Meinung

Getarnt als Friedensstifter: Was gegen Demokratiefeinde hilft

Ausgerechnet Demokratiefeinde geben sich friedensbewegt, wenn es um den Ukraine-Krieg geht. Das dürfen gerade Sozialdemokrat*innen nicht länger zulassen. 

von Christian Wolff · 1. August 2024
Demonstration für die Ukraine

Zum zweiten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine protestieren Demonstranten unter dem Motto "VictoryForPeace": Frieden verteidigen und Nein zum Krieg

Man reibt sich verwundert die Augen:

Donald Trump will den Ukraine-Krieg in einem Tag beenden, jedenfalls noch vor seiner Einführung als neuer Präsident der USA, sollte es überhaupt dazu kommen (was der liebe Gott und die Wähler*innen in den Vereinigten Staaten verhindern mögen!).

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der derzeit die EU-Rat Präsidentschaft innehat, begibt sich auf eigene Faust auf „Friedensmission“ in die Ukraine, nach Russland und China, sehnt sich Donald Trump als nächsten Präsidenten der USA herbei und begründet seine Motivation damit, dass die Waffen so schnell wie möglich schweigen müssen.

Der Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, Björn Höcke, ruft bei der Eröffnung des Landtagswahlkampfes zu einer „großen überparteilichen Friedensbewegung“ auf und möchte, dass lieber heute als morgen die Gaslieferungen aus Russland in Gang gesetzt werden.

Sahra Wagenknecht und ihr BSW wollen sofort einen Waffenstillstand herstellen und plädieren ebenfalls für die Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland.

Worum es beim Ukraine-Krieg geht

Alle Vorschläge werden gemacht von Leuten, die (bis auf Sahra Wagenknecht), ausgewiesene Demokratie-Zerstörer mit enormer krimineller Energie sind, nationalistisch-autokratischen Vorstellungen folgen und sich dabei im Einklang sehen mit dem, natürlich von ihnen definierten, „Volk“. 

In diesem Sinn sind sie „natürliche Partner“ des Putin-Russland. Diese Gemengelage verdeckt völlig, worum es beim Ukraine-Krieg geht. Russland hat diesen Krieg nicht vom Zaun gebrochen, weil es sich vom Westen oder der NATO bedroht gesehen hat. Das Putin-Russland verfolgt mit diesem Krieg seine nationalistisch-imperialistischen Ziele: die Herstellung eines großrussischen Reiches mit dem Anspruch, Weltmacht zu sein, bei gleichzeitiger ideologischer Gleichschaltung der Bevölkerung. 

Diesem Ziel stehen die inzwischen selbstständig gewordenen Teile der alten Sowjetunion wie die Ukraine, Belarus, Georgien, Moldawien dann im Wege, wenn sie ihre eigene Staatlichkeit verfolgen, sich zu freiheitlichen Demokratien entwickeln und langfristig Teil der EU werden wollen. Insofern verfolgt Putin mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine das Ziel, die Ukraine an einer eigenständigen Entwicklung zu hindern, den Autokratismus zu fördern und die westlichen Demokratien weiter zu destabilisieren.

Warum Deutschlands Politik auch gefährlich ist

Auf diesem Hintergrund ist mehr als auffällig: Alle oben aufgeführten Vorschläge, schnell zu einer Beendigung der kriegerischen Handlungen zu gelangen, haben weder die Bevölkerung der Ukraine, noch ihren politischen Willen, noch die Erhaltung der Staatlichkeit der Ukraine im Blick. Alle Vorschläge beziehen sich auf das Putin-Russland – so, als ob Putin „Opfer“ einer verfehlten Politik des Westens sei und nun in irgendeiner Weise besänftigt werden müsse (das jedenfalls ist immer der Unterton bei Sahra Wagenknecht).

Dennoch: Die ausschließlich auf die aktuelle Kriegführung und Waffenlieferungen ausgerichtete Politik der EU und Deutschlands ist mehr als gefährlich. Das gilt sowohl für das ideologisch aufgeheizte Stichwort „Kriegstüchtigkeit“ wie für den horrenden Ausbau der Rüstungsproduktion und die zwischen Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz abgesprochene Stationierung neuer Raketen auf deutschem Boden ohne jede Perspektive für Abrüstungsinitiativen und -verhandlungen. 

Warum eine Friedensperspektive wichtig ist

Gerade weil sich die militanten Vertreter*innen des nationalistischen Autokratismus derzeit als Teil einer „Friedensbewegung“ aufspielen, gerade weil sich derzeit im Nahen Osten die katastrophalen Folgen rein militärischer Interventionspolitik auf grauenhafte Weise zeigen, gerade weil die Kriege der letzten Jahrzehnte nur verbrannte Erde und Unregierbarkeit ganzer Regionen nach sich ziehen, ist es unerlässlich, dass Deutschland seine Politik, auch die militärische Unterstützung der Ukraine, endlich in eine überzeugende, öffentlich kommunizierte Friedensperspektive für Europa einbettet.

Wir dürfen gerade als Sozialdemokrat*innen nicht länger zulassen, dass diejenigen, die aus sehr durchsichtigen Gründen die Ukraine den imperialistischen Interessen Russlands ausliefern wollen, sich jetzt in den Wahlkämpfen als „Friedensstifter“ aufspielen können, während sozialdemokratische Politik als „kriegstreibend“ diffamiert werden kann. 

Deswegen sollte Verteidigungsminister Boris Pistorius den Begriff „kriegstüchtig“ schnellstens aus seinem Vokabular streichen. Darum muss die Sozialdemokratie gerade im Blick auf die Ukraine Grundzüge einer europäischen Friedenspolitik kommunizieren – und zwar durch ihre Mandatsträger*innen. 

Was jede und jeder Einzelne tun kann

Darum brauchen wir eine selbstbewusste öffentliche Debatte, um die – auch militärischen – Maßnahmen, die langfristig den Frieden sichern und vor allem Konsequenzen ziehen aus den verheerenden Fehlern kriegerischer Interventionspolitik in Afghanistan, Mali, Naher Osten. 

Doch den wichtigsten Beitrag kann heute schon jede und jeder für den Frieden leisten: hier vor Ort für die freiheitliche Demokratie eintreten; hier vor Ort den Menschen das Rückgrat stärken und für die Demokratie begeistern; hier vor Ort keinen Millimeter vor den derzeit säuselnden Vertreter*innen eines nationalistischen Autokratismus zurückweichen.

Resilienz und Widerstandsfähigkeit gegenüber den Versuchungen des Autokratismus werden nicht dadurch erzielt, dass man sich auf die Gewaltebene der Autokraten ziehen lässt. Resilienz wohnt den Werten inne, die Grundlage einer offenen, demokratischen Gesellschaft sind.

Dieser Text erschien zuerst im Blog von Christian Wolff.

Autor*in
Christian Wolff
Christian Wolff

ist evangelischer Theologe und seit 2014 als Blogger und Berater für Kirche, Politik und Kultur tätig. Seit 1970 ist er Mitglied der SPD.

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2 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 01.08.2024 - 19:49

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Dieser Kommentar wurde gelöscht, da er gegen Punkt 6 der Netiquette verstößt. Bitte beachten Sie die Netiquette!

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mo., 05.08.2024 - 11:37

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Donald Trump, Viktor Orbán und Björn Höcke die frontmen einer „großen überparteilichen Friedensbewegung“ - mit Sahra Wagenknecht im Schlepptau: „Ausgerechnet Demokratiefeinde geben sich friedensbewegt, wenn es um den Ukraine-Krieg geht. Das dürfen gerade Sozialdemokrat*innen nicht länger zulassen“.

Dagegen etwas zu machen, ist nicht ganz trivial, denn „die ausschließlich auf die aktuelle Kriegführung und Waffenlieferungen ausgerichtete Politik der EU und Deutschlands ist mehr als gefährlich“, sie ist „ideologisch aufgeheizt“ und der „horrende Ausbau der Rüstungsproduktion und die ... abgesprochene Stationierung neuer Raketen auf deutschem Boden (sind) ohne jede Perspektive für Abrüstungsinitiativen und -verhandlungen“. Treffender kann man die „Politik der EU und Deutschlands“ in Sachen Russland/ Ukrainekrieg nicht charakterisieren- man könnte noch einige andere schlimme Folgen anfügen; sie weist nirgendwo eine Friedensperspektive aus, außer, die Russische Föderation zieht ihre Truppen zurück. Da das nicht zu erwarten ist, bleibt nur der Krieg bis zur „Ermattung“ der russischen Armee. Dass die Ukraine vielleicht zuerst verblutet, schließen unsere Wortgewaltigen unisono aus. Eine „Friedensmission“, von wem auch immer, hat darum berechtigt viele Anhänger.
Wolff will diese „mehr als gefährliche Politik der EU und Deutschlands“ – „die katastrophalen Folgen rein militärischer Interventionspolitik zeigen sich ... derzeit im Nahen Osten auf grauenhafte Weise, ... die Kriege der letzten Jahrzehnte zogen nur verbrannte Erde und Unregierbarkeit ganzer Regionen nach sich“ - ablösen und mit Hilfe der „Sozialdemokratie ... Deutschlands Politik, auch die militärische Unterstützung der Ukraine, endlich in eine überzeugende, öffentlich kommunizierte Friedensperspektive für Europa einbetten“. Wie eine „Friedensperspektive“ aussehen könnte, lässt Wolff selbst andeutungsweise nicht erkennen, sie soll aber z. B „die verheerenden Fehler kriegerischer Interventionspolitik in Afghanistan, Mali, Naher Osten“ zukünftig vermeiden. Stattdessen will Wolff, solange „die Friedensperspektive für Europa noch nicht öffentlich kommuniziert“ wurde, dass „heute schon jede und jeder ... hier vor Ort für die freiheitliche Demokratie eintreten; hier vor Ort den Menschen das Rückgrat stärken und für die Demokratie begeistern; hier vor Ort keinen Millimeter vor den derzeit säuselnden Vertreter*innen eines nationalistischen Autokratismus zurückweichen“ und damit seinen/ihren Beitrag „für den Frieden leisten“. Was Wolff vorschlägt, ist eine sehr, sehr hintersinnige „Friedensmission“ und wird, da lege ich mich fest, für lange Zeit nicht einen Toten in der Ukraine vermeiden. Aber käme es nicht gerade darauf an?
Wir alle sollten mit Wolf auf eine „öffentlich kommunizierte Friedensperspektive für Europa“ bestehen. Ich fürchte allerdings, dass alle unsere Wortgewaltigen behaupten werden, die gäbe es doch bereits. Und sie wenden das mit Recht und (u. a.) Hinweis auf die Resolution des neuen Europaparlament ein, die prägnant kompakt erklärt: „Das Parlament begrüßt außerdem das Ergebnis des jüngsten NATO-Gipfels und bekräftigt seine Haltung, dass die Ukraine auf einem unumkehrbaren Weg zur NATO-Mitgliedschaft ist“ (Europäisches Parlament (17.7.24)). Damit bestehen EU und Deutschland auf der Nato-Strategie (EU- und) Nato-Osterweiterung - unbedingt noch um die Ukraine (und Georgien) – und damit auf dem Konfliktfeld, das zum Krieg geführt hat. Ob der Anspruch der Großmacht Nato, also der USA, in jedem Falle seine „geostrategische Umgebung“ ordnen zu dürfen, den „Werten entspricht, die Grundlage einer offenen, demokratischen Gesellschaft sind“, wage ich zu bezweifeln. Wenn zwei Großmächte, Nato und Russische Föderation, überschneidende geostrategische Interessen haben, hier der Staus der Ukraine (und Georgiens), dann müssen sie - beide - eine friedliche Lösung für das sonst nur durch Krieg zu lösende Problem finden. Aber „Versuche, mit Moskau über eine andere Form (außer dem Nato-Beitritt) von Sicherheit für ehemalige Sowjetrepubliken wie die Ukraine oder Georgien ins Gespräch zu kommen, gab es nicht. ... Der Westen hätte (sonst) seine Prinzipien verraten“. Heinrich August Winkler, ähnlich sieht es Wolff, – ganz sicher kein „`natürlicher Partner` des Putin-Russland“ - untertreibt hier stark: Der Westen hat es kategorisch abgelehnt, darüber mit Russland auch nur zu sprechen. Und selbstverständlich war allen Beteiligten klar, dass „Russland diese mehrfachen Osterweiterungen der Nato ablehnte“. In der Konsequenz hat „der Westen die Realitäten von Großmachtpolitik nicht beachtet und dafür muss die Ukraine nun den Preis zahlen (Nicole Deitelhoff: Blätter ... 6(2022)67; ich muss anmerken, dass Deitelhoff trotzdem „dem Westen“ keinerlei Verantwortung für den Krieg gibt.

"Das Putin-Russland verfolgt mit diesem Krieg seine nationalistisch-imperialistischen Ziele: die Herstellung eines großrussischen Reiches mit dem Anspruch, Weltmacht zu sein, bei gleichzeitiger ideologischer Gleichschaltung der Bevölkerung“. Dass „imperiale Besessenheit“ (Steinmeier, der es wissen muss als Chef des Bundeskanzleramtes (1999–2005), als Außenminister im Kabinett Merkel (2005–2009, 2013–2017) und Oppositionsführer (2009–2013)) der Grund für den Überfall auf die Ukraine gewesen ist, wissen alle unsere Wortgewaltigen. Aber seit der Friedenskonferenz in der Schweiz wissen wir es besser: „Amerika steht nicht aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem strategischen Interesse ist“ (Spiegel, 15.6.24). Mit diesem Satz hat Kamala Harris, Bidens Stellvertreterin, jetzt Nachfolgerin, nicht nur unser herrschendes Narrativ über den Kriegsgrund verdampft, sie hat auch klargemacht, wer im Westen über das Kriegsende bestimmt: Sobald die USA kein strategisches Interesse mehr an der Nato-Mitgliedschaft der Ukraine haben – siehe Trump -, gibt es einen „umkehrbaren Weg“ für das geschundene Land, das jetzt, wie alle unsere Wortgewaltigen immer wieder behaupten, unsere Freiheit, unsere Sicherheit verteidigt.

Ich verstehe gut, dass Wolff es nicht erträgt, dass z. B. „Sahra Wagenknecht und ihr BSW sofort einen Waffenstillstand herstellen wollen“, während er mindestens auf unabsehbare Zeit den Krieg für unvermeidlich hält. Dass er die Fortsetzung des Krieges als Konsequenz seiner analytischen Engführung „nationalistisch-imperialistische Ziele“ nicht thematisiert, ist auch nachvollziehbar, denn wer will schon gerne zugeben, dass gegen „imperiale Besessenheit“ nur der Krieg bis zur Ermattung des Gegners bleibt. US-Verteidigungsminister Austin drückte das am 25.4.22 in Kiew, als Selenskyj für kurze Zeit bereit war, mit Russland über die Neutralität der Ukraine zu verhandeln, so aus: „Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist“ (Tagesschau); wir „werden Russland niederringen müssen“ – notfalls „mithilfe der Bundeswehr“ (Frankfurter Rundschau zitiert „Ex-SPD-Chef Gabriel“ (Stand:15.06.2024)).In letzter Konsequenz: „Wir müssen die militärische Bedrohung, die von Russland für Europa ausgeht, mit allen Mitteln reduzieren, und langfristig eliminieren (Ex-Nato-Strategin Stefanie Babst zur WirtschaftsWoche am 09. Juli 2024).

Derzeit zeichnet sich ab, dass die Ukraine Russland nur besiegen könnte, wenn sie die Kampfhandlungen bis weit auf russisches Gebiet ausdehnen würde. Die Nato, EU, Deutschland könnten sie dazu ertüchtigen – der Westen trägt ja schon jetzt die ganze Last des Krieges, ausgenommen die beiden Ressourcen Boden und Personal. Ob allerdings eine Atommacht sich auf eigenem Boden besiegen lassen wird, oder ob sie sich dann daran erinnert, dass sie eine Atommacht ist, scheint mir noch nicht ausgemacht. Wir sollten das nicht austesten wollen.

Der Ukraine-Krieg kann nur nachhaltig beendet werden, eine „überzeugende Friedensperspektive für Europa“ nur gefunden werden, falls Nato, EU und Deutschland auch der Russischen Föderation das Recht auf geostrategisches Danken und Handeln zubilligen, das sie ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Und die geostrategische Bedeutung der Ukraine ist für Nato/USA und Russische Föderation leider bisher nicht ausgeglichen worden – und bei geostrategischen Notwendigkeiten hat auch die Führungsmacht der Nato keine Probleme damit, Krieg als legitimes Mittel der Politik zu begreifen.

Der Beitrag von Wolff ist nicht sehr hilfreich bei der Suche nach einer „überzeugende Friedensperspektive für Europa“; selbst aus der Einsicht, dass „die ausschließlich auf die aktuelle Kriegführung und Waffenlieferungen ausgerichtete Politik der EU und Deutschlands mehr als gefährlich ist“, zieht Wolff (fast) keine Konsequenzen. Schade.