„Morgen ist auch noch ein Tag“: Eine gedemütigte Frau entdeckt die Freiheit
Nach dem Zweiten Weltkrieg bricht Italien auf in eine neue Zeit. Für Frauen stehen die schwersten Kämpfe noch bevor. Die Tragikomödie „Morgen ist auch noch ein Tag“ gibt tiefe Einblicke.
Tobis
Autorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin Paola Cortellesi (Bildmitte) arbeitet die Nachkriegszeit in Italien auf.
Der Titel verströmt Hoffnung. Oder ist es Resignation? Delias Tag beginnt mit einer Ohrfeige. Noch im Ehebett schlägt Gatte Ivano ihr ins Gesicht. Einfach so, ohne Erklärung. Solche fast schon beiläufigen Akte der Demütigung bekommt das Publikum immer wieder zu sehen. Sie sind ein Ausdruck der Verhältnisse, im Kleinen wie im Großen.
Italien im Juni 1946: Faschismus und Krieg sind Vergangenheit und doch noch immer präsent. Das Land macht sich auf in eine ungewisse Zukunft. Republik oder Monarchie? In einem Referendum entscheidet die Bevölkerung über die künftige Staatsform. Außerdem wird die verfassungsgebende Versammlung gewählt. Das Ganze wird umso bedeutsamer, weil erstmalig auch Frauen an die Wahlurnen gerufen werden. Es ist ihr Aufbruch in die politische Mündigkeit.
Doch ein wirklicher Neuanfang im Verhältnis der Geschlechter liegt noch in weiter Ferne. Delia ist ein denkbar gutes Beispiel. Mit Ehemann, drei Kindern und dem pflegedürftigen Schwiegervater lebt sie in einer engen und kargen Kellerwohnung in Rom. Je nach Laune dient sie Ivano als Putzlappen oder Auffangbecken für seine Aggressionen oder Lust. Was sie mit den kläglichen Gelegenheitsjobs – sofern sie neben Haus- und Care-Arbeit überhaupt möglich sind – verdient, hat sie bei ihm abzuliefern. Klare Verhältnisse.
Ein Brief stellt das Leben auf den Kopf
Delias einzige Hoffnung: Ihre Tochter soll es besser haben als sie. Irgendwann. Als sich Marcella mit dem Sohn eines Barbesitzers verlobt, scheinen die Chancen dafür zunächst gut zu stehen. Doch nach ersten Begegnungen mit dem Verlobten kommen Delia Zweifel und sie schmiedet einen Plan. Derweil öffnet sich für sie selbst ein Türchen: Ein Brief stellt das Leben der Ehefrau und Mutter, die daheim so wenig Achtung erfährt, auf den Kopf. Es ist der Geschmack von Freiheit.
In Italien war „Morgen ist auch noch ein Tag“ ein Riesenerfolg und verdrängte sogar US-Blockbuster wie „Barbie“ von den vordersten Rängen. Das hat viele Gründe. Zum Beispiel die Hauptdarstellerin, Regisseurin und Drehbuchautorin Paola Cortellesi. Seit den Nullerjahren zählt die Moderatorin von Prime-Time-Shows und Seriendarstellerin („Mord in Genua – Ein Fall für Petra Delicato“) zu den Top-Stars.
Zudem greift die 50-Jährige in ihrem Regiedebüt ein Thema auf, das nicht nur, aber auch in Italien noch immer ein gravierendes Problem ist: Gewalt gegen Frauen. Mehr als 100 Femizide wurden dort im vergangenen Jahr gezählt. So gesehen haben Delias Erlebnisse in der Nachkriegszeit sehr viel mit der Gegenwart zu tun. Paola Cortellesi verarbeitete Berichte ihrer Großmütter. Dieser persönliche Bezug tut dem Ganzen gut.
Nicht nur seine gesellschaftspolitische Relevanz, sondern auch sein ästhetisches Wesen segnen diesen Film mit guten Voraussetzungen, um Herz und Kopf der Zuschauenden zu öffnen. Das gilt auch für eine ansonsten nur bedingt cinephile Zielgruppe.
Paola Cortellesi bediente sich bei Roberto Rossellini und anderen Vertreter*innen des italienischen Neorealismus. Also einer Schule, die ab den späten 1940er-Jahren nach Geschichten suchte, die Italien in jener Zeit des Übergangs widerspiegelten. Auf das Wesentliche reduziert, mitunter auch fragmentarisch. Wenn wir Paola Cortellesi alias Delia bei der Hausarbeit oder durch schmucklose Straßen in Rom schlendern sehen, fühlt man sich an Legenden wie Anna Magnani erinnert. Die wirkungsvolle Schwarz-Weiß-Optik tut ihr Übriges.
Zugleich wird das neorealistische Wesen auch gebrochen und mit zeitgenössischen Stilmitteln vermengt. Zum Beispiel, was die Musik betrifft. Und mit Szenen, die Delias düsteren Alltag ins Absurde verkehren. Etwa, wenn Ivano sie mitten in einer Prügelorgie zum Tanz bittet. Diese ästhetische Wendung macht die Gewalt umso bedrückender. Hinzu kommt ein Wechselspiel von melodramatischen und komischen Elementen. Wer hätte gedacht, dass uns gerade diese Geschichte so zum Lachen bringt?
Delias Blick sagt alles
Denkbar eindringlich für eine aufwühlende Thematik zu sensibilisieren, ohne den Zuschauenden dabei zu viel zuzumuten: Der Spagat ist gelungen, was auch den Erfolg an den Kinokassen erklären dürfte. Manch einer oder eine hätte sich womöglich gewünscht, noch tiefer in Delias Bewusstseinsstrom einzutauchen. Doch ihre Gestik und ihre Mimik sagen im Grunde alles.
Mit ebenso ungeschliffenen wie pointierten Dialogen bringen uns insbesondere Paola Cortellesi und Emanuela Fanelli als ihre enge Vertraute Marisa, eine schlagfertige Marktfrau und Geheimnisträgerin, ihre Figuren sehr nahe: als Menschen einer vergangenen Zeit. Aber mit Erfahrungswelten, die keineswegs Geschichte sind. „Morgen ist auch noch ein Tag“ dürfte auch hierzulande ein großes Publikum beschieden sein.
„Morgen ist auch noch ein Tag“ („C’e ancora domani“, Italien 2023), ein Film von Paola Cortellesi, mit Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, Emanuela Fanelli u.a., 118 Minuten.
Im Kino