Kultur

Kinofilm „Die Amitié“: Mit Künstlicher Intelligenz gegen Ausbeutung

Arbeitsmigrant*innen schlagen den herrschenden Verhältnissen ein Schnippchen: ausgerechnet mit Künstlicher Intelligenz. Der Kinofilm „Die Amitié“ lebt von ungewohnten Sichtweisen und krassen Gegensätzen.

von Nils Michaelis · 22. März 2024
Der zugewanderte Arbeiter Dieudonné wehrt sich gegen Ausbeutung

Digital unterwegs: Mithilfe von KI schlägt Dieudonné den ausbeuterischen Strukturen ein Schnippchen.

Migration steht für Hoffnung, aber auch für ein Geschäft. Häufig werden die Hoffnungen der Zugewanderten, etwa die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und Würde in Europa, enttäuscht. Auch, weil sich eine halblegale Beschäftigung von Migrant*innen für viele Betriebe rechnet. Ihr Geschäftsmodell heißt Ausbeutung. Diese Zusammenhänge sind nicht neu. Der Kinofilm „Die Amitié“ lädt ein, sie – auch im Wortsinn – anders zu sehen. 

Gleich zu Beginn werden zwei Handlungsfäden miteinander verwoben, die im weiteren Verlauf ein Ganzes ergeben werden. Während einer Busfahrt durch Deutschland treffen zwei denkbar konträre Protagonist*innen aufeinander. Die polnische Ordensschwester Agnieszka reist nach Lübeck. Dort wird die strenggläubige Pflegekraft einen an Demenz erkrankten Mann rund um die Uhr zu Hause betreuen. 

Auch Dieudonné ist unterwegs Richtung Norddeutschland. In seinem Heimatland Elfenbeinküste sah der studierte Ingenieur für sich keine Zukunft. Nun wird er in einem riesigen Gewächshaus an der Ostseeküste Biogemüse pflücken.

Von oben herab behandelt und ausgenutzt

Subtil arbeitet der Film heraus, wie Agnieszka und Dieudonné von oben herab behandelt und ausgenutzt werden. Die junge Frau aus Polen wird vom Sohn des Dementen gebeten, nebenbei doch bitte auch den Rasen zu mähen. Dieudonné wird von seiner Chefin um einen bedeutenden Teil seines Lohns geprellt und muss obendrein auf Kommando Extraschichten fahren. 

All diese Szenen leben von verstörender Direktheit und kommen ohne ein Moralisieren und vorschnelle Urteile aus. Was Agnieszka und Dieudonné durchleben, wird auch in einem größeren Kontext gezeigt. So wird deutlich, dass ihre Ausbeuter*innen keinesfalls allein niederen Instinkten folgen, sondern auch Getriebene der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse sind. 

Dass diese mitunter auch dafür verantwortlich sind, dass sich Menschen wie Dieudonné überhaupt auf den Weg nach Europa machen. So erfahren wir, dass sein Vater daheim einst eine florierende Tomatenplantage besaß. Die Einfuhr hochsubventionierten Gemüses aus der EU hat ihn jedoch ruiniert. Die Kritik an diesen Umständen fällt im Film ebenso deutlich aus wie die Forderung nach mehr Respekt gegenüber Migrant*innen.

YouTube wurde aufgrund Ihrer Cookie-Einstellungen blockiert.
Zum Anzeigen des Inhalts müssen Sie die Marketing-Cookies akzeptieren .

Er belässt es aber nicht bei dieser Zustandsbeschreibung. Diese hätte die Handlung auch kaum getragen. Durch einen Kollegen lernt Dieudonné, wie sich die ausbeuterischen Strukturen unterwandern lassen. Viele Arbeitsmigrant*innen sind Teil des Netzwerks „Die Amitié“. „Amitie“ ist das französische Wort für „Freundschaft“. 

Genau darum geht es bei KI-gestützten Anwendung: Menschen helfen sich gegenseitig und starten Projekte, ohne dass die Personen, die in der analogen Hierarchie über ihnen stehen, davon etwas merken. Sie vergleichen Migrationsrouten und lernen die deutsche Sprache. Es tun sich geheime Jobs auf oder auch die Möglichkeit, eine geflüchtete Familie im Keller eines Einfamilienhauses unterzubringen. Vermeintliche Objekte werden zu Subjekten. Und das ausgerechnet dank Künstlicher Intelligenz, die von vielen als Vorbote von Unterdrückung und neuer Formen von Ausbeutung gilt.

Eine von Solidarität getragene Gegenwelt

Täglich werden weitere Menschen Teile des Netzwerks und füttern es mit Daten. So entsteht nicht nur im virtuellen Raum eine von Solidarität getragene Gegenwelt. Eines Tages entschließt sich auch Agnieszka, die engen Fesseln ihres bisherigen Daseins zu lösen und Teil des Untergrundes zu werden. Ausgerechnet ein wie aus dem Nichts auftauchender chaotischer Polizist wird zum Gegenspieler und plötzlich steht alles auf der Kippe.

Utopie, Satire, Sozialstudie und Komödie: „Die Amitié“ ist von allem etwas. Mit der Erweiterung der Erzählperspektive weitet sich auch das Spektrum der ästhetischen Mittel. Und zwar bis zu einem Punkt, an dem Zuschauende komplett die Orientierung verlieren. Einiges wirkt wie zusammengeschustert. Genau darin besteht die Absicht des Films. 

„Die Amitie“ entspricht mehr einem Manifest als einer runden oder stimmigen Erzählung. Das zeigt sich auch daran, dass sich die Filmemacher*innen Ute Holl und Peter Ott als „Kollektiv Amitié“ titulieren. Gegen Ende driftet alles ins Surreale ab, doch letztendlich wird vor allem die Realität beschrieben. Nämlich ein globales System der Ausbeutung, unter dem nicht nur Arbeitsmigrant*innen wie Agnieszka und Dieubonné leiden. Ein System, in dem oft das Eine nicht zum Anderen passt. So wie auch in diesem Film.

Info:

„Die Amitié“ (Deutschland 2023), Regie und Buch: Kollektiv Amitié, mit Sylwia Gola, Yann Mbiene, Christoph Bach, Anna Stieblich u.a., 102 Minuten.

realfictionfilme.de

Im Kino

Weitere interessante Rubriken entdecken

0 Kommentare
Noch keine Kommentare