Kultur

Holocaust-Ausstellung im Willy-Brandt-Haus: Zwischen Leben und Überleben

Der Fotokünstler Olaf Schlote spürt in seiner Ausstellung der Lebenswelt von Überlebenden des Holocaust nach. Seine Aufnahmen ziehen eine Verbindungen zwischen dem Unvorstellbaren und dem, was folgte.

von Lea Hensen · 28. Januar 2025
Die Aufnahmen von Olaf Schlote sind derzeit im Willy-Brandt-Haus zu sehen.

Die Aufnahmen von Olaf Schlote sind derzeit im Willy-Brandt-Haus zu sehen.

Als erstes schaut man in Gesichter. Die Menschen auf den übergroßen Porträtfotos, die von hinten beleuchtet sind, scheinen frei von Schmerz oder Trauer, auch keine Anklage spricht aus ihrem Blick. Dabei sind es die einzigen Menschen, die heute noch das Unvorstellbare erinnern: Den Holocaust, dem sie selbst entkamen, bevor sie ein neues Leben beginnen mussten in einem fremden Land.

80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz zeigt der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus eine Ausstellung über den Übergang vom Überleben zum Leben. Der Fotokünstler Olaf Schlote hat sich auf eine Reise begeben: Zu den Schreckensorten des NZ-Regimes in Auschwitz, Majdanak oder Stutthof, bis nach Israel, wo Jüdinnen und Juden der ersten Einwander-Generation eine neue Lebenswelt aufbauten, ohne ihre Traumata jemals zu überwinden.

Seine Fotos sind im Willy-Brandt-Haus zwischen Erdgeschoss und zweiter Etage verteilt. Die von hinten beleuchteten Fotos sind zwischen 1992 bis 2024 entstanden, aus ihnen sprechen intensive, offene Begegnungen. Das Begleitheft zur Ausstellung, das im Haus ausliegt, informiert über die Biografien der Porträtierten, in Auszügen sind dort Interviews mit ihnen abgedruckt, die vollständig auf der Website des Künstlers zu lesen sind. 

Für immer Europäer*innen

In seinen Gesprächen hat der Künstler eine Gemeinsamkeit erkannt: „Der Großteil der Porträtierten fühlt sich immer noch als Europäer*innen", schreibt er. „Sie berichteten mir immer wieder von ihren Erinnerungen an den europäischen Wald mit seinen Bäumen, dem modrigen Geruch, der Kühle und den Lichtungen." Diese Verbundenheit zu Europa schildert auch Moshe Zimmermann. Die Fotos des heute 81-jährigen Historikers und emeritierten Professors hängen im Schaufenster im Erdgeschoss. Zimmermann wurde in Israel geboren, als Doktorand hat er seine Wurzeln in Hamburg wiederentdeckt. Heute bezeichnet er Hamburg als seine Heimat. Über die Jüdinnen und Juden in Israel und die Menschen in Hamburg sagt er: „Wir sprechen dieselbe Sprache – nicht nur rein technisch, sondern da ist der Dialekt, die Denkweise, die Haltung.“  

Bild entfernt.

Neben den menschlichen Begegnungen geht Schlote auf Spurensuche in den Orten des Grauens, den deutschen Konzentrationslager Auschwitz oder Majdanak. Zu sehen sind Bahngleise und Baracken, die durch Belichtung und Aufnahme nicht statisch, sondern in Bewegung erscheinen. Erklärungen und Bildunterschriften sucht man vergebens. Die Aufnahmen kommen ohne Worte aus und schaffen dabei Raum für eigene Gedanken und Assoziationen. 

Entwurzelt und verwurzelt

Eigene Assoziationen wecken auch die Naturaufnahmen, die im Werk des Künstlers, 1961 in Bremen geboren, eine große Rolle spielen. Mehrere Fotos zeigen das üppige Wurzelwerk Indischer Fici-Bäume, die die ersten Einwander*innen in Israel pflanzten. „Von ihrem beeindruckenden Überlebenswillen getragen, gelang es ihnen, die Böden urbar zu machen“, schreibt der Künstler. Die Luftwurzeln sollen metaphorisch für die Entwurzelung der Jüdinnen und Juden aus Europa und ihre neue Wurzeln in Israel stehen.

Das Werk von Olaf Schlote zeichnet eine besondere Bildsprache aus, die über das Fotografierte hinausweist. Schön zu erkennen ist das auf einem Foto des ersten jüdisch-koscheren Restaurants an der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte. Zu sehen ist eine Kellnerin mit einem Tablett, doch ihr Gesicht ist nicht zu erkennen, da das Foto durch die Fensterscheibe aufgenommen wurde und sich darin die Häuserreihe mit der jüdischen Synagoge und, weiter hinten, der Berliner Fernsehturm spiegeln.

Die Ausstellung ist noch bis zum 27. April 2025 zu sehen im Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28, 10963 Berlin. Die Öffnungszeiten sind von dienstags bis sonntags, jeweils von zwölf bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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