Inland

Sawsan Chebli zu Hate Speech: „Es gibt eine autoritäre Revolte“

Sie ist die wohl polarisierendste Vertreterin des Berliner Senats: Sawsan Chebli. In den sozialen Netzwerken schwappen ihr regelmäßig ganze Wellen von Hass entgegen. Ein Gespräch über Chancen, Risiken und den richtigen Umgang mit Facebook und Co.
von Robert Kiesel · 21. Dezember 2017
Sawsan Chebli
Sawsan Chebli

Frau Chebli, ob auf Facebook oder Twitter, in den sozialen Netzwerken schlägt Ihnen oft blanker Hass entgegen. Lesen Sie all die Kommentare noch selber?

Nein, das darf man sich nicht antun. Das ist wichtig, um in  der Welt, in der ich mich bewege, zu überleben.

Sie sind seit einem Jahr in den sozialen Netzwerken angemeldet. Hat sie der Hass dort überrascht?

Irgendwie schon. Vorher, in meiner Zeit als Sprecherin im Auswärtigen Amt, konnte man nur die besten Porträts über mich lesen. Das Flüchtlingskind, das es zur Sprecherin des deutschen Außenministers gebracht hat. Kaum war ich Staatssekretärin der Berliner Senatskanzlei und in den sozialen Netzwerken präsent, ging es los. Die ersten zwei Monate waren schrecklich. Hass, Hetze, Drohungen, auch gegen meine Familie. Auch heute läuft bei jedem Post und jedem Tweet für Vielfalt, für Flüchtlinge, für differenzierten Blick auf den Islam die Maschinerie der Hater sofort auf Hochtouren.

Wie erklären Sie sich das?

Für die AfD und ihresgleichen bin ich Feindbild Nummer 1: Muslima, die zu ihrem Glauben steht, das Kopftuch verteidigt und auch noch erfolgreich ist.

Können Sie ein Beispiel nennen, das besonders viele Hassposts zur Folge hatte?

Mein Beitrag zur Sexismus-Debatte nach dem Fall von Harvey Weinstein in den USA. Dieses ganz simple Beispiel von Alltagssexismus gegenüber Frauen hat unzählige Hasskommentare auf sich gezogen, viele vermischt mit rassistischen Stereotypen. Immer wieder werde ich aber auch von der AfD  angegriffen. Interessant ist, dass sie im Netz ziemlich großspurig auftreten, bei direkten Begegnungen jedoch klein mit Hut sind.

Woher kommt der Hass in sozialen Netzwerken?

Die Anonymität führt leider dazu, dass Hemmschwellen wegfallen. Damit Menschen merken, dass Regeln und Gesetze auch im Netz gelten, muss man sie direkt konfrontieren: Ich habe zum Beispiel etliche Strafanzeigen wegen des Straftatbestands der Beleidigung gestellt, die Urheber mussten Geldstrafen zahlen. Auch deshalb finde ich es sehr wichtig, dass Heiko Maas das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf den Weg gebracht hat. Jetzt sind die Großkonzerne wie Facebook und Twitter in der Pflicht, auch selbst endlich konsequent gegen Hassposts vorzugehen.

Vermeiden Sie Tweets und Posts zu bestimmten Themen, um Hatern nicht zusätzlich Munition zu geben?

Nein. Man darf vor diesen Personen nicht zurückschrecken.


Nehmen Hass und Hetze in der deutschen Gesellschaft insgesamt zu?

Ja und das macht mir Sorgen. Die Anfeindungen und Angriffe gegen Muslime haben zugenommen. Jeden vierten Tag werden zum Beispiel Flüchtlinge angegriffen. In den Medien kommt das alles kaum vor. Meiner Mutter wurde in den letzten Monaten - ich würde sagen seit Pegida - mehrfach das Kopftuch heruntergerissen. So etwas ist ihr früher nie passiert. Meine Schwestern, die ein Kopftuch tragen, werden ständig angepöbelt. Aber das gilt nicht nur für Islamfeindlichkeit. Schauen Sie sich mal die Kommentarpalten unter Artikeln zum Thema Sinti und Roma, Antisemitismus, Ehe für alle oder Sexismus an – da toben sich regelmäßig die Hetzer aus.

Sehen auch Sie die Gefahr, dass sich Menschen in sozialen Netzwerken radikalisieren?

Wenn die Leute in den Echokammern der sozialen Medien ständig nur mit Hass konfrontiert werden, dann ist die Gefahr der Radikalisierung groß. Attacken wie die auf den Bürgermeister Andreas Hollstein stehen im Zusammenhang mit dem, was in sozialen Netzwerken passiert. Dass sich Täter im Netz radikalisieren, kennen wir auch von islamistisch motiviertem Terror.

Trotz alledem nutzen auch Sie Facebook und Twitter weiter. Warum?

Ich finde, es gehört dazu. Das Netz bietet mir eine Plattform, meiner Stimme Gehör zu verschaffen. Meine Tweets werden aufgegriffen, zitiert, es wird darüber diskutiert. Ich kann so Botschaften senden. Damit, dass ich dafür auch Hass ernte, muss ich umgehen.

Was muss passieren, damit soziale Medien nicht im Hass versinken?

Es ist wichtig, dass wir uns nicht abstumpfen lassen und dass wir die schleichende Normalisierung nicht mitmachen: Jede und jeder einzelne von uns ist gefordert, Haltung zu zeigen und Hate Speech zu ächten. Kein „like“ für Hater! Das ist das eine.
Wir müssen aber auch gemeinsam für demokratische Werte streiten. Eine meiner wichtigsten Aufgaben als Staatssekretärin ist es, zum Engagement zu ermutigen und die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken. Denn machen wir uns nichts vor: Es gibt eine autoritäre und antidemokratische Revolte. Hinter vielen, scheinbar oberflächlichen Hassposts im Netz stehen oft Ideologen, die dies organisieren oder inspirieren. Ich möchte dem etwas Positives entgegensetzen, indem ich für die Vision einer gerechten Gesellschaft eintrete, in der alle ihren Platz haben.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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