Kultur

Buch „Die Achse der Autokraten“: Wie Demokratiefeinde besiegt werden können

Anne Applebaum legt mit „Die Achse der Autokraten“ eine kompromisslose Kampfansage an Demokratiefeinde vor. Die Herausforderungen sind real. Doch auch ihre fehlende Selbstkritik ist zum Fürchten.

von Michael Bröning · 10. Oktober 2024
Buchcover Anne Applebaum

Am 7. Juni 1494 unterzeichneten Portugal und Spanien auf Initiative von Papst Alexander VI. den Vertrag von Tordesillas. In ihm wurde die Welt pauschal in zwei Hälften aufgeteilt. Jenseits der mit Federkiel auf Pergament gezogenen Linie sollten neu entdeckte Gebiete Spanien, diesseits Portugal zugeschlagen werden. Das Ziel: einen Konflikt zwischen den beiden Rivalen vermeiden.

Demokratie versus Autokratie: Licht und Finsternis

Die amerikanische Journalistin und Historikerin Anne Applebaum ist keine Päpstin. Doch in ihrem in diesen Tagen auf Deutsch erscheinenden Buch „Die Achse der Autokraten“ geht die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels und Pulitzerpreisträgerin mit ähnlich viel Finesse vor wie einst Papst Alexander. Die Welt wird fein säuberlich eingeteilt in Kräfte des Lichts und in die der Finsternis. Nur dient diese Einteilung – anders als vor 500 Jahren – nicht der Konfliktvermeidung, sondern eher der Generalmobilmachung gegen alles, was Applebaum mal mehr mal weniger überzeugend als moralisch verwerflich betrachtet.

Es gehört zu den Widersprüchen dieser Kampfansage, dass die Lager einerseits allgegenwärtig beschrien, andererseits aber reichlich vage gelassen werden. Klar ist allenfalls: Auf der einen Seite steht der Westen, die Demokratien, das Licht; auf der anderen eine unselige Mischung aus sich gegenseitig unterstützenden autoritären Despoten. Diese aber sind „nicht durch Ideologie, sondern durch rücksichtslose Entschlossenheit geprägt, ihren persönlichen Wohlstand und ihre Macht zu bewahren“. Vorhang auf für Autokratie Inc. – so auch der englische Titel des Buches.

Krieg in der Ukraine als Beispiel

Das Diktatoren-Netzwerk aber werde wie ein Business-Konsortium alleine durch ein Ziel zusammengehalten: „Moderne Autokraten haben einen gemeinsamen Feind. Dieser Feind sind wir“, erklärt Applebaum. Der alternativlose Kampf aber sei keine Zukunftsmusik, sondern werde faktisch längst ausgetragen. Denn der Krieg in der Ukraine sei die erste „vollständige, kinetische Schlacht im Kampf zwischen Autokratie Inc. und dem, was vielleicht am besten als die demokratische Welt beschrieben werden könnte“.

Wenig überraschend werden Russland, China, der Iran, Venezuela, Nordkorea und Syrien im Team Böse verortet. Doch je nach Anlass gesellen sich auch andere Kräfte hinzu: Mexiko etwa, Thailand, Singapur, Südafrika, Georgien, Kirgisistan, Kasachstan, Mali, Nicaragua, Angola, Myanmar, Kuba, Simbabwe, Sudan, Aserbaidschan, punktuell auch Serbien, Brasilien und Singapur – „und vielleicht drei Dutzend weitere“. 

Sanktionen und Konfrontation als Mittel

Klar wird: Bei der Zusammenstellung wird nicht allzu viel Federlesen gemacht. Auf ein paar Länder mehr oder weniger kommt es bei der neuen Achse des Bösen offenbar auch nicht mehr an. Zumal die Demarkationslinien im moralischen Endkampf nicht nur international, sondern auch lokal zu besichtigen sind. Denn: „Die Gegensätze verlaufen auch innerhalb von Staaten“. Unter anderem deswegen sei der aktuelle Konflikt eben „keine direkte Replik von dem, was uns im 20. Jahrhundert begegnete.“ Das Böse ist immer und überall.

Angesichts dieser Ausgangslage sei es jetzt höchste Zeit, die Samthandschuhe auszuziehen und den Kräften der Finsternis entgegenzutreten, egal wo sie sich zeigen. „Die Autokraten glauben, dass sie gewinnen. Wie wir sie besiegen können, ist das Thema dieses Buches“, erklärt Applebaum. Die Instrumente der Wahl: wirtschaftliche Abkopplung – schließlich sei Wandel durch Handel gescheitert – Sanktionen und Konfrontation.

Jenseits von Hell und Dunkel

Sicher, nicht alles liest sich ohne Gewinn. Die Schilderungen etwa der Diskreditierung demokratischer Dissident*innen sind bedrückend. Hier zeigt sich, dass die gut vernetzte Applebaum die persönlichen Begegnungen mit demokratischen Aktivisten ausgezeichnet in Wert setzen kann. Der Leser wird von einer clandestinen Versammlung zur nächsten mitgenommen und begegnet dabei mutigen Oppositionellen von Hongkong bis Belarus. Nicht unspannend das. Und eine wichtige Erinnerung daran, dass die Demokratie ja tatsächlich Vielerorts auf der Abschussliste steht.

Nur, Junge, Junge, wie können so dermaßen vollumfänglich die Verfehlungen des eigenen Milieus ausgeblendet werden? Dass sozialdemokratische Ansätze wie die Ostpolitik als naiv auseinandergenommen werden: Geschenkt. Aber in der pauschalen Einteilung in Hell und Dunkel geraten all die Ambivalenzen aus dem Blickfeld, die nicht nur für die Gegenwart bezeichnend sind, sondern diese eben auch analytisch interessant machen – oder sie vielmehr interessant machen könnten, wenn sie denn zur Kenntnis genommen würden.

Applebaum beschreibt eindrücklich den Kampf gegen die Demokratie, der ja immer wieder ganz konkret ein Kampf gegen Demokrat*innen ist. Sie berichtet von Kontosperrungen, kolportierten internationalen Vernetzungen, politischen Betätigungsverboten und der Instrumentalisierung der Justiz. Die Übergriffigkeit autoritärer Staaten gegen jede Art von demokratischem Impuls ist grenzenlos.

Eine ehrliche Auseinandersetzung fehlt

Doch Applebaums geradezu heiliger Zorn verstellt ihr immer wieder den Blick auf die Versuchungen ihres eigenen Milieus. Hat sie in den vergangenen Monaten mal objektiv die politische Entwicklung in westlichen Gesellschaften in Augenschein genommen? Wie können ernsthaft Zensurbestrebungen in autoritären Staaten kritisiert werden, nur um dann seitenlang darüber zu lamentieren, dass es westlichen Demokratien leider immer noch nicht gelungen sei, soziale Medien vollumfänglich an die Kandare zu nehmen? An wessen denn – an ihre? 

Nein. Eine ehrliche und dann auch weiterführende Auseinandersetzung würde autoritäre Trends auch in westlichen Demokratien thematisieren. Gut möglich, dass am Ende dann ja tatsächlich die Einsicht stünde, dass auch bisweilen ähnlich scheinende Trends eben nicht auf das Gleiche hinauslaufen. Doch der Anstrengung sollte man sich unterziehen. Die Alternative ist eine Abkürzung durch das warme Bad der eigenen (westlichen) Selbstgerechtigkeit.

Die aber ist kein Zufall. An einer Stelle mokiert sich Applebaum ganz ernsthaft über außenpolitische Expert*innen, die sich immerzu darum bemühen, „die Welt als Serie von getrennten Fragestellungen zu begreifen.“  Für Applebaum ein Irrweg. Denn: „So blicken Autokraten nicht auf die Welt.“ Zu genaues Hinschauen als Problem. Darauf muss man auch ersteinmal kommen.

Keine Selbstkritik

Selbstkritik, eine Auseinandersetzung auch mit den Verfehlungen westlicher Staaten: Dafür gibt es bei Applebaum nicht nur keinen Raum, sondern auch keine Notwendigkeit. Der Bruch des Völkerrechts? Die selektive Anwendung von multilateralen Regeln, wenn es gerade nicht in den Kram passt? Irakkrieg? War da nicht was? Paperlapapp. Das Gute ist gut, weil es gut ist. Und das Gute sind wir. Sonst wären wir ja nicht gut. Verstanden?

Weniger gut hingegen ist das Lektorat zumindest der englischen Ausgabe. Immer wieder finden sich Ungenauigkeiten. Der syrische Diktator heißt Bashar, nicht Bashir al-Assad. Die beiden deutschen Staaten vereinigten sich 1990, nicht 1991, und in Berlin standen sich während des Kalten Krieges aufgrund des besonderen Status der Stadt eben keine Bundeswehrsoldaten und Sowjetpanzer gegenüber. Auch hier hätte ein etwas genauerer Blick gelohnt.

Am Ende ihres Essays warnt Applebaum zu Recht vor der Gefährdung der Demokratie. Freie Gesellschaften seien historisch betrachtet eine Seltenheit und dürften nie als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Sehr richtig. Auch ihr Schlussplädoyer trifft einen Punkt: Demokratien „können von innen und außen zerstört werden – durch Spaltung und Demagogie.“ Leider ebenfalls nur zu wahr. Doch Anne Applebaums aktuelles Buch hat zur Überwindung dieser Spaltung nichts Hilfreiches beizutragen. Eher im Gegenteil.

 

Anne Applebaum:
Die Achse der Autokraten. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten. Erschienen am 10. Oktober 2024.

Penguin, 208 Seiten, 26 Euro

Autor*in
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Michael Bröning

ist Politikwissenschaftler und Mitglied der SPD-Grundwertekommission.

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1 Kommentar

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Fr., 11.10.2024 - 13:17

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"Das Gute ist gut, weil es gut ist. Und das Gute sind wir. Sonst wären wir ja nicht gut"

So ist es doch auch. Sie Guten können machen was sie wollen und bleiben trotzdem die Guten. Angriffskrieg gegen die Yugoslawien? Halb so wild wenn wir das machen. Amerikaner foltern bis heute in Guantanamo? Schwamm drüber, unsere "Freunde" sind trotzdem die Guten. 20 Jahre Krieg in Afghanistan, der 10 Jahre lang auch in Deutschland gar nicht als "Krieg" bezeichnet werden durfte? War auch alles gut und richtig. Die "moralischste Armee der Welt" bombt Gaza in Schutt und Asche und verursacht so mehr als zehn mal so viele Opfer wie eine Terrororganisation? Das ist auch alles gut und richtig weil wir und unsere Freunde ja trotzdem immer die selbsternannten "Guten" bleiben. Wer jedoch daran zweifelt ob wir wirklich die "Guten" sind, den machen unsere guten "Qualitätsmedien" dann zum "antiwestlichen Putin-Troll", der "aus Moskau bezahlt" wird. Wir leben eben wirklich im allerbesten guten Deutschland, das es je gegeben hat.