die afd ist neoliberal. Nun frage ich mich was für eine Wirtschaftspolitik die SPD mit ihren Koalitionspartnern macht ? Eine Neoliberale ! Auch Marcel Fratzscher, der Superökonom propagiert Neoliberaliismus mit ein paar einsprengseln von Keynes. Da wird über den Fachkräftemagel gejammert, aber diese Regierung hat nichts be4sseres zu tun als Mittel für Umschulung, Weiterbildung etc. zu streichen ?!? Das ist nur 1 Beispiel - jaja der böse Koalitionspartner ist Schuld. Liebr vorwärts; deine Aufgabe wäre us den Mitglieder:::innen der SPD Argumente zuliefern warum die SPD eine bessere Politik liefert, aber daran hapert es.