Neuwahlen in Frankreich: Diese Szenarien drohen Macron
Der französische Präsident beschwört einen Bürgerkrieg herauf, wenn Extremisten von Rechts oder auch Links die Wahlen am kommenden Sonntag gewännen. Er allein verhindere das Chaos, lautet Macrons Botschaft.
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Mit den realen Temperaturen, die in Paris innerhalb von 48 Stunden von zwölf auf 32 Grad nach oben schossen, erhitzen sich auch die Gemüter und die politischen Diskussionen. So betonen Politiker – egal aus welchem Lager – die vorgezogenen Parlamentswahlen seien von historischer Bedeutung, die Fünfte Republik stehe vor ihrer Entscheidungswahl.
Richtig daran ist: Die Rechtsradikalen von Marine Le Pens „Rassemblement National" waren der Macht niemals so nahe wie dieser Tage. Sie werden im ersten Wahlgang das Ergebnis der Europawahl von 31,5 Prozent mindestens halten, wahrscheinlich sogar noch ausbauen können, so sämtliche Prognosen. Nur was passiert dann im zweiten?
Linke tritt mit gemeinsamer Liste an
Vor diesem Hintergrund hat sich die Linke zusammengerauft. „Nouveau Front populaire" (NFP), neue Volksfront, heißt die gemeinsame Liste von Sozialisten, Kommunisten, Ökologen und von Jean-Luc Mélechons „La France insoumise", in bewusster Anspielung auf die Regierungskoalition von 1936 unter Léon Blum. Rund 30 Prozent werden der NFP als möglich vorhergesagt.
Macrons Lager liegt abgeschlagen bei unter 20 Prozent auf Platz 3. Eine bürgerlich-liberale Mehrheit ist in der nächsten Nationalversammlung faktisch ausgeschlossen. Ja, es ist nicht einmal klar, ob es eine erkleckliche Zahl seiner Gefolgsleute überhaupt in die Stichwahlen am 7. Juli schafft. Mit dem mutwilligen Ausrufen von Neuwahlen hat Macron vor allem sein eigenes Lager entscheidend geschwächt. Auch deshalb bemüht er die Bürgerkriegsrhetorik.
Sein Leben lang ist dem 46-Jährigen immer alles mit Bravour gelungen. Er kann sich anscheinend nicht vorstellen, dass das nicht so bleiben muss. Er polarisiert mit allen Mitteln, mit dem Ziel, der Öffentlichkeit zu vermitteln, es gebe nur eine Alternative: Ich, Macron oder Chaos.
Präsident noch mindestens drei Jahre im Amt
Er hat angekündigt, Präsident zu bleiben, egal wie die Wahl ausgeht. Eine Selbstverständlichkeit, denn das Wahlergebnis tangiert seine zweite Amtszeit objektiv nicht. Die endet erst in drei Jahren. Das Chaos, vor dem Macron beständig warnt, hat er höchstselbst produziert, um nicht zu sagen verschuldet, und das nicht nur mit dieser Neuwahl. Seine Politik ist derartig unbeliebt, zum Teil regelrecht verhasst, dass ihn Rechte, Linke, wie Bürgerliche möglichst schnell aus dem Amt jagen wollen.
Überhaupt wird der Wahlkampf von drei Personen bestimmt, die gar nicht zur Wahl stehen. Der Präsident darf nicht kandidieren, Mélenchon will nicht, und Marine Le Pen stünde, selbst wenn ihre Partei die absolute Mehrheit gewinnen sollte, nicht als Regierungschefin zur Verfügung. Das Denken dieser drei kreist ausschließlich um den Élysée, um die Macht im Präsidentenpalast.
Gewählt wird das französische Parlament, und das in zwei Anläufen. In der ersten Runde scheidet zwingend aus, wer weniger als 12,5 Prozent der Stimmen erhält. In aller Regel ziehen aber auch die Drittplatzierten zurück, um stattdessen eine Wahlempfehlung zugunsten eines der Erstplatzierten auszusprechen. Bisher galt dabei unumstößlich: Niemals wird zur Wahl des RN aufgerufen.
Macron wird sich verspekulieren
Im zweiten Urnengang gilt die relative Mehrheit. Die war so für Rechtsextreme lange nicht erreichbar. In der Regel wählt das bürgerliche Frankreich nicht rechtsradikal. Bislang! Aber ein Gutteil der „Rébublicain", der konservativen Partei in der Nachfolge de Gaulles, hat diese Linie unterdessen verlassen.
Macron scheint weiter darauf zu bauen, ebenso wie auf die sogenannten „triangulaires", also Stichentscheide mit drei qualifizierten Kandidaten in der zweiten Runde. Denn ab 12,5 Prozent der Stimmen kann man erneut antreten. 2022 gab es nur acht solcher „triangulaires", diesmal könnten es Dutzende werden. Und doch, Macron wird sich verspekulieren. Seine Gefolgsleute (von denen sich einige bereits absetzen) werden mehrheitlich abgestraft werden.
Die Neue Volksfront als Hoffnungsträger
Schon ihrer Gründung haften leider schwere Makel an, alle verbunden mit Jean-Luc Mélenchon. Viele Sozialdemokrat*innen sind mehr als unglücklich über die erneute Allianz mit der Partei des Linkspopulisten. Ex-Präsident Francois Hollande wird sich in Corrèze um ein Mandat bewerben, bezeichnenderweise als Einzelkandidat, nicht für die Volksfront. Er ist nicht der Einzige.
So wenig wie Mélenchon seinen Antisemitismus und seinen Deutschenhass jemals zügeln wird, so wenig wird er seinen unbedingten Führungsanspruch zurückschrauben. Die Liste der Neuen Volksfront hat er bereits gekapert. Dort stehen 50 Mitgliedern der Kommunisten, 92 Grünen und 175 Kandidat*innen aus den Reihen der Sozialistischen Partei – was ungefähr den Stärkeverhältnissen entspricht – 230 von Mélenchon persönlich ausgewählte Kandidat*innen vom „La France insoumise" (LFI) „zur Seite“.
Viele halten „Rassemblement National" für glaubwürdiger
Schon die Anzahl ist nicht zu rechtfertigen – Sozialisten schnitten bei den Europawahlen vier Prozent besser ab als der die Linkspopulisten des LFI. Aber obendrein sicherte Mélenchon dem LFI nicht nur die Mehrzahl der Wahlkreise, sondern auch die sichersten. Und er setzte noch eins drauf, nutzte die Nominierungen für innerparteiliche Säuberungen. Wer es je wagte, Kritik an seiner Person oder Politik zu äußern, wurde nicht aufgestellt.
Der berühmte „Nazijäger“ Serge Klarsfeld, dessen Vater in Auschwitz ermordet wurde, hat öffentlich bekundet, wenn er gezwungen sei, sich zwischen einem Kandidaten der RN und des LFI zu entscheiden, werde er sicher den Rechtsnationalisten wählen, denn der sei wenigstens nicht antisemitisch. So bitter es ist, diese Ansicht teilen sehr viele Menschen in Frankreich. 36 Prozent der Wähler*innen halten LFI für „gefährlicher“ als den RN, ein Drittel befindet den RN für „glaubwürdiger“ und „kompetenter“ als LFI. Ein gutes Wahlergebnis der Linken muss also trotz, ja gegen Mélenchon erreicht werden.
Kommt ein Technokraten-Kabinett?
Und trotzdem wird ein gutes Abschneiden der Neuen Volksfront defacto vor allem Mélenchon nützen. Seine Kandidaten werden zwar nicht den Wahlkampf bestimmen, aber voraussichtlich die ins Parlament gewählte Fraktion. Lauthals verkündete er, die Regierungsmacht in Frankreich anzustreben.
Den Ausgang des zweiten Wahlgangs am 7. Juli vermag vor diesem Hintergrund derzeit noch niemand zu prognostizieren. Denn klar ist: Keines der drei möglichen Szenarien wäre wirklich gut. Die absolute Mehrheit der LePenisten mit einem Premier Jordan Bardella wäre ein regelrechtes Drama für Frankreich wie für Europa. Eine (unwahrscheinliche) Mehrheit der Volksfront nützte in erster Linie Mélenchon und würde schon deshalb kaum lange halten.
Die wahrscheinlichste Variante, ein Parlament, in dem keiner über eine Mehrheit verfügt, hätte auch wenig erfreuliche, vor allem wenig demokratische Konsequenzen. Macron würde voraussichtlich ein Technokraten-Kabinett einsetzen und alle Entscheidungsmacht bliebe bei ihm.