Dialogkonferenz in Hamburg: So will die SPD „die Stimmung im Land drehen"
In bewegten Zeiten will die SPD nicht über, sondern mit den Menschen reden. Die Kanzlerpartei will das Wahlprogramm gemeinsam mit den Bürgern schreiben. In Hamburg fiel am Samstag der Startschuss für eine Reihe von Gesprächen.
Dennis WIlliamson/SPD
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch lud am Samstag zum Gespräch ein.
Es sind unruhige Zeiten: FDP-Chef Christian Lindner schießt mit einem Positionspapier gegen den Zusammenhalt der Ampel, in den USA droht Donald Trump wieder Präsident zu werden – da tritt Saskia Esken in Hamburg auf die Bühne. „In der Koalition, das ist nicht von der Hand zu weisen, brennt gerade die Hütte“, sagt die SPD-Chefin vor hunderten Zuhörer*innen. Niemand könne vorhersagen, wann die nächste Bundestagswahl stattfinde. Aber wenn sie stattfindet, will die SPD vorbereitet sein. „Wir wollen heute den Fokus darauf halten, wie es uns gelingen kann, die Stimmung im Land zu drehen“, sagt Esken. „Lasst uns über diese Stimmung reden.“
Die SPD will schaffen, was viele im Land derzeit für unmöglich halten: Die schlechten Umfragewerte umdrehen und die für den Herbst 2025 geplante Bundestagswahl für sich entscheiden – das gelang ihr auch 2021. Um das Vertrauen der Wähler*innen zurückzugewinnen, lädt die Kanzlerpartei zum Dialog ein. Hunderte Teilnehmer*innen, Genoss*innen und Nicht-Genoss*innen, sind am Samstag in die Hansestadt gekommen, um mit der Parteispitze darüber zu sprechen, was sie bewegt.
„Wie ein missratenes Soufflé“
Es ist der Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen die SPD den Grundstein für ihren Wahlkampf legen will. Am Sonntag, 10. November, ist eine weitere Konferenz in Mainz geplant, am Sonntag, 16. November, folgt eine in Essen. Weitere könnten anschließen.
Die Regierungspartei gibt sich kämpferisch, wenn auch offen für Kritik. „Wir werden die CDU von Friedrich Merz auf den zweiten Platz verweisen und wir werden die demokratische Mehrheit gegen die Rechtsextremisten aufstellen“, sagt Esken. Es gehöre aber auch zur Wahrheit dazu, dass die Aufbruchsversprechen der Ampelkoalition unter Streit und „schlechtem Handwerk“ in sich zusammengefallen seien „wie so ein missratenes Soufflé“. Die Menschen fühlten sich heute von der Politik nicht gehört und nicht gesehen, sie seien in ihrem Stolz verletzt, weil sich harte Arbeit nicht auszahle. Viele würden gar nicht mehr an die Demokratie glauben.
Damit das nicht so bleibt, sollen sie das Wahlprogramm mitgestalten. Im Fokus steht die hart arbeitende Mitte, die „Leistungsträger unseres Landes“ – so formuliert es auch die vor kurzem gestartete neue Kampagne. Co-Parteichef Lars Klingbeil sagt am Samstag, man wolle sich auf die fokussieren, „die nicht die Lauten sind und nicht brüllend durch die Straßen oder durchs Internet laufen.“
Berichte aus dem Alltag
Gekommen sind vor allem Genoss*innen aus Hamburg und Umgebung und Engagierte aus der Zivilgesellschaft. Es sich 490 Teilnehmer angekündigt. Vor der Veranstaltung konnten sie online Fragen und Anregungen schicken. Fünf Arbeitsgruppen widmen sich ihren Themen, sie werden jeweils von einem Mitglied der Parteispitze moderiert.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch diskutiert mit Interessierten über Wirtschaft und Klima. „Ich wünsche mir von einem Wahlprogramm, dass wir eine positive Zukunftsaussicht mitgeben“, sagt eine Genossin. „Und dass wir uns fragen, wie werden wir diese verfluchte Schuldenbremse los.“ Bundesarbeitsminister Hubertus Heil spricht mit seiner Gruppe zum Thema Arbeit, Rente und Gesundheit, Esken tauscht sich über Familien und Bildung aus.
Bei der Vize-SPD-Vorsitzenden Serpil Midyatli geht es um das Thema Migration. Die Teilnehmenden berichten aus ihrer alltäglichen Arbeit, von Behördenversagen, überlasteten Ehrenamtlichen und viel zu viel Bürokratie. Sozialberaterin meldet sich zu Wort und berichtet von ihrer Arbeit mit Geflüchteten im Gefängnis: „Diese jungen Männer stellen Asylanträge, bei denen oft von vorneherein klar ist, das wird nichts“, sagt sie. „Aber sie werden über Monate in einem Hoffnungsprozess gelassen, der dann zerschlagen wird.“
Gespräche über Krieg und Frieden
Ein Stück sozialdemokratische DNA wird an diesem Nachmittag, so scheint es, bei Lars Klingbeil besprochen. Seine Gruppe diskutiert angeregt über Frieden und den Krieg in der Ukraine, und es wird deutlich: Viele der anwesenden Genoss*innen aus der Basis wollen die SPD als die Partei sehen, die an die Friedenspolitik von Willy Brandt anknüpft – was sie bedeutet, dass keine Waffen mehr an die Ukraine geliefert werden dürften.
Matthias
Miersch,
Generalsekretär
Wir haben die Dialogkonferenzen ins Leben gerufen, weil wir gesehen haben: Wir müssen reden.
Klingbeil hält dagegen: „Unsere Position ist sehr klar: Wir unterstützen die Ukraine, und das werden wir weiter tun. Für uns ist das Völkerrecht der bindende Maßstab", sagt der SPD-Parteichef. Während der Kanzlerschaft von Willy Brandt habe der Verteidigungsetat bis zu vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen – von einem solchen Etat könne Verteidigungsminister Boris Pistorius nur träumen. „Der Friedenskanzler Willy Brandt hatte ein starkes Land und eine starke Armee hinter sich", sagt Klingbeil. „Und auf Basis dieser Stärke hat er gesagt: Ich reiche den Gegnern die Hand."
Am Ende steht der Parteitag
Es gibt Zwischenrufe, vor allem von Mitgliedern der Parteilinken. Eine ältere Dame meldet sich zu Wort. „Mich macht das wütend, wenn es heute heißt, wir müssen mit Putin reden. Der Mann will nicht verhandeln, der Mann will fressen!“, sagt sie unter verhaltenem Applaus. Lars André Kaufmann, 21 Jahre alt, ist einer der Jüngsten an diesem Nachmittag. Er sei erst vor einem Jahr SPD-Mitglied geworden, weil er sich dafür einsetzen will, dass die Partei keine Waffen mehr liefert. Viele in der Basis seien seiner Meinung, glaubt er. „Die Parteispitze wird dazu einen Kompromiss finden müssen."
In Hamburg wurde diskutiert, einander motiviert, aber auch gestritten. Und jetzt? „Wir haben die Dialogkonferenzen ins Leben gerufen, weil wir gesehen haben: Wir müssen reden“, sagt Matthias Miersch nach der Veranstaltung. Es gebe nun mal unterschiedliche Meinungen. Der Generalsekretär legt Wert darauf: Die Wähler*innen sollen nachverfolgen können, wie das Wahlprogramm entsteht. Im Anschluss an die Dialogreihe will die SPD im März ihre inhaltlichen Schwerpunkte bei einem Debattencamp in Berlin zur Diskussion stellen. Am Ende folgt dann der Parteitag im Juni. „Dort stimmen wir im Zweifel über die strittigen Fragen ab“, sagt Miersch. „Das gehört zur Demokratie dazu.“