Tabubruch: Italiens Rechte mischt sich in deutschen EU-Wahlkampf ein
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Vorsichtig formuliert ist es ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, wenn die Regierungsparteien eines EU-Staates meinen, sich abfällig über Wahlkandidatinnen eines anderen Staates äußern zu müssen. Es geht sie nach üblichen Gepflogenheiten schlicht nichts an und es gehört sich nicht. Aber diesen Fall scheint Matteo Salvini, Chef der ultrarechten Lega und Minister für Infrastruktur und Mobilität in Italien, sehr persönlich zu nehmen.
In der vergangenen Woche hatte die Linke bekannt gegeben, Carola Rackete auf Platz zwei der deutschen Wahlliste und damit direkt nach dem Parteivorsitzenden Martin Schirdewan bei den Europawahlen 2024 ins Rennen zu schicken. Die Flüchtlingsaktivistin und Kapitänin Rackete soll dabei als Zugpferd für nicht Parteigebundene Linke fungieren und obendrein das Anti-Wagenknecht-Lager stärken oder, wie es Ko-Parteichefin Wissler ausdrückt, man wolle sich mit Rackete „für Aktive aus den sozialen Bewegungen der Zivilgesellschaften öffnen“.
Für Salvini ist Rackete ein Feindbild
Die Aktivistin war Kapitänin der Sea Watch, dem NGO-Schiff, das seit Jahren im Mittelmeer operiert, um Migranten aus Seenot zu retten, die sich von Nordafrika aus auf den Weg zur italienischen Küste gemacht haben. Rackete unterstützt zudem Extinction Rebellion, bezeichnet die Klimakrise als „Ergebnis kapitalistischer Misswirtschaft und Ausbeutung“ und größte Gerechtigkeitskrise der Welt. Sich selbst betrachte sie als Ökologin und sieht ihre Kandidatur für den Landesverband Sachsen als Chance, soziale und ökologische Bewegungen im Europaparlament zu verankern.
In Italien ist die Frau mit den Rastalocken vor allem für eine Aktion bekannt, nämlich dafür, 2019 ein Patrouillenboot der Finanzpolizei gerammt zu haben, als dieses sie an einem Anlegemanöver hindern wollte. Die italienischen Behörden – namentlich der damalige Innenminister und heutige Lega-Chef Matteo Salvini - hatten der Kapitänin des mit Migranten beladenen Schiff strikt untersagt, in einem italienischen Hafen anzulegen. Rackete ignorierte die mehrfach explizit ausgesprochenen Verbote und machte trotzdem auf Lampedusa vor Sizilien fest.
Freispruch für die Aktivistin in Italien
Sie wurde mit dem Vorwurf verhaftet, ohne Erlaubnis an der italienischen Küste angelegt und das Patrouillenboot vorsätzlich gerammt zu haben, das gegen den Kai gedrückt wurde, als es versuchte, das Anlegen zu verhindern. Es kam zum Prozess und die Aktivistin wurde freigesprochen.
Das rechtskräftige Urteil eines italienischen Gerichts ficht die Ultranationalisten und Rechtspopulisten in der Regierung Meloni aber offenbar nicht im Geringsten an. Vertreter der Lega agitieren seitdem gegen Racketes Kandidatur in Deutschland. „Vom Rammen der Patrouillenboote der italienischen Finanzpolizei bis zur Kandidatur bei den Linken ist es ein Klacks. Beste Wünsche, es lebe die Demokratie!“, schrieb Salvini auf Twitter. Rackete ist ihm politisch und persönlich zuwider. Eine junge, selbstbewusste Frau, die es gewagt hat, sich seinen Anweisungen zu widersetzen – und damit auch noch erfolgreich war – ist in seinem Weltbild nicht vorgesehen. Deshalb scheint er seine Koalitionäre auf Linie zu bringen.
EU-Wahl als Referendum über Migration?
Der Europaabgeordnete Marco Zanni, Vorsitzender der Rechtsaußen-Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) im EU-Parlament, rief die italienischen Wähler anlässlich der Nominierung dazu auf, sich von der „radikalen Linken“ zu distanzieren.
Fast gleichlautend die Stellungnahmen aus der Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Fratelli d’Italia: „Zwischen einem gerammten Patrouillenboot und einer Umladung von illegalen Einwanderern ist sie auf dem besten Weg, die neue Meisterin des Progressivismus zu werden, indem sie bei den nächsten Europawahlen für die Ultralinke in Deutschland kandidiert“, so Carlo Fidanza, Chef der EU-Parlamentariergruppe der Fratelli d’Italia. „Noch einmal: Der 9. Juni 2024 wird ein Referendum sein: entweder Racketes Europa oder unser Europa. Ihr habt die Wahl“, fügte er hinzu.
Eine Respektlosigkeit in der Diplomatie
Dass die Rechten progressiv für ein Schimpfwort halten, mag man für normal halten. Ebenso, dass sie allen anderen vorschreiben wollen, was sie zu denken haben. Und auch, dass Meloni, Salvini und Co – ähnlich wie Donald Trump in den USA – Politik als Mittel zur Durchsetzung persönlicher Interessen begreifen. Aber tolerieren muss man das eben nicht. Erst recht nicht akzeptieren.
Ob die Bundesregierung nun gleich den Botschafter einbestellen sollte, um die demokratischen Usancen zu klären oder doch besser die Größe zeigen sollte, über die Respektlosigkeit hinwegzusehen kann man trefflich diskutieren. Besser ist allemal, die Wähler*innen geben kommende Juni bei der Europawahl die passende Antwort.