Manifest: Warum wir Leitlinien für Künstliche Intelligenz brauchen
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Für Saskia Esken war es auch ein geschickter Marketing-Schachzug, die KI-Software ChatGPT im November zunächst der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. „Plötzlich war Künstliche Intelligenz in aller Munde, als ob sie vom Himmel gefallen sei“, sagt die SPD-Vorsitzende. Solche Modelle seien aber nicht erst im vergangenen Jahr erfunden worden. „Wir sind schon lange umgeben von Methoden der KI. Unsere Navigationsgeräte würden nicht ohne sie funktionieren.“
Künstliche Intelligenz im Alltag
Mathematische Algorithmen, mit denen Künstliche Intelligenz arbeitet, gehören schon längst zu unserem Alltag. Sie können Suchergebnisse sortieren, geben Empfehlungen bei Streamingdiensten, filtern Spam aus E-Mails. KI-Prinzipien werden in der Wetterprognose eingesetzt und bei der Bewässerung in der Landwirtschaft.
Auch in die Arbeitswelt sind diese selbstlernenden Systeme längst eingezogen. Sie werden, davon ist nicht nur Hubertus Heil überzeugt, Arbeit rasant verändern. Für den Bundesarbeitsmister stehen wir am Anfang einer revolutionären Entwicklung. „Jetzt müssen wir die Weichen richtig stellen, damit Künstliche Intelligenz dem Menschen dient“, fordert er.
Wie sich Weichen richtig stellen lassen, zeigt das Manifest „über die Einführung und Nutzung lernender informationstechnischer Systeme“, das der Vorstand des Konzerns der Deutschen Telekom AG gemeinsam mit dem Konzernbetriebsrat vereinbart hat. Kommt Künstliche Intelligenz zum Einsatz, greift ein Ordnungsrahmen, der Interessen und Daten von Beschäftigten wahren und schützen soll, betont die Vorsitzende des Konzernbetriebsrats Kerstin Marx.
Nötige Ethik-Leitlinien
„Als besonders kritisch gelten Systeme, die personenbezogene oder -beziehbare Daten sammeln und solche, die für Leistungs- und Verhaltenskontrolle genutzt werden können“ erklärt Marx. Beispielhaft nennt sie Daten, die von Servicetechnikerinnen und -technikern gesammelt werden, wenn sie im Kundenservice außerhalb des Betriebs unterwegs sind. Standortdaten lassen erkennen, wann sie sich an einem bestimmten Ort aufhalten und wie lange. Dabei misst eine Zeiterfassung, wie viel Zeit sie für einen bestimmten Auftrag gebraucht haben und stellt sie, wenn gewünscht, einer Sollzeit gegenüber.
„Daraus ließe sich eine Leistungskontrolle ableiten. Es gibt ambulante Pflegedienste, die mit solchen Trackingdiensten arbeiten. Das dürfen wir nicht zulassen“, fordert Marx. Das Sammeln dieser Daten sei an sich nichts Neues, „sie unterliegen nach unserem Manifest aber einer Zweckbestimmung und damit der Mitbestimmungspflicht des Betriebsrates“. Danach darf der Einsatz von KI-Systemen keine negativen Auswirkungen auf Sicherheit, Gesundheit und Grundrechte von Beschäftigten haben.
Mehr Mitbestimmung gefordert
Die Basis des Manifests bilden die KI-Ethik-Leitlinien des Unternehmens, das sich selbst bereits 2018 zum ethischen Umgang mit KI verpflichtet hat. Danach müssen Technologien wie etwa Künstliche Intelligenz definierten ethischen Regeln folgen. Grundgedanke ist, KI erst mal nur als Werkzeug zu betrachten, sie positiv einzusetzen ohne dabei die Risiken auszublenden. Auch Kerstin Marx sieht die Chancen beim Einsatz selbstlernender Systeme und möchte sie nutzen, wenn es beispielsweise um die Beantwortung von Standardfragen durch Chatbots wie „Frag Magenta“ geht. „Sie entlasten unsere Mitarbeitenden, die gleichzeitig andere Aufgaben anbieten können, die qualitativ hochwertiger sind“, erklärt sie. Daraus sei beispielsweise die Möglichkeit eines Eins-zu-eins-Services entstanden, da ein Teil der Belegschaft jetzt viel individueller auf Kundenanfragen eingehen könne. Ihre Arbeit werde dadurch aufgewertet und sinnstiftender.
Gleichzeitig ermögliche das KI-Manifest eine vorausschauende Mitbestimmung, statt – anders als im Betriebsverfassungsgesetz ursprünglich angelegt – auf bestimmte Maßnahmen nur reagieren zu können. „So können wir auch bei rasanten Veränderungen wie KI und New Work Mitarbeitenden Angebote unterbreiten, etwa um ein höheres Qualitätsniveau zu erlangen. Damit wiederum sichern wir qualitative Arbeit für kommende Jahre.“ Entscheidend sei, wann Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter informiert und in den Prozess miteinbezogen würden und wie sie sich einbringen können. „Je früher und je transparenter Veränderungen vermittelt werden, desto besser“, erklärt Marx. Auch eine positive Fehlerkultur sei wichtig. Es müsse erlaubt sein, Fehler zu machen und man dürfe keine Angst haben, diese Maschinen zu bedienen.
Anforderung an Beschäftigte steigen
Damit steigen aber auch Anforderungen. „Beschäftigte müssen die Prozesskette kennen, die zu den Entscheidungen neuronaler Netze führen und damit auch anders qualifiziert sein. Das ist nicht einfach. Oft wird die Komplexität, die dahinter steckt, erst sichtbar, wenn schon etwas schiefgelaufen ist“, berichtet Marx. Skepsis sei immer dabei, denn es finde eine tiefgreifende Veränderung im Arbeitsleben statt. Aus Sicht der Betriebsrätin ist die Dynamik und Geschwindigkeit, in der in Betrieben Innovationen und neue Arbeitsweisen eingeführt werden, gigantisch und deutlich spürbar. „Da lässt sich schon von einer Dauertransformation sprechen.“
Hemmschuh seien in den seltensten Fällen die Beschäftigten, das würde manchmal zwar so dargestellt, aber „die Mitarbeitenden verändern und entwickeln sich schon jeden Tag aufs Neue“. Betriebsräten käme dabei die Aufgabe zu, eine sehr klare Position zu beziehen. Im Manifest heiße es nicht umsonst, dass die letzte Entscheidung von Menschen getroffen wird. „Das ist eine unsere Hauptbotschaften und das muss auch so bleiben.“.
SPD für Rechtsrahmen
Auch die SPD steht für einen „gemeinwohlorientierten Einsatz von KI-Modellen“, in dem der Mensch das letzte Wort haben müsse, betont Saskia Esken anlässlich der Vorstellung eines 28 Seiten starken Digitalpapiers Anfang Mai in Berlin. Die Digitalisierung habe einiges an Dividende zu bieten, die auch in der Arbeitswelt gerecht verteilt werden müsse: durch mehr Selbstbestimmung, etwa über Arbeitszeit und -ort, durch mobiles Arbeiten oder die Möglichkeit einer 4-Tage-Woche.
Gleichzeitig setzt die SPD auf einen klaren Rechtsrahmen. Der werde laut Hubertus Heil auch am Arbeitsplatz gebraucht. „Überwachung, Kontrolle oder die Auswahl von Beschäftigten durch Künstliche Intelligenz müssen geregelt werden“, fordert der Bundesarbeitsmi nister. Gemeinsam mit Innenministerin Nancy Faeser plant er ein Gesetz zum Beschäftigungsdatenschutz. „Wenn beispielsweise mit Sensoren Gesundheitsdaten von Beschäftigten erfasst und mittels KI ausgewertet werden, kann das zur Überwachung werden.“ Der Entwurf soll möglicherweise schon im Sommer vorliegen, denn laut Arbeitsministerium wird es bis 2035 kaum noch einen Job ohne Einsatz von KI geben.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.