EU-Parlament: Unter welchen Bedingungen die SPD-Abgeordneten von der Leyen wählen würden
Nach der Europawahl beginnt das Ringen um Mehrheiten im neuen Parlament. Die sozialdemokratische S&D-Fraktion spielt dabei eine entscheidende Rolle, meint der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten, René Repasi – und nennt die Bedingungen für eine Wahl Ursula von der Leyens zur Kommissionspräsidentin.
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René Repasi: Die Menschen, die die SPD wählen, wollen sicher sein, dass auch progressive Politik gemacht wird.
Vor einer Woche hat die SPD das schlechteste Ergebnis bei einer Europawahl eingefahren. Mit etwas Abstand: Woran lag es?
Die SPD hat bei der Europawahl eine krachende Niederlage eingefahren. Daran gibt es nichts schönzureden. Das müssen und das werden wir analysieren. Der Fokus sollte dabei auf der Wählerwanderung liegen. Dabei sticht heraus, dass die SPD 2,5 Millionen Wähler an das Lager der Nichtwähler verloren hat. Das ist erschreckend, gibt aber auch Hoffnung, weil wir diese Menschen mit der richtigen Ansprache auch wieder zurückgewinnen können. Der Schwerpunkt, den wir im Wahlkampf auf den Kampf gegen rechts gesetzt haben, hat nicht ausgereicht, sie zur Wahl zu mobilisieren.
Hat die SPD insgesamt im Wahlkampf auf die falschen Themen gesetzt?
Nein, im Gegenteil. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Themen die richtigen waren und sind: ein soziales, ein handlungsfähiges und ein zukunftsfähiges Europa. Die Menschen fühlen sich da schon abgeholt. Das habe ich auch im Wahlkampf gemerkt.
Das Problem ist eher, dass sie das Gefühl haben, dass wir die Dinge, die wir versprechen, nicht umsetzen. In der Ampel hat das vor allem damit zu tun, dass Kleinstparteien sozialdemokratische Projekte verhindern.
In einem größeren Kontext hat das etwas mit der immer geringer werdenden Handlungsfähigkeit des Staates zu tun. Wem etwa bessere Kinderbetreuung versprochen wird, der fühlt sich abgeholt. Wenn dann die Warteliste für einen Kita-Platz noch länger wird, der ist enttäuscht. Die Menschen, die die SPD wählen, wollen sicher sein, dass auch progressive Politik gemacht wird. Wenn das nicht stattfindet, schafft das Frustration.
Wie lässt sich die durchbrechen?
In erster Linie, indem der Staat beweist, dass er handlungsfähig ist. Wenn überall Kita-Plätze fehlen, die Bahn nicht kommt oder die Straßen tiefe Löcher haben, verlieren die Menschen das Vertrauen in den Staat. Deshalb müssten sich jetzt alle demokratischen Parteien unterhaken und die Handlungsfähigkeit von Politik wiederherstellen. Die Aufhebung der Schulendbremse wäre hier ein wichtiges Signal.
Bisher gab es 16 SPD-Abgeordnete im Europaparlament, nun sind es nur noch 14. Wie verändert das die Arbeit?
Wir müssen uns noch mehr unterhaken, um unsere gemeinsamen Aufgaben gewuppt zu bekommen. Die Bezahlung der Mitarbeiter unserer Gruppe gehört ebenso dazu wie die thematische Arbeit. Da müssen wir uns breiter aufstellen, weil wir die verschiedenen Politikfelder nun zu vierzehnt statt zu sechzehnt abdecken müssen.
Aber auch der Abstand zu den beiden größten Gruppen innerhalb der S&D-Fraktion, Italien und Spanien, ist mit diesem Ergebnis größer geworden. Diesen numerischen Abstand müssen wir durch politisches Können ausgleichen. Hier bin ich jedoch sehr optimistisch, weil wir sehr viele Talente in unserer Gruppe haben.
Haben die SPD-Abgeordneten damit weniger Gewicht in Brüssel?
Nein, denn obwohl wir weniger Abgeordnete haben als bisher, können wir inhaltlich und qualitativ weiterhin sehr viel einbringen. Schon in der vergangenen Legislatur waren unsere Abgeordneten überproportional unter den Fach-Sprecherinnen und -Sprechern vertreten, weil sie über die nötige Expertise verfügen. Das wird sich in der neuen Legislatur fortsetzen.
Zudem bleibt unsere Gruppe die drittgrößte in der S&D-Fraktion und wird deshalb auch weiterhin bei allen politischen Entscheidungen mitreden. Das wird allerdings zeitintensiver, weil die Arbeit auf weniger Schultern verteilt ist.
„Auf die S&D-Fraktion wird es in der kommenden Legislatur noch mehr ankommen als in der Vergangenheit"
Nachdem Sie im März Vorsitzender der SPD-Gruppe geworden sind, haben Sie gesagt, die S&D-Fraktion müsse gegenüber der konservativen EVP öfter auch mal Nein sagen. Wie sollte die Strategie der Fraktion für die kommenden fünf Jahre aussehen?
Das wird eine der entscheidenden Fragen sein. Auf die S&D-Fraktion wird es in der kommenden Legislatur noch mehr ankommen als in der Vergangenheit. An der Frage, wie wir uns aufstellen und positionieren, wird sich entscheiden, ob die EVP die Brandmauer nach rechts aufrechterhält oder runterfährt.
Die EVP will nach meiner Einschätzung eine pro-europäische Mehrheit hinter sich wissen. Eine pro-europäische Mehrheit im Europaparlament gibt es aber nur mit der S&D-Fraktion. Wenn wir uns verweigern, gibt es für die EVP nur die Möglichkeit, nach rechts außen zu gehen.
Wir müssen deshalb der EVP einerseits deutlich machen, dass wir grundsätzlich mit ihr zusammenarbeiten wollen, andererseits aber auch den Preis für unsere Zusammenarbeit klar benennen. Die EVP muss wissen, dass sie nicht mit unseren Stimmen rechnen kann, wenn sie Vorlagen gemeinsam mit den Rechten verwässert, wie sie es etwa beim Renaturierungsgesetz getan hat.
Tut sie es doch, muss sie in Form einer Abstimmung mit rechtsradikalen Kräften Farbe bekennen. Das ist ein schmaler Grat, auf dem wir wandern müssen. Deshalb wird unsere Aufgabe herausfordernd sein.
Wie soll das konkret aussehen?
Wir sollten immer mit einem glaubhaften, nicht einem spontanen Nein drohen können. Ich schlage deshalb vor, jetzt ein Rahmenabkommen mit der EVP, den Liberalen und den Grünen abzuschließen, in dem wir uns zueiner strukturierten Zusammenarbeit der pro-europäischen Kräfte verpflichten – nicht nur für die Wahl der Kommissionspräsidentin, sondern auch für die Umsetzung der konkreten Politik in den kommenden fünf Jahren. Immer, wenn die EVP der Versuchung nachgibt, in den Ausschüssen mit den extremen Rechen zusammenzuarbeiten, könnten wir ihr dann in der Endabstimmung unsere Zustimmung verweigern. Dafür müssen wir aber im Vorhinein unsere inhaltlichen roten Linien klar festlegen.
Und mit einem solchen Rahmenabkommen wären die SPD-Abgeordneten auch bereit, Ursula von der Leyen erneut zur EU-Kommissionspräsidentin zu wählen?
Dafür wäre solch ein Rahmenabkommen, das sich auf die politische Mitte fokussiert, in der Tat wichtig. Ebenso wichtig ist aber, dass Frau von der Leyen jetzt ein politisches Programm für die kommenden fünf Jahre vorlegt, in dem sozialdemokratische Inhalte vorkommen und keine Zugeständnisse an die Rechtsradikalen enthalten sind. Wenn diese Punkte erfüllt sind, kann sich die Europa-SPD vorstellen, für Frau von der Leyen zu stimmen.
Zentrales Projekt der EU-Kommission in den vergangenen fünf Jahren war der „Green Deal“. Was sollte aus Ihrer Sicht die kommende Legislatur prägen?
Nachhaltige Energiesicherheit und ökologisch-soziale Wettbewerbsfähigkeit sind aus meiner Sicht die entscheidenden Schlagworte für die kommenden fünf Jahre. Europas Unternehmen brauchen Energiesicherheit aus nachhaltigen Quellen. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass die Unternehmen, die sich auf den Weg der klimaneutralen Transformation machen, die Unterstützung bekommen, die sie brauchen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
vdLaien
Also wenn ich ein meinem Gewissen verpflichteter SPD Abgeordneter von der SPD wäre würde Frau vdL meine Stimme nicht bekommen. Schuß, aus, Punkt. Noch habe ich Rückgrat !!!
EU-Parlament
Ich sehe es genau so. Denn vdL hat in ihrer Vergangenheit bewiesen, dass sie sich nicht an Absprachen sowie gar an Beschlüsse des Parlaments hält, indem sie Ungarn Geld zukommen ließ, obwohl es einen gegenteiligen Beschluss gab, woraufhin die Kommission sogar vor dem EU-VGH verklagt wurde.
Sie hat als Bundesverteidigungsministerin ihren Etat voll ausgeschöpft, obwohl nach ihrem Abgang nach Brüssel nur untaugliche Geräte und keine Munition vorhanden war; was hat sie mit dem Geld gemacht außer Beraterverträge abgeschlossen?