Meinung

Wahltag in den USA: Wie bis zur letzten Minute Wahlkampf gemacht wird

Harris oder Trump: Der 5. November ist der Tag der Entscheidung in den USA. Doch noch immer wissen viele Wähler*innen nicht, wem sie ihre Stimme geben werden. Wahlkampf lohnt sich deshalb bis zur letzten Minute, wie unser Autor Karsten Wenzlaff festgestellt hat.

von Karsten Wenzlaff · 5. November 2024
Wahlkämpfer*innen in West Virginia: Viele Wähler*innen entscheiden sich erst in letzter Minute.

Wahlkämpfer*innen in West Virginia: Viele Wähler*innen entscheiden sich erst in letzter Minute.

Der 5. November 2024 – die Wahlen in den USA beginnen heute. Am Sonntag war ich unterwegs beim „Canvassing“ – was bedeutet, an den Haustüren zu klingeln, um die Wähler*innen zu fragen, wie sie abstimmen werden. Für die Kampagnen von Harris und Trump ist „Canvassing“ das wichtigste Mittel, um auf den letzten Metern Wähler*innen von sich zu überzeugen. Die Harris-Kampagne gab an, dass in den vergangenen Wochen mehr als 90.000 Freiwillige an mehr als eine Million Türen geklopft haben.

An der Haustür der Wähler*innen

Um den Überblick zu behalten, habe ich die App „MiniVan“ benutzt. Von der örtlichen Wahlkampfleitung erhielt ich eine Liste mit 20 Haushalten in Rochester, New Hampshire, wo ich die Tage vor der Wahl verbringe. In den 20 Haushalten leben etwa 30 bis 40 Wähler*innen. In der App sind die Adressen angegeben, aber auch, ob die Wähler*innen schon einmal kontaktiert wurden.

Am Sonntag waren natürlich viele Wähler*innen zu Hause. An den Haustüren fragte ich sie: Gehen Sie zur Wahl? Falls ja, wen werden Sie wählen? Die Antworten gab ich dann in die App ein – dadurch hat die Kampagnen in Echtzeit einen Überblick darüber, wie die die Stimmung vor Ort ist, wo noch Wahlwerbung geschaltet werden muss, und vor allem, welche Wähler*innen am Wahltag kontaktiert werden sollten, um sie ans Wählen zu erinnern.

Abgeschreckt von Trumps Lügen

Dabei traf ich einen Wähler, der tatsächlich noch nicht sagen konnte, wie er abstimmen wird. Er war in der Datenbank der App als „Independent“ registriert, d.h. dass er bei den Vorwahlen nicht auf die Republikaner oder oder die Demokraten festgelegt war. Er sagte mir, dass er eigentlich immer die Republikaner gewählt habe, diesmal aber wohl den Demokraten seine Stimme geben werde – weil Trump einen „foul mouth“ habe, also lüge und Schimpfwörter verwende.

Canvassing in den USA

Ähnliches ist mir relativ häufig passiert – gerade ältere Amerikaner*innen, die eigentlich konservativ wählen, sagten mir, dass sie nicht damit einverstanden sind, wie sich Trump über andere Menschen äußert.

Ein paarmal stand ich vor der Tür, klingelte, und Wähler*innen mittleren Alters öffneten. Als ich sagte, dass ich für die Harris-Kampagne unterwegs bin, wurde mir fast immer gesagt, dass ihre Stimme schon feststehe, und zwar für Harris. Sie sagten mir, sie werden nicht nur beim „top of the ballot“, also der Präsidentschaftswahl Harris wählen, sondern auch die Demokraten in den zahlreichen anderen Wahlen, die heute stattfinden.

Negative Werbung kann nach hinten losgehen

Auch junge Wähler*innen habe ich getroffen. Obwohl er nicht auf meiner Liste der Haushalte stand, die ich aufsuchen sollte, kam ein junger Mann aus einem Haus heraus und sprach mich an. Wegen seiner Jacke mit der USA-Flagge nahm ich an, dass er für Trump stimmen würde. Er sagte mir, eigentlich würde er für Trump stimmen, so wie viele junge Männer, die keinen College-Abschluss haben, auch. Dann aber ergänzte er, dass er sich seine Entscheidung noch überlege, denn ein Freund von ihm kandidiere für die Demokraten vor Ort und die Republikaner würden absurde Geschichten über ihn verbreiten.

Diese „Attack Ads“, also Werbung, die den politischen Gegner in ein schlechtes Licht rückt, finden sich überall – im Fernsehen, bei Social Media und auf den vielen Flyern, die täglich per Post bei den Wähler*innen landen. Auch die Demokraten nutzen „negative campaigning“, um zum Beispiel hier vor Ort die Wähler*innen zu überzeugen, dass die republikanische Gouverneurskandidatin, eine frühere US-Senatorin, sich früher gegen, und jetzt für Trump ausspricht.

Ob negative Wahlwerbung funktioniert, ist schwer einzuschätzen. Von Wahlforscher*innen wird argumentiert, dass die negative Wahlwerbung vor allem dazu dienen kann, die eigenen Anhänger*innen zu mobilisieren. Gleichzeitig kann sie aber genau die Wähler*innen abschrecken, die noch unentschlossen sind. Als ich an den Türen klingelte, hörte ich von einigen Wähler*innen, dass sie sich nur noch wünschten, dass der Wahlkampf endlich vorbei ist, weil sie keine Lust mehr hätten, sich mit den Vorwürfen der einen oder der anderen Seite auseinanderzusetzen.

Für viele ist der 5. November ein normaler Arbeitstag

Als ich an allen Haustüren geklingelt hatte, fuhr ich mit dem Auto wieder zurück zum Local Office der Demokraten. Ich hatte alle 20 vorgesehenen Haushalte angefahren. Dabei sind mir vier Trump-Wähler*innen begegnet und acht Harris-Wähler*innen. Alle anderen waren noch unentschlossen oder nicht zu Hause. Bei jedem Haus, bei dem ich niemanden erreicht habe, habe ich ein kleines Türschild aus Papier an den Türgriff gehängt, auf dem die Wähler*innen erinnert werden, zur Wahl zu gehen.

Mein Eindruck ist, dass die meisten Amerikaner*innen sehr genau wissen, dass heute ein wichtiger Tag ist. Aber für viele ist er auch ein normaler Arbeitstag, manche fangen mit der Arbeit an, bevor die Wahllokale öffnen, und hören erst auf, nachdem die Wahlen geschlossen sind. Wenn der Chef oder die Chefin nett ist, dann erlaubt er bzw. sie ihnen, für 20 Minuten eine Pause zu machen, um wählen zu gehen.

Ich werde mich heute mit Schildern in die Nähe der Wahllokale stellen. Denn die letzten Unentschlossen machen ihre Entscheidung eventuell davon abhängig, wieviele Personen vor dem Wahllokal stehen, um Plakate hochzuhalten. Sind es mehr Trump-Plakate, dann wählen sie Trump, sind es mehr Harris-Plakate, dann wählen sie Harris.

Die Gerichte könnten am Ende die Wahl entscheiden

Die Harris-Kampagne hat die Daten, die ich nach meiner Haustür-Tour eingegeben habe, bereits ausgewertet. David Plouffe, einer der Architekten der datengetriebenen Kampagne von Obama und ein wichtiger Berater für Kamala Harris, sagte am Montag im Fernsehen, dass seine Daten ihm zeigten, dass Kamala Harris alle Swing-States gewinnen und damit auch die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden könnte. 

Heute Abend werde ich, wie viele andere auch, vor dem Fernseher sitzen und hoffen, dass die Wahlen ohne größere Zwischenfälle durchgeführt werden können. Schon jetzt ist diese US-Wahl diejenige, welche die meisten Gerichte beschäftigte – obwohl das Auszählen noch nicht mal begonnen hat.

Vielleicht wird diese Wahl also nicht durch den persönlichen Kontakt vor Ort, durch Schilder im Garten oder durch die Kampagnen-App entschieden, sondern am Ende entscheiden die Gerichte. 

Davon sind wir, zum Glück, in Deutschland noch weit entfernt. Aber ich konnte in den vergangenen Tagen viel lernen, wie der persönliche Kontakt zwischen den Unterstützer*innen und den Wähler*innen auf digitale Weise organisiert und ausgewertet werden kann. Deshalb bin ich mir sicher, dass es auch in Deutschland bei den Wahlkämpfen zunehmend wichtiger wird, die Kraft und Zeit der Mitglieder in den Parteien möglichst effizient einzusetzen.

Autor*in
Karsten Wenzlaff

war Online-Redakteur bei vorwaerts.de und Social-Media-Manager im vorwärts-Verlag.

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