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Nach der Europawahl: Welche Lehren die SPD aus ihrer Niederlage zieht

Ein Tag nach der Europawahl habe die SPD noch keine fertige Analyse, sagt Kevin Kühnert am Montag. Doch zeichnen sich in der Pressekonferenz, die er gemeinsam mit Katarina Barley gibt, klare Ziele ab.

von Vera Rosigkeit · 10. Juni 2024
SPD-Generalsekretaer Kevin Kühnert und SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley

SPD-Generalsekretaer Kevin Kühnert und SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley bei der Pressekonferenz am 10. Juni nach der Europawahl im Willy Brandt Haus 

Zunächst steht die SPD am Montagvormittag nach ihrem schlechten Abschneiden bei der Europawahl am 9. Juni noch ohne fertige Analyse da. „Wir haben gestern ein Wahlergebnis erlebt, das für den Stolz der sozialdemokratischen Partei eine Kränkung bedeutet. Das schmerzt mich“, sagt Kevin Kühnert nach der Sitzung des SPD-Präsidiums. „Ehrlichen Herzens“ wolle man nun das Ergebnis analysieren, denn es sei nicht Anspruch der sozialdemokratischen Partei, „zu diesen Werten zu stehen“, fügt er hinzu. Im Verlauf der Pressekonferenz, die der Generalsekretär gemeinsam mit Spitzenkandidatin Katarina Barley im Berliner Willy-Brandt-Haus bestreitet, wird jedoch deutlich, dass die SPD bereits eine Vorstellung davon hat, wie es nun weitergehen muss.

SPD hat Anschluss verloren

So stellt Kühnert klar, dass es Teile der Gesellschaft gebe, in die „wir für den Moment“ auch als Ampelkoalition „einen Anschluss verloren haben“. Konkret sei das im Osten der Republik aber auch in ländlichen Räumen und bei Menschen mit kleineren Einkommen der Fall. Mit der Abstimmung sei allerdings auch die Wahrnehmung der Bundespolitik bewertet worden. Daraus folgt für Kühnert eine notwendige Auseinandersetzung über die künftige Zusammenarbeit in der Koalition gerade mit Blick auf die anstehende Haushaltsverhandlung. 

Wie bereits vor ihm SPD-Chef Lars Klingbeil macht Kühnert am Montag deutlich, dass es mit der Sozialdemokratie keinen Sparhaushalt auf Kosten des sozialen Zusammenhalts geben werde. Doch geht es laut Kühnert nicht nur um den Haushalt, sondern um die Wahrnehmung von Politik. Konkret darum, ob diejenigen, die für Respekt und soziale Gerechtigkeit eintreten würden, auch alles dafür täten und ausreichend dafür kämpften. „Wir haben gestern klare Hinweise darauf bekommen, dass wir das nicht ausreichend tun“, betont Kühnert. 

Verlust durch Nichtwähler*innen

In diesem Zusammenhang beschäftigen ihn vor allem die großen Verluste seiner Partei an das Lager der Nichtwähler*innen. All jene, die der SPD entweder das Vertrauen entziehen „oder die sich von Politik abwenden“. Daraus ergibt sich für den Generalsekretär schon für die nächsten Monate eine klare Aufgabe: das Vertrauen dieser Menschen zurückzugewinnen. Dies auch mit Blick auf die Verantwortung gegenüber der Demokratie „in unserem Land“. 

Der Parteispitze, „die wir die Hauptverantwortung an diesem Wahlergebnis tragen“, komme seiner Meinung nach nun die Aufgabe zu, „unsere Partei aus diesem Keller, in dem wir uns heute wiederfinden“, herauszuarbeiten. Die zwölf Millionen Wähler*innen, die die SPD bei der Bundestagswahl 2021 gewählt hätten, „wollen uns kämpfen sehen“.

Auch Katarina Barley, die als Spitzenkandidatin für die SPD ins Rennen gegangen ist, ärgert es, dass „wir so viele „aus unserem Klientel“ an das Lager der Nichtwähler*innen verloren haben. Das müsse gerade vor dem Hintergrund der höheren Wahlbeteiligung Sorgen machen, sagt Barley. Positiv sei ihrer Meinung nach, „dass wir die Nichtwähler*innen zurückgewinnen können. Das muss unser Ziel sein.“

Demokratische Mehrheit in der EU bleibt

Das Ergebnis in Ostdeutschland wiederum, wo die AfD die meisten Stimmen holte, müsse allen demokratischen Parteien Sorgen machen. „Es wäre gut, wenn sich da auch alle entsprechend dazu äußern würden“. 

Die SPD zieht nach der Wahl mit 14 Abgeordneten in das Europaparlament. Mit ihnen will Barley eine gute sozialdemokratische Arbeit machen. Ihre Fraktion, die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokrat*innen, konnte ihre Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament trotz der Verluste in Deutschland halten. Zusammen mit der Europäischen Volkspartei (EVP) stellen sie die zwei größten Fraktionen. Mit den Liberalen gemeinsam gebe es laut Barley damit noch immer eine demokratische Mehrheit. 

Für die Wiederwahl von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die die Konservativen der EVP vertritt, hält Barley aber an einer Bedingung fest. Die EVP und Frau von der Leyen dürften sich „nicht auf Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in ihrer Mehrheitsfindung stützen“, betont Barley. Für sie gelte es, „den Rechtsextremen Paroli“ zu bieten.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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4 Kommentare

Gespeichert von Tom Kaperborg (nicht überprüft) am Di., 11.06.2024 - 11:14

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... die Rechte ist nur durch falsche Migrationspolitik stark geworden. Das ging 2015 los mit Merkels falscher Entscheidung, die Zuwanderung durch Asyl u. Buergerkriegsfluechtlinge nicht kategorisch zu begrenzen. Ja, ist nicht schoen, aber nun kommt die Quittung: Tabubruch in Richtung rechtsaussen. In meinem Heimatdorf im Westerwald waehlten mehr als 30% afd, obwohl es dort NUR EINE syrische Familie mit 7 Kindern gibt - die allerdings seit Jahren vom Staat leben mit viel Freizeit und aergern so die NAchbarn mit kleiner Rente oder normalem Handwerkerverdienst. Noch ein bisschen Heizungsbevormundung dazu, alles verstaerkt durch alle Medien und fertig ist der Populistenmix. Wird seit Jahren von vielen angemahnt, Migration insbes. islamischer Menschen zu begrenzen oder vielleicht sogar ganz zu stoppen. Prinzipienreiterei und laisser faire fuehren nun zu solchen Wahlergebnissen - zu dumm das Ganze, dass alle anderen guten Absichten seitens SPD mit abgewaehlt werden. Andererseits legt man schon lange hier lebenden Auslaendern Steine in den Weg - heute morgen auf dem Auslaenderamt in unserer Stadt kamen wir mit einer bloeden Bescheinigung fuer meine Frau nicht weiter - sie lebt seit 22 Jahren in D. und muss eine Nichterloeschungsbescheinigung fuer ihre unbefristete Niederlassungserlaubnis haben, um nach mehr als 5 Monaten Aufenthalt im Ausland wieder einreisen zu duerfen - sollte sie vielleicht an der Grenze "Asyl" sagen frage ich mich. Die damals von Rot/Gruen gemachten Auslaendergesetze sind kompliziert, loechrig und missverstaendlich. Die CDU hat da auch kaum was getan - die tun ja nix, wenn sie regieren. Die EU Wahlergebnisse werden sich bei der naechsten BTW wiederholen, da man die CDU als verlogen wahrnimmt (wer hat das Migrationsproblem so richtig angefacht?), die SPD schwafelt, die Gruenen kosten viel Geld und bevormunden. Das EU "Migrationspaket" kauft auch keiner ab - es wird weitgehend wirkungsarm bleiben.

Deutschland braucht Reformen, die vereinfachen und klaeren. Die "Altparteien" basteln nur rum, die Populisten versprechen einfache Loesungen - das wird so weitergehen und der Verweis auf "rechts ist Tabu" seitens der SPD u. Gruene wird nur noch wenige Waehler davon abhalten jene zu waehlen. Bin mal gespannt, wann die CDU mit denen koalieren will - vielleicht schon nach der BTW.

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Di., 11.06.2024 - 13:42

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Wo ist der Parteivorsitzende in der Stunde der Not?

Die hier abgegebenen Erklärungen für die Wahlniederlage sind ebenso oberflächlich wie belanglos. Die SPD ist inzwischen außerstande in irgendeinem Politikfeld eine konsistente Antwort zu geben, die sie nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen einen politischen Posten bereit wäre zu einzutauschen. Nenne mir eine langjähirge sozialdemokratische Grundsatzposition, die nicht schon mehrmals abgeräumt wurde...

Beispielhaft für die Schwäche der SPD ist ihr historisches Versagen bei der Schuldenbremse, die sie erst mit in die Verfassung gehievt hat. Von der sie heute am liebsten leise Abstand nehmen würde, weil es mit der Schuldenbremse weder zukunftsgerichtete Investitionen geben wird noch eine sozialverträgliche Politik. Die FDP wird schon dafür sorgen, dass es keine zusätzliche Mittel für Sozialausgaben oder Infrastrukturfinanzierung gibt. Und Kanzler Scholz wird ihr dabei die Stange halten, nur um seine gescheiterte Ampel durch die Legislatur zusammen zu halten.

Dass die Steigerung der Rüstungsausgaben vor die Klammer gezogen wurde, dafür hat die SPD höchstselbst gesorgt mit der "größartigen" Zeitenwende ihres Kanzlers.

War man zu blind, um den Zusammenhang zu erkennen? Oder hat man ihn billigend in Kauf genommen? Jetzt ist die SPD gefangen zwischen Baum und Borke. Und wenn ich den Text oben richtig interpretiere, dann ist sie auch nicht willens, sich um einen Ausweg zu kümmern.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 11.06.2024 - 18:11

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mi., 12.06.2024 - 11:02

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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