Kultur

Noch heute aktuell: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Heinrich Böll

Vor 50 Jahren erschien ein Pamphlet gegen die Boulevardmedien, in Folge wurde sein Autor Heinrich Böll selbst von ihnen attackiert. Geändert hat sich seitdem nicht viel.

von Norbert Bicher · 15. August 2024
Der Schriftsteller Heinrich Böll in seinem Arbeitszimmer im Haus seines Sohnes in Bornheim-Merten.

Der Schriftsteller Heinrich Böll in seinem Arbeitszimmer im Haus seines Sohnes in Bornheim-Merten.

Es war eine Provokation, eine erzählerische Kampfansage gegen Verleumdung in den Medien. Auch fünfzig Jahre nach Erscheinen des Pamphlets, wie Heinrich Böll seine Geschichte über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ nannte, hat sie nichts an Aktualität über die vernichtende Kraft medialer Kampagnen eingebüßt. Heute wäre Bölls Augenmerk nicht allein auf Boulevardblätter, mehr noch auf die Hasskampagnen im Netz gerichtet.

Damals hatte er vor allem ein Blatt im Blick, er stellte der Geschichte eine Bemerkung voraus: „Personen und Handlungen dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der „Bild"-Zeitung ergeben haben, so sind die Ähnlichkeiten weder beabsichtigt, noch zufällig, sondern unvermeidlich.“

Bloßgestellt durch die Boulevardpresse

In wenigen Wochen hat der Kölner Schriftsteller die Geschichte der Katharina Blum geschrieben. Die biedere Haushaltsangestellte verliebt sich in einen gesuchten Bundeswehr-Deserteur, bietet ihm Unterkunft und gerät in die Fänge der Polizei. Das Boulevardblatt „Die Zeitung" stellt sie mit miesen Methoden in der Öffentlichkeit derart bloß, dass sie am Ende keinen Ausweg mehr weiß – sie tötet den Reporter des Blatts als Akt einer Selbstbefreiung. Ein polemischer Text, der schon vor der Buchveröffentlichung ein Renner ist.

Der „Spiegel" druckt ihn vom 16. August 1974 als Fortsetzung ab. Filmemacher reißen sich um das Manuskript. Der Verlag Kiepenheuer &Witsch geht mit einer Startauflage von 100.000 Exemplaren auf den Markt.

Böll war sich der Brisanz des Textes bewusst. Er wollte zeigen, „wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“. Und er wollte darlegen, „was mit dem Leben von Menschen geschehe, die in Boulevardblättern verleumdet“ werden. Er selbst, räumte er ein, könne sich als Schriftsteller wehren. Viele könnten das aber nicht.

Springer-Presse warf Böll Unterstützung der RAF vor

Dennoch: Auch ihn hatten die Angriffe der Konservativen und der rechten Presse, vor allem der Springer-Presse, schwer getroffen. Sie verunglimpften ihn als Unterstützer der RAF-Terroristen, gar als deren geistigen Vater. Den Literaturnobelpreisträger erboste besonders, dass seine Familie, seine Söhne von einer Verfolgung als angebliche RAF-Sympathisanten nicht ausgenommen wurden.

So verzweifelt war Böll über diese Angriffe, dass er zeitweise daran dachte, Deutschland zu verlassen. Aber er bekam auch Unterstützung. Vor allem von Willy Brandt, der selbst Hasstiraden der Konservativen erfahren und darunter gelitten hatte. Der Bundeskanzler machte dem Schriftsteller Mut und bat ihn schon 1972: „Resignieren sollten Sie nicht. Ich habe es auch nicht getan.“

Böll resignierte nicht. Seine literarische Antwort war die Abrechnung mit dem Springer-Konzern. Die „Verlorene Ehre der Katharina Blum“ wurde zu einem seiner größten Bucherfolge; die Verfilmung mit Angela Winkler in der Rolle der Katharina Blum, ein Jahr später, zu einem Kinohit. Aber der Erfolg hatte auch einen bitteren Preis. Bis zu seinem Tod 1985 wurde er von Konservativen und dem Springer-Verlag immer wieder als geistiger Urheber von Gewalt und Terror diskreditiert.

Heinrich Böll,
Schriftsteller

„Gebüßt habe ich, bereut nichts“

Trotzig schrieb Böll in einem Vorwort zur Neuausgabe der Erzählung 1984 über diese Angriffe: „Gebüßt habe ich, bereut nichts.“

Wie sehr er gelitten hat, das hat Günter Grass eindringlich erfahren,  als er den Schriftstellerkollegen kurz vor dessen Tod in der Klinik besuchte. In einem Nachruf auf Heinrich Böll schrieb er: „Erst kurz vor dem Ende des Besuchs gab er zu erkennen, was ihn mehr kränkte als seine Herzschwäche, das Raucherbein, die Zuckerkrankheit. Es sind die bösartigen Verletzungen in den Zeitungen des Springer-Konzerns gewesen, denen er seit Jahren ausgesetzt war. Der Vernichtungswille einer Horde von Berufszynikern, die sich Journalisten nannten.“

Bölls Erzählung ist auch 50 Jahren nach Erscheinen aktuell. Nach Angaben von Statista hat seit 1986 kein Medium so viele Rügen vom Presserat erhalten wie die „Bild"-Zeitung, nicht selten wegen Missachtung von Persönlichkeitsrechten in ihren Berichten. Heute sind viele Politiker*innen, aber auch Menschen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, Beleidigungen und Bedrohungen im Internet ausgesetzt.

Autor*in
Norbert Bicher

arbeitete in den 1980er und 1990er Jahren frei für den „Vorwärts". Danach war er Parlamentskorrespondent, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und des Verteidigungs­ministeriums.

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