Kultur

„Die Vielen“: Wie Deutschlands Kulturbetrieb gegen den Rechtsruck kämpft

Der deutsche Kulturbetrieb steht zunehmend unter Druck von Rechtsaußen. Die Kommunalwahlen am kommenden Wochenende könnten diesen noch verstärken. Der Verein DIE VIELEN wehrt sich und startet an diesem Montag eine Aktionswoche.

von Finn Lyko · 3. Juni 2024
Ein Schutzschild für die Kultur: Am Hamburger Kulturzentrum Kampnagel startete der Verein DIE VIELEN im Herbst 2023 seine Aktion SHIELD & SHINE.

Ein Schutzschild für die Kultur: Am Hamburger Kulturzentrum Kampnagel startete der Verein DIE VIELEN im Herbst 2023 seine Aktion SHIELD & SHINE.

„Wir kämpfen im Kulturbetrieb so erfolgreich wie Don Quichote gegen die Windmühlen.“ Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, blickt besorgt in die Zukunft. Die Krisen der vergangenen Jahre haben ihre Spuren hinterlassen, und nun wird gewählt. Prognose: Rechtsruck.

Gerade für den Kulturbetrieb habe ein solcher Rechtsruck selbst auf kommunaler Ebene bereits gravierende Folgen. „Die meiste Kulturförderung passiert auf der Kommunalebene, die meisten Kulturorte sind in kommunaler Verantwortung“, erklärt er. An vielen Stellen sei man also direkt von der Kommunalpolitik abhängig, in kleinen Regionen stärker als in größeren. Daher träfen viele in diesem Wahljahr bereits Vorkehrungen für den „schlimmsten anzunehmenden Unfall“. 

Demokratische Schutzschirme: „Schützen und Glänzen“

Zu solchen Vorkehrungen gehört auch die Reaktivierung alter Bündnisse wie DIE VIELEN. Mit dem selbsterklärten Ziel, „Kommunikation und Handlungsmöglichkeiten unter Künstler*innen, Ensembles und Akteur*innen der (…) Künste zu stärken“, wurde der Verein 2017 als Bündnis verschiedener Kulturinstitutionen gegründet. Auch damals ging es bereits um Solidarität untereinander und Schutz vor Bedrohungen durch rechte Akteurinnen und Akteure, außerdem gab es gemeinsame Aktionen gegen Hass und Hetze – stets erkennbar am Markenzeichen der VIELEN, der Goldfolie. Die Hauptanliegen des Vereins: eine stärkere Vernetzung des deutschen Kulturbetriebs untereinander und das Eintreten für eine gleichberechtigte und offene Gesellschaft.

Diese Anliegen von 2017 erhalten im Angesicht des aktuellen Rechtsrucks umso mehr Aktualität und Dringlichkeit. Auch DIE VIELEN haben das erkannt, und eine neue Kampagne ins Leben gerufen. Unter dem Titel „SHIELD & SHINE“ (auf Deutsch etwa „Schützen und Glänzen“) will der Verein nach eigenen Angaben lokal, regional und bundesweit „demokratische Schutzschirme“ aufspannen und sich gegen „die Normalisierung rechtsextremer Politik in den demokratischen Parlamenten“ starkmachen. Anfang April hatten sich bereits 300 Kulturinstitutionen dem Kampagnenaufruf von SHIELD & SHINE angeschlossen, seitdem dürften es noch mehr geworden sein.

Zu wissen, man ist nicht alleine

Auch der Deutsche Kulturrat unterstützt die Kampagne. Olaf Zimmermann ist froh darüber, dass DIE VIELEN reaktiviert wurden. Er hofft, dass aus dem Verein nun eine kleine Bewegung werde, meint er. „Der Kulturbereich weiß natürlich auch, dass er nicht unbedingt ‚die Vielen‘ ist. Das ist eine sehr positive Frechheit“, lacht Zimmermann. Aber solche „Beistandsorganisationen“, wie er sie nennt, seien gerade in der heutigen Zeit enorm wichtig. Für viele Institutionen und Kulturschaffende sei Zusammenhalt in diesen Zeiten existenziell. „Es geht darum, dass die Leute sich gegenseitig unterstützen und man weiß, dass man nicht alleine ist“, sagt Olaf Zimmermann. 

Denn direkte Konfrontationen des Kulturbetriebs mit rechten Akteurinnen und Akteuren nehmen zu. Es gebe „eine kulturelle Elite“ in der rechten Szene, die genau wisse, wie wichtig Kultur sei und wie sie sie „ködern“ könne. „Wir reden nicht über tumbe Rechtsextremisten, sondern über gebildete Leute, die einer ganz furchtbaren Ideologie nachhängen – und deshalb auch viel gefährlicher sind“, warnt er.

Große Herausforderung: Mit Rechten reden

Sollten diese „gebildeten Leute“ nun an Macht hinzugewinnen, stünde der Kulturbetrieb vor nie dagewesenen Herausforderungen. Man müsse sich Gedanken machen, wie man mit Rechten rede, erklärt Zimmermann. „Es geht nicht um die Frage, ob wir das gerne tun oder nicht – es ist dann notwendig“, betont er. Denn letztlich entschieden die Stadträte und Kreistage darüber, welche Bücher in Bibliotheken stehen dürfen oder welche Bilder in Museen ausgestellt werden. „Das wird unsere kulturpolitische Arbeit grundlegend verändern“, so Olaf Zimmermann.

Doch vielleicht lässt sich das große Unheil noch abwenden. SHIELD & SHINE hat in diesem Jahr verschiedene Aktionen geplant, so auch vor der Europawahl. Die Aktionswoche „EUROPA DEN VIELEN“ Anfang Juni soll Raum für Austausch und Debatte bieten. Die diesjährigen Wahlen sind für den Kulturbetrieb von existenzieller Bedeutung, das denkt auch Olaf Zimmermann: „Das ist im Moment die beste Form von Kulturförderung: demokratisch wählen“, sagt er.

NEUE TERMINE „DIE VIELEN“

3. bis 9. Juni Aktionswoche „Europa den VIELEN“

8. Juni SHIELD & SHINE in Marburg

26. August bis 1. September Bundesweite Aktionswoche gegen die Normalisierung von rechtsextremer Politik

Weitere Termine unter dievielen.de/kalender

Autor*in
FL
Finn Lyko

ist Volontärin in der vorwärts-Redaktion.

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