Inland

Nach der Europawahl: „Das BSW hat dasselbe Problem wie die AfD“

Das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ (BSW) hat bei der Europawahl 6,2 Prozent der Stimmen geholt. Nach den kommenden Landtagswahlen sehen manche die Partei in Regierungsverantwortung. Wie das BSW einzuschätzen ist, erklärt Politikwissenschaftler Aiko Wagner.

von Kai Doering · 21. Juni 2024
Das BSW ist vor allem eine Verbindung von sozialpolitisch linkeren und gesellschaftspolitisch eher konservativen Positionen, sagt der Politikwissenschaftler Aiko Wagner

Das BSW ist vor allem eine Verbindung von sozialpolitisch linkeren und gesellschaftspolitisch eher konservativen Positionen, sagt der Politikwissenschaftler Aiko Wagner

Haben Sie mit einem derart starken Abschneiden des BSW bei der Europawahl gerechnet?

Vollkommen überraschend kam das Abschneiden des BSW nicht. Die Umfragen haben es vorher bereits erahnen lassen und waren bei dieser Europawahl erstaunlich nah am späteren Ergebnis. Das Interesse am BSW ist auch bereits seit seiner Gründung groß, im Osten noch mehr als im Westen. Insofern hat mich das starke Abschneiden nicht gewundert.

Woran machen Sie den Erfolg fest, den diese junge Partei aus dem Stand verbucht hat?

Ursache ist zum einen die Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung, zum anderen aber auch mit der Opposition, also der Union. Eine neue Alternative scheint da sehr willkommen zu sein, vor allem, wenn man der AfD nicht seine Stimme geben will.

Besonders stark hat das BSW in Ostdeutschland abgeschnitten. Sind die östlichen Bundesländer die Machtbasis der Partei oder ist sie bereits im ganzen Land verwurzelt?

Wirklich verwurzelt ist das BSW eigentlich noch nirgends. Es gibt die Partei ja erst seit ein paar Monaten und bisher hat sie auch nur sehr wenige Mitglieder, was gewollt ist. 

Gemessen an den Wahlergebnissen hat das BSW aber dasselbe Problem wie die AfD, nämlich, dass es im Osten des Landes sehr viel stärker ist als im Westen. Und das ist, gemessen an der Zahl der Wählerinnen und Wähler, eher nachranging für einen bundesweiten Wahlerfolg.

In der AfD führt das schon länger zu Spannungen zwischen den Ost- und den West-Landesverbänden, weil erstere meinen, sie müssten aufgrund der guten Wahlergebnisse innerhalb der Partei auch mehr zu sagen haben. Ähnliches kann dem BSW auch passieren.

Was erwarten Sie da?

Wenn man sich die AfD in den östlichen Bundesländern ansieht, fällt auf, dass sie hier deutlich radikaler auftritt als im Westen. Das kann ich mir beim BSW auch vorstellen. Eine weitere Analogie könnten die deutlich größeren Wahlerfolge im Osten sein, die der Partei insgesamt aber wenig helfen, da die Zahl der Wählerinnen und Wähler – bei bundesweiten Wahlen – insgesamt zu gering ist. 

Ob sich beim BSW inhaltliche Unterschiede zwischen Ost und West auftun werden, ist jetzt noch schwer abzusehen, weil die Partei so stark von oben geführt wird, dass sich Heterogenität kaum ausbilden kann.

Aiko
Wagner

Sollte Sarah Wagenknecht aus irgendeinem Grund stürzen, dann war es das mit ihrer Partei.

Welche Rolle spielt Sarah Wagenknecht, nach der die Partei nicht umsonst benannt ist?

Sie ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt und hat viel mehr Einfluss als Vorsitzende in anderen Parteien. Dass sich Parteien nach Personen benennen, kennen wir bisher vor allem aus dem Ausland, etwa mit Sebastian Kurz in Österreich oder Pim Fortuyn in den Niederlanden. Auch „En Marche“ von Emmanuel Macron in Frankreich ist eine sehr stark an einer Person orientierte Partei. 

All diese Parteien sind demokratisch organisiert und es finden Wahlen für Parteiämter statt, aber eine Person überstrahlt stets alle anderen. Das ist im Fall des BSW Sarah Wagenknecht. Das kann durchaus ein Risiko sein.

Inwiefern?

Wenn die Person geht, kann das auch das Ende der Partei bedeuten. Das haben wir bei Parteien im Ausland immer wieder gesehen. Innerhalb solcher Parteien gibt es auch immer ein Machtungleichgewicht. Sarah Wagenknecht zum Beispiel besetzt alle wichtigen Positionen innerhalb ihrer Partei mit Getreuen. Das ist aus ihrer Sicht klug, macht sie aber auch angreifbar: Sollte Sarah Wagenknecht aus irgendeinem Grund stürzen, dann war es das mit ihrer Partei.

Bei der Europawahl hat das BSW nicht wie von vielen vorhergesagt von der AfD, sondern vor allem von Linkspartei und SPD Wähler*innen gewinnen können. Wie erklären Sie sich das?

Die Wählerwanderungen muss man mit einer gewissen Vorsicht betrachten. Zum einen wird das Ergebnis der Europawahl mit dem der Bundestagswahl verglichen. Zum anderen verstehen viele die Europawahl als eine Möglichkeit, ihre Unzufriedenheit mit der Bundesregierung auszudrücken. All das führt zu gewissen Verzerrungen. 

Man muss auch sehen, dass die AfD bei den Umfragen bis Anfang des Jahres bei mehr als 20 Prozent stand. Bei der Europawahl hat sie dann aber nur 15,9 Prozent geholt. Ein Teil dürfte sich also eher für das BSW entschieden haben. Das zeigt, dass ein nicht geringer Teil der AfD-Wähler durchaus empfänglich ist für die Positionen des BSW.

Ist das BSW also so etwas wie die AfD ohne Rechtsextremisten?

Das BSW ist vor allem eine Verbindung von sozialpolitisch linkeren und gesellschaftspolitisch eher konservativen Positionen. Da gibt es durchaus auch Schnittmengen zur CDU. Vom BSW würde man aber sicher keine Remigrationsforderungen hören wie aus der AfD. Dafür vertritt das BSW aber auch Punkte, die stark nach Ludwig Erhard klingen. Das ist schon eine bunte Mischung. 

Insgesamt lässt sich sagen, dass das BSW soziökonomisch eher links tickt, während es soziokulturell irgendwo zwischen Union und AfD anzusiedeln ist. In Fragen der Klimapolitik oder beim Gendern vertritt das BSW durchaus AfD-Sprech. Insgesamt verkörpert die Partei etwas, das es bisher in Deutschland nicht gab.

Nämlich was?

Bisher gab es in Deutschland keine Partei, die ökonomisch links, aber gesellschaftspolitisch konservativ ist. Diese Leerstelle füllt das BSW nun. Andere Länder zeigen, dass das Bedürfnis danach durchaus vorhanden ist. Das BSW könnte sich also dauerhaft etablieren. 

Nichtsdestotrotz zieht das BSW zumindest im Moment sehr viel Zustimmung aus der Ablehnung der Politik anderer Parteien. Ihr Protestpotenzial ist groß. Es wird sich zeigen, wie lange es von diesem Effekt profitieren kann.

Aiko
Wagner

Strategisch wäre es massiv unklug für die CDU, nach AfD und Linkspartei die nächste Partei kategorisch von jeglicher Koalition auszuschließen.

Die CDU diskutiert bereits über mögliche Koalitionen nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Sehen Sie da Schnittmengen?

Das ist schwer einzuschätzen, weil wir in vielen Bereichen noch gar nicht wissen, wofür das BSW eigentlich steht. Ich sehe aber durchaus Überschneidungen. Gerade in der Ost-CDU gibt es ein größeres Verständnis für die Bedrohungsgefühle Russlands, das ja auch beim BSW sehr ausgeprägt ist. Gerade Michael Kretschmer in Sachsen vertritt eine deutlich russlandfreundlichere Position als die West-CDU. 

Auch an den gesellschaftspolitisch konservativen Positionen der CDU würde sich das BSW sicher nicht stören. Und wirtschaftspolitisch liegen die Parteien nicht Welten auseinander. Insofern wäre der Weg zu einer Zusammenarbeit nicht allzu weit, wenn die äußeren Erfordernisse es erzwingen.

Zumal die CDU Unvereinbarkeitsbeschlüsse für eine Zusammenarbeit sowohl mit AfD als auch mit der Linkspartei hat.

Genau. Strategisch wäre es massiv unklug für die CDU, nach AfD und Linkspartei die nächste Partei kategorisch von jeglicher Koalition auszuschließen. Wenn man sich die Umfrageergebnisse in Sachsen und Thüringen ansieht, gibt es gegen AfD, Linke und BSW keine Mehrheit. Wenn die CDU eine Zusammenarbeit mit jeder der drei Parteien bereits im Vorfeld ausschließt, wird es keine Mehrheitskoalitionen mehr geben.

Der Gesprächspartner

Aiko Wagner ist Politikwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Aiko Wagner
Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

Weitere interessante Rubriken entdecken

3 Kommentare

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Fr., 21.06.2024 - 19:05

Permalink

in der Summe, mit Ausfällen in (wesentlichen) Einzelheiten. Dass „in Fragen der Klimapolitik oder beim Gendern das BSW durchaus AfD-Sprech vertritt“, ist einfach polemisch, mindestens aber gedankenlos dahergesagt.

Unzulässig oberflächlich analysiert Aiko Wagner auch das „größere Verständnis für die Bedrohungsgefühle Russlands“ beim BSW, ähnlich der „deutlich russlandfreundlicheren Position“ Michael Kretschmers. Es geht doch nicht um „Phantomschmerzen“ (J. Fischer) oder „Bedrohungsgefühle“ noch um „russlandfreundlichere Positionen“. Seit Sonntag weiß es jeder: „Amerika steht nicht aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem strategischen Interesse ist“ (Kamala Harris, USA-Vizepräsidentin). Seit Sonntag können wir unser Narrativ vom alleinigen Kriegsgrund „imperiale Besessenheit“ Putins (Steinmeier) nicht länger aufrechterhalten: Zum Krieg kam es, weil der Westen, die USA, also wir, zwar uns, nicht aber der Russischen Föderation „strategische Interessen“ an der Ukraine zubilligen und deshalb keinen strategischen Interessensausgleich finden wollten – „der Westen hätte (sonst) seine Prinzipien verraten“ (H. A. Winkler, 27.6.22).

Die richtige Analyse des Konfliktsystems, das zum Krieg führte, ist auch für die Beendigung des Krieges entscheidend. Solange der Westen, die Nato eine solche Analyse verweigert und auf der Engführung „imperialen Besessenheit“ besteht, bleibt nur die gegenwärtige „Abnutzungslogik“, die „eine ´Reife` für Friedensverhandlungen“ voraussetzt, die sich erst einstellt, wenn sich „ein stabiles, für beide Seiten hinreichend schmerzhaftes militärisches Patt eingestellt hat“ (Friedensgutachtens 2024) oder alternativ, wie die Frankfurter Rundschau (15.6.24) Ex-SPD-Chef Gabriel zitiert: „Werden Russland niederringen müssen“ – notfalls „mithilfe der Bundeswehr“.

Diplomatisch können wir ohne kritische Analyse der Kriegsursachen nur versuchen, die Russische Föderation durch internationalen Druck zum Einlenken zu zwingen, wie wir das kürzlich mit dem „Schweizer Gipfels für die Ukraine“ versucht haben. Dass die BRICS-Staaten sich dazu hergeben – und ohne die geht es nicht, ist eine offensichtliche Illusion des Westens.

So wie ich das BSW verstanden habe, geht es nicht um „Verständnis für die Bedrohungsgefühle Russlands“ oder „deutlich russlandfreundlichere Positionen“, sondern um eine die strategischen Interessen Russlands und des Westens ausgleichende Lösung der Ukraine-Frage - und das möglichst bald.
Das sollte auch die Position der SPD sein!

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mo., 24.06.2024 - 10:58

Permalink

Klingbeil möchte „militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik sehen“ (21.6.22). Putin sagt das auch und setzt diese Überzeugung sogar um, wie wir am Ukrainekrieg gelernt haben. „Vertritt Klingbeil durchaus Putin-Sprech“? So einen Satz würde man doch nur sagen, um zu diffamieren, um sich mit der Aussage nicht auseinandersetzen zu müssen. (Dabei ist der Klingbeil-Satz auch ohne den Putinverweis schon schlimm genug.)