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Auf den Kanzler kommt es an: Bleibt von der Leyen Chefin der EU-Kommision?

Ursula von der Leyen braucht für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission die Zustimmung von Olaf Scholz. Doch der Kanzler stellt ihr dafür eine glasklare Bedingung.

von Lars Haferkamp · 17. Juni 2024
Gibt der Kanzler die Richtung vor? Olaf Scholz (r.) am 13.06.2024 auf dem G7-Gipfel mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (m.) und Italiens Ministerpräsidentin und Gastgeberin Giorgia Meloni (l.)

Gibt der Kanzler die Richtung vor? Olaf Scholz (r.) am 13.06.2024 auf dem G7-Gipfel mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (m.) und Italiens Ministerpräsidentin und Gastgeberin Giorgia Meloni (l.)

Die EU-Staats- und Regierungschef*innen treffen sich am Montagabend in Brüssel. Hauptthema der Runde dürften Personalfragen sein. Konkret soll es dabei um die Positionen an der Spitze der EU-Kommission, des Europäischen Rates, des Europäischen Parlamentes und der Hohen Vertretung der EU für Außen- und Sicherheitspolitik gehen. Die Ämter sollen – wenn möglich – ausgewogen verteilt werden: nach Parteizugehörigkeit, nationaler Herkunft und Geschlecht.

Nachdem die konservativ-bürgerliche Europäische Volkspartei (EVP) bei der Europawahl am 9. Juni erneut stärkste Kraft im EU-Parlament geworden ist, hofft CDU-Politikerin Ursula von der Leyen auf eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin. EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber (CSU) wünscht sich eine rasche Bestätigung seiner Parteifreundin durch die 27 EU-Staats- und Regierungschef*innen.

Scholz: Zweite Amtszeit von der Leyens möglich

In der Runde der 27 – dem EU-Rat – braucht von der Leyen zwar keine einstimmige Zustimmung, sie braucht aber eine sogenannte „qualifizierte Mehrheit“. Die zwölf Mitglieder der EVP-Parteienfamilie dürften ihrer Kandidatur zustimmen. Das ist aber nicht die Mehrheit. Sie braucht im EU-Rat mindestens 15 Stimmen. 

Für die „qualifizierte Mehrheit“ muss die Mehrheit im EU-Rat aber auch 65 Prozent der EU-Bevölkerung entsprechen. Und dabei hat Deutschland, das mit knapp 85 Millionen Einwohner*innen bevölkerungsstärkste Land der EU, das größte Gewicht. Auf den Kanzler kommt es also an.

„Natürlich ist klar, dass nach dem Ergebnis der Wahlen alles dafür spricht, dass es eine zweite Amtszeit geben kann von Ursula von der Leyen“, so Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande des G7-Gipfels gegenüber dem Sender Welt TV. Wohlgemerkt: „geben kann“. Denn ob es sie tatsächlich geben wird, hängt davon ab, welche Mehrheiten sich von der Leyen im EU-Parlament für die Wahl sucht.

SPD toleriert keine Kooperation mit Rechtsextremen

„Für mich ist klar: Wenn die nächste Kommission gebildet wird, darf sie sich nicht auf eine Mehrheit stützen, bei der es auch die Unterstützung von Rechtsextremen braucht“, betonte der Kanzler gegenüber Journalist*innen vor der EU-Wahl. 

Die Wahl einer neuen Kommissionsspitze werde nur dann gelingen, wenn diese sich auf die „traditionellen Parteien“ stütze. Konkret nannte Scholz dabei die Christdemokrat*innen, die Sozialdemokrat*innen und die Liberalen. „Alles andere wäre für Europas Zukunft ein Fehler“, warnte er. Nach der EU-Wahl bekräftigte der Kanzler seine Linie und verwies auf die Mehrheit der drei Parteienfamilien im EU-Parlament.

Bereits im Europawahlkampf hatten auch die beiden Spitzenkandidat*innen Nicolas Schmit und Katarina Barley klargemacht: Eine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen kommt für sie unter keinen Umständen in Frage. Sollte von der Leyen also mit Rechtsaußen kooperieren, würde dies wohl das Ende für die Zusammenarbeit der Sozialdemokratie mit der EVP bedeuten. Es käme erstmals in der Parlamentsgeschichte der EU zum großen Bruch zwischen beiden Kräften.

Welche Mehrheiten bilden sich im EU-Parlament?

Somit ist eine der spannendsten Fragen der Personalie von der Leyen: Wo kommt ihre Mehrheit von mindestens 361 Stimmen im Europäischen Parlament her? Denn die braucht sie neben der Mehrheit im EU-Rat auch noch. Christdemokrat*innen, Sozialdemokrat*innen und Liberalen verfügen mit zusammen 406 Mandaten über eine Mehrheit im Parlament. Bei der geheimen Abstimmung wird allerdings mit Abweichler*innen gerechnet.

Für die Position des EU-Ratspräsidenten – er leitet die Sitzungen des EU-Rates – gilt António Costa als aussichtsreicher Anwärter. Der Sozialist war von 2015 bis zum April 2024 Ministerpräsident von Portugal. Er trat wegen Korruptionsvorwürfen zurück, die sich später als haltlos erwiesen. Costa würde die Nachfolge des bisherigen Ratspräsidenten Charles Michel antreten, der den Liberalen angehört.

Das Ziel ist ein ausgewogenes Personaltableau

Neue EU-Außenbeauftragte könnte die liberale estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas werden. Sie profilierte sich bisher, besonders beim Thema Ukraine, mit einem strikten Anti-Putin-Kurs. Im Fall ihrer Amtsübernahme würde sie Nachfolgerin des spanischen Sozialdemokraten Josep Borrell. Die Sozialdemokratie besetzt das das Amt des/der Außenbeauftragten bereits seit seiner Einführung im Jahr 2009.

Der vierte wichtige Position, um die es heute aber gehen könnte, ist die Präsidentschaft im EU-Parlament. Dieses Amt wechselt in der Regel nach zweieinhalb Jahren zwischen den beiden stärksten Fraktionen, der EVP und der sozialdemokratischen S&D-Fraktion. Die Parlamentspräsidentin der letzten Wahlperiode, die maltesische Christdemokratin Roberta Metsola, möchte im Amt bleiben. Für den zweiten Teil der Legislatur ist die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley im Gespräch. Sie war von 2019 bis 2024 Vizepräsidentin des EU-Parlamentes.

Welche Rolle spielen Meloni und die Rechtsextremen?

Nicht berücksichtigt in dieser Planung ist jedoch die Kräfteverschiebung bei den EU-Wahlen am 9. Juni: der Rechtsruck und der Stimmenverlust der Liberalen. Und die neue starke Frau in der EU, Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, von den rechtsextremen Fratelli d’Italia. Nach deren gutem Wahlergebnis wird erwartet, dass sie ein wichtiges Amt für Italien reklamieren will. 

Vor dem heutigen Treffen der Staats- und Regierungschef*innen verwies Meloni bereits auf den Rechtsruck bei der Europawahl und stellte klar: „Was mich interessiert, ist, dass Italiens Rolle anerkannt wird.“

Nach der Europawahl 2019 dauerte es übrigens fünf Wochen, bis man sich in der EU auf die Besetzung der Spitzenpositionen geeinigt hatte. Diesmal – so ist aus Brüssel – zu hören, soll es schneller gehen. Dass dort schon heute Abend weißer Rauch aufsteigt, gilt als möglich. 

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 17.06.2024 - 17:39

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Auf dem Bild sehe ich keine Brandmauer zwischen Scholz und Meloni - große Distanz auch nicht. Gibt es denn inhaltlich große Differenzen ?