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Vertrauensfrage: Wie es laut Grundgesetz nach dem Ampel-Aus weitergeht

Die Ampel-Regierung ist seit Mittwochabend zu Ende. Doch was kommt jetzt? Den Weg von der Vertrauensfrage bis zu den Neuwahlen gibt die Verfassung vor. Ein Überblick

von Lea Hensen · 7. November 2024
Nach dem Ampel-Aus werden wahrscheinlich Neuwahlen folgen.

Nach dem Ampel-Aus werden wahrscheinlich Neuwahlen folgen.

Nach dem Aus für die Ampel-Koalition hat Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, im Bundestag die Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes zu stellen, und zwar in der ersten Sitzungswoche im neuen Jahr, genauer am 15. Januar 2025. Dann müssen die Abgeordneten darüber abstimmen, ob sie den Kanzler weiterhin unterstützen. Scholz kann die Vertrauensfrage entweder allgemein stellen, oder an eine bestimmte Sachfrage knüpfen – so wie Gerhard Schröder 2001 mit der Abstimmung über den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. 

CDU-Chef Friedrich Merz fordert, dass Scholz die Vertrauensfrage nicht erst im Januar, sondern sofort stellt. Letztendlich entscheidet aber nur der Kanzler über den Zeitpunkt. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kann den Zeitpunkt der Vertrauensfrage nicht vorgeben.

Warum will Scholz die Vertrauensfrage erst im Januar stellen?

Scholz stellt die Vertrauensfrage, weil er bereits erwartet, dass er keine Mehrheit bekommt. Damit könnte es nach dem Ende der Ampel-Koalition zu Neuwahlen kommen. Um in diesem Jahr noch einige Gesetzesvorhaben abzuschließen, will Scholz diesen Schritt erst im Januar 2025 gehen. Bis dahin würde Rot-Grün mit einer Minderheitsregierung regieren und braucht für jedes Gesetzesvorhaben, unter anderem für den Haushalt 2025, die zumindest teilweise Unterstützung der Opposition. Da die Union als größte Oppositionsfraktion aber die sofortige Vertrauensfrage fordert, bleibt abzuwarten, welche Gesetzesvorhaben tatsächlich beschlossen werden können.

Die einzige Möglichkeit, den Bundeskanzler früher abzusetzen, wäre ein „konstruktives Misstrauensvotum“, wie es der Artikel 67 im Grundgesetz vorschreibt. Demnach müsste aber ein anderer Kanzlerkandidat aus den Reihen des Bundestags eine Mehrheit bekommen. Darauf könnte am ehesten CDU-Chef Friedrich Merz hoffen, doch auch bei ihm würden die Stimmen der derzeit 196 Abgeordneten der Unionsfraktion nicht reichen.

Wie kommt es danach zu den Neuwahlen?

Bundeskanzler Olaf Scholz muss laut Grundgesetz die Vertrauensfrage beantragen. Frühestens 48 Stunden später stimmt der Bundestag darüber ab. Das soll am 15. Januar passieren. Wenn Scholz keine Mehrheit bekommt, ist der Bundespräsident am Zug. Frank-Walter Steinmeier hat laut Artikel 68 Grundgesetz maximal 21 Tage Zeit, den Bundestag aufzulösen.

Entscheidet er sich gegen Neuwahlen, würde Rot-Grün mit einer Minderheitsregierung weiterregieren – und wäre bei jedem Gesetzesvorhaben auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Entscheidet er sich für Neuwahlen, wird der Bundestag aufgelöst. Artikel 39 Absatz 1 Satz 4 des Grundgesetzes gibt vor, dass die Neuwahl innerhalb von 60 Tagen nach Auflösung des Bundestags stattfinden muss. Ein Wahltermin im März 2025 ist somit wahrscheinlich.

Wie regiert die Regierung bis dahin weiter?

Bis zu den Neuwahlen blieben Scholz und sein Kabinett geschäftsführend im Amt – so wie jede Regierung, wenn ein neuer Bundestag gewählt wurde, die neue Regierung aber noch nicht angetreten ist. Die Zusammensetzung des Kabinetts hat sich mit der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner geändert. Bis auf Verkehrsminister Volker Wissing traten auch die anderen Kabinettsmitglieder der FDP zurück – also Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Volker Wissing, der auch aus der FDP ausgetreten ist, übernimmt zusätzlich das Justizressort. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) wird zusätzlich über das Bildungsministerium verwalten.

In der Geschichte der Bundesrepublik haben Kanzler insgesamt fünf Mal die Vertrauensfrage gestellt: 1972 konnte sich Willy Brandt (SPD) und 1982 Helmut Kohl (CDU) die Mehrheit im Bundestag dadurch sichern. Im selben Jahr wie Kohl hatte Helmut Schmidt (SPD) über die Vertrauensfrage eine Koalitionskrise beruhigt, aber wenige Monate später durch ein Misstrauensvotum die Regierungsmehrheit verloren. Gerhard Schröder stellte die Vertrauensfrage gleich zweimal: 2001 gewann er dadurch Rückhalt, 2005 löste ihn in Folge Angela Merkel (CDU) ab.

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1 Kommentar

Gespeichert von Matias Leão Ra… (nicht überprüft) am Fr., 08.11.2024 - 15:17

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So selten Vertrauensfragen was ein Glück gestellt werden, so wichtig ist doch zu verstehen, was Olaf Scholz bewegt. Ihm ist sonnenklar, dass er als Regierungschef gescheitert ist. Aber er ist davon beseelt, als verfassungsrechtliches Organ genau die Entscheidung zu treffen, die für einen geordneten Übergang notwendig sind und sie genauso zu treffen, wie er sie für richtig einschätzt.

Die Fragen des Vertrauens ordnet er daher einer, seiner Meinung nach, noch zu regelnden Themenblöcken unter. Dazu gehören nicht nur der Ausgleich zur kalten Progression, die Verfestigung des Rentenniveaus, das Inkrafttreten der Regeln eines gemeinsamen europäischen Asylsystems, den Schutz der exportabhängigen Branchen und ihrer Binnenzulieferer, sondern auch die Transformation der Krankenhauslandschaft wie auch von Michael Roth gefordert, den Schutz jüdischer Kultur und Lebens mit zahlreichen Bestandteilen und Maßnahmen.

Sicherlich kann man fortwährend eine dogmatische Debatte darüber führen, in welcher Weise angesichts außenpolitscher Herausforderungen, wie die protektionistischen Morgendämmerungen Trumps und Jinpings, eine ordentliche oder zügige Herangehensweise erfordern. Man kann dies auch selbst aktuell immer wieder im Bundestag debattieren. Aber das alles segelt an einer Tatsache vorbei. Olaf Scholz lässt sich als Regierungschef nicht mehr adressieren.

Er sieht sich ausschließlich als Nachlassverwalter in eigner Sache. Sein jetziges Selbstverständnis generiert sich rein als Rechtsorgan des Grundgesetzes. Dem nach obliegt es allein ihm, die Vertrauensfrage zu erwägen. Es gibt keine weiteren Bedingungen, wie politische Debatten gleichwelcher Art, Forderungen gleich woher, selbst als Petition im Bundestag eingereicht. Im Art. 68 GG existiert kein [Ex-] Bundesfinanzminister und kein Oppositionsführer. Die scharfen Debatten, gar die dargebotene Aufruhr, sind fruchtlos.

Olaf Scholz sieht sich hier durch die Bundesverfassungsgerichtsurteile [1983: Aktenzeichen 2 BvE 1/83, 2 BvE 2/83, 2 BvE 3/83, 2 BvE 4/83 und 2005: Aktenzeichen 2 BvE 4/05, 2 BvE 7/05] gestärkt und Robert Habeck bezeichnet dies zurecht als die Einsamkeit des Amtes.

Niemand hat ihm reinzureden oder zu belehren, auch nicht der Bundespräsident, der vielleicht im Appell an die Vernunft und Verantwortung vergessen hat zu ergänzen, dass dies die gegenseitige Belehrung, was dies sei, beinhalte.

Daher ist es schon ein Zeichen von politischer Dummheit und Unverschämtheit, dass Friedrich Merz Frank-Walter Steinmeier mit dem Hinweis auf dessen ruhendes Parteibuch bittet, auf Olaf Scholz einzuwirken. Ein Teufel wird er tun.

Nicht nur dass sich Friedrich Merz gegenüber dem Bundespräsidenten unangemessen verhält. Er lässt die gleiche Achtung auch gegenüber dem Bundeskanzler, insbesondere in Bezug auf dessen verfassungsrechtliche Funktion und Verantwortlichkeit, vermissen. Würde Olaf Scholz fiktiv durch jedwede Kanzlerkandidatin oder -kandidaten ersetzt werden, wäre die Simulation im Ergebnis gleichlautend. Daher glaubt Olaf Scholz allen Parteien, auch der SPD die parlamentarische Gelegenheit zu geben, sich allparteilich, wenn es sein muss im Sherpa-Verfahren, zu einigen oder ihre Wahlkampfthemen zu finden.

Alle Parteien tragen hier das Risiko mit dem Verschleppen der politischen Folgeabschätzung, autoritäre Ränder zu stärken. Verdächtig oder gesichert rechtsextremistische Nationalisten und pazifistisch-extremistische Linksnationalisten stehen schon bereit, im Inneren die wehrhafte Demokratie faschistoid zu attackieren und im Äußeren im Schatten imperialer Regionalmächte zu verkommen.

Wenn dies Olaf Scholz jedoch letztlich bis zum Ende durchdenkt, dann geht es nicht anders, als am von ihm selbst gewählten Tag der Vertrauensfrage [kein Tag früher], sein Ausscheiden aus dem Bundestag zu verkünden und der SPD zu ermöglichen, taggleich eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten zu küren.

Im besten Fall würde, wie auch die Erstellung eines Wahlprogramms unter Beteiligung der SPD-Mitglieder, eine Kandidatur durch Direktwahl innerparteilich zu einer erheblichen Mobilisierung, vielleicht sogar Neueintritten führen. Alles andere wäre ein sich Hingeben in einen Biden-Komplex.

Hierfür sollten jetzt die Vorbereitungen beginnen. Das schließt nach Altersgruppen abgeschichtet auch die Wahlkampfplattformen wie Facebook, X, Instagramm und TikTok ein. Die Peinlichkeit fehlender QR-Codes auf Wahlkampfplakaten ließe sich jetzt verhindern, nicht später. Und die Mobilisierung der Kräfte in den OV muss jetzt starten, nicht erst zwischen den Jahren.