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BSW: Warum die Wagenknecht-Partei der AfD gefährlich werden kann

Die Europawahl ist die erste bundesweite Wahl, bei der das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ antritt. Untersuchungen von Personen-, Positions- und Populismuseffekten zeigen, dass sie vor allem der AfD Konkurrenz machen dürfte. Aber auch für die Demokratie kann sie zu einem Problem werden.

von Aiko Wagner · 8. Januar 2024
BSW-Plakat zur Europawahl: Das Bündnis Sahra Wagenknecht könnte einerseits zu einer Schwächung der AfD beitragen, andererseits die gesellschaftlichen Fliehkräfte stärken.

BSW-Plakat zur Europawahl: Das Bündnis Sahra Wagenknecht könnte einerseits zu einer Schwächung der AfD beitragen, andererseits die gesellschaftlichen Fliehkräfte stärken. 

Gründungen von Parteien, die für den politischen Wettbewerb von Bedeutung werden, sind in Deutschland selten. Zuletzt ist es vor allem der Piratenpartei und der AfD gelungen, wenngleich im ersten Fall nur für kurze Zeit mit politischem Erfolg. Die bereits bestehenden Parteien blicken natürlich mit Interesse auf neue Parteien, stellen sie doch Konkurrentinnen und/oder potenzielle Partnerinnen dar. Daher liegt die Frage nahe, für wen das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) eine Konkurrenz sein könnte. Dazu schauen wir auf drei „P“ der Wahl- und Parteienforschung: die Person, die Programmatik bzw. politische Positionen und den Populismus.

Personeneffekte 

Sahra Wagenknecht – ob als offizielle Parteivorsitzende oder nicht – ist natürlich die bestimmende Figur der BSW. Sie gilt als hervorragende Rednerin, als charismatische Politikerin und trotz ihrer Jahrzehnte in der Politik als schlagfertige „Außenseiterin im Establishment“. Dass ihre Zustimmungswerte im Mittel eher gering sind, liegt daran, dass sie sowohl sehr ablehnenden Bewertungen erfährt als auch eine Fangemeinde hat. Auswertungen verschiedener aktueller Umfragen ergibt, dass die Gallionsfigur und Namensgeberin der BSW bei bisher dem Rechtspopulismus nahestehenden Wähler*innen besonders gut ankommt.

Positionseffekte 

Zur Beschreibung inhaltlicher Positionen von Parteien und Wähler*innen hat sich in der Forschung das Bild eines zweidimensionalen Raums etabliert: Zu einer sozioökonomischen Dimension, in der es um Fragen von Sozialstaatlichkeit, Umverteilung, und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft geht, kommt eine soziokulturelle Dimension. Hier werden Fragen gesellschaftspolitischer Liberalität, kultureller Identität, des (Inter-)Nationalismus aber auch der Ökologie thematisiert.

Die Programmatik der BSW einzuschätzen und die Position der zukünftigen Partei zu ermitteln, ist aufgrund der Nichtexistenz eines Wahl- oder Parteiprogramms schwierig. Präzise Analysen auf Basis des Gründungsmanifests, sind kaum möglich bzw. mindestes unsicher. Viele Beobachter:innen neigen momentan jedoch zur Beschreibung als sog. links-autoritäre Partei, d.h. als sozioökonomische linke und soziokulturell rechte Partei. Auf dieser Grundlage kann die BSW in dem angesprochenen Koordinatensystem verortet werden.

Aus der Logik politischer Positionen und räumlicher Nähe konkurrieren Parteien um die Wähler*innen, die im Politikraum zwischen ihnen positioniert sind bzw. neigen Wähler*innen Parteien dann zu, wenn sie ähnliche Positionen aufweisen. Wo positionieren sich nun Wähler*innen im politischen Raum? Um diese Frage zu beantworten, werden Daten des FES-Projekts „Kartografie der Arbeiter:innenklasse (Veröffentlichung 2024) verwendet. Darin wurden Bürger:innen u.a. nach ihren Einstellungen zu verschiedenen Themen, die jeweils sozioökonomische und soziokulturelle Dimension berühren, befragt.

In Abbildung 1 sind die mittleren Positionen der Parteiwähler:innen dargestellt. Nah am progressiven Pol finden sich die Grünen, etwas zentristischer die SPD und weiter links die Wähler:innen von Die Linke. Mitte-rechts befinden sich die mittleren Wähler:innenpositionen von CDU/CSU und FDP. Dem konservativen Pol an nächsten sind die Wähler*innen der AfD. Die BSW, für die noch keine Wähler:innenpositionen vorliegen können, wurde entsprechend der oben dargelegten Überlegungen konservativer als die linken Parteien und links von rechten Parteien eingezeichnet.

Abbildung 2 gibt Aufschluss über den Anteil des Wähler*innenpotenzials der etablierten Parteien im links-autoritären Quadranten. Über die Parteipotenziale hinweg zeigen sich deutliche Unterschiede, die sich zumeist auch mit der räumlichen Logik des Wettbewerbs in Einklang bringen lassen. Mit über 43 Prozent kann ein großer Teil des AfD-Potenzials als links-autoritär gelten. Bei der Linken sind es 23 Prozent, bei CDU/CSU 22 Prozent, und bei FDP und SPD jeweils 18 Prozent.

Zuletzt sind es nur etwa neun Prozent der potenziellen Grünen-Wähler*innen, die im selben Quadranten wie die BSW zu verorten sind. Während die höheren FDP-Werte aus Sicht der rein räumlichen Logik überraschen, entsprechen die niedrigen Werte für die Grünen sowie die hohen AfD-Werte den Erwartungen. Die Parteipotenzialanalysen zeigen die größten inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen den potentiellen Wähler:innen der AfD und der BSW, welche nach positioneller Logik damit zuvorderst eine Konkurrentin für die Rechtspopulist:innen wäre.

Populismus

Auch aufgrund der oben erwähnten Anti-Establishment-Ressentiments wird die BSW als populistische Partei verortet. Populismus wird hier nicht z.B. als Kommunikationsstil, sondern als eine sog. „dünne Ideologie“ verstanden, die sich vor allem durch einen Widerstreit zwischen dem Volk und den politischen Eliten auszeichnet. Für Deutschland zeigt sich hier stets, dass die AfD die mit Abstand populistischste Partei ist, gefolgt von der Linken, und die anderen Parteien im Bundestag folgen nach einem wiederum einem großen Abstand. 

Wichtig ist nun, dass diese populistischen Einstellungen und populistische Parteien zueinander finden. So wie Wähler*innen mit linken Positionen auf der sozioökonomischen Achse mit höherer Wahrscheinlichkeit für die SPD als für die FDP votieren, so wählen Personen mit starken populistischen Einstellungen mit höherer Wahrscheinlichkeit die AfD. Mehr noch: Diese Populismus-Dimension ist sogar wichtiger als die beiden Positionsdimensionen im politischen Raum. Wenn die BSW also eher populistisch eingestellte Bürger:innen anspricht, wären diese vor allem im AfD-Potenzial und erst in zweiter Linie im Linken-Potenzial verortet.

Fazit

Die Ergebnisse dieser Kurzanalyse der Konkurrenz entlang von Person, Position und Populismus ergibt zusammengenommen, dass die BSW in erster Linie eine Konkurrenz für die AfD darstellen sollte. Dies gilt unter den Voraussetzungen, dass Sahra Wagenknecht eine sehr prominente Rolle einnehmen und als Gesicht der Partei wirken und dass die BSW den Weg einer links-autoritär populistischen Partei gehen wird. Dann wirken sowohl Person, als auch Position und Populismus am stärksten anziehend auf gegenwärtige und potenzielle AfD-Wähler*innen.

Aus dieser Analyse ließe sich schließen, dass die BSW für zwei Dinge gleichzeitig ein Problem werden kann: für die die liberale Demokratie herausfordernde AfD und für die liberale Demokratie selbst. Das Bündnis Sahra Wagenknecht könnte einerseits zu einer Schwächung der AfD beitragen, andererseits die Bildung stabiler Regierungsmehrheiten erschweren und die Fliehkräfte stärken. Die normative Bewertung der anstehenden neuen Konkurrenz im deutschen Parteiensystem hängt damit davon ab, welche der beiden Effekte überwiegt.

Der Text erschien zuerst bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Autor*in
Aiko Wagner

ist DFG-Heisenberg Fellow am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er forscht zu politischen Einstellungen, Parteiensystemen, Wahlverhalten und politischem Wettbewerb.

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6 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 12.01.2024 - 06:52

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nachhaltig schwächt, aber vorrangig sollten wir darauf achten, dass wir im Rahmen der Restverwertung der LInken nicht zu kurz kommen. Wir sollten denen eine Angebot zur Fusion geben.
Ansonsten bin ich wie der Aitor der Meinung, dass W allein die AfD schwächen wird. Wir selbst müssen nicht besorgt sein, dass aus unserer Klientel Potential zu W wechseln wird. Da können wir ganz beruhigt und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Unsere Parteiführung hat das sicher im Griff, und führt uns herrlichen Zeiten entgegen

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Fr., 12.01.2024 - 10:00

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Bei dieser Analyse ist der Wunsch Vater des Gedankens. Die BSW tritt mit klassisch sozialdemokratischen Themen und Politik auf. Sie übt Attraktivität auf Wählerschichten aus, die zuvor klassische SPD-Wähler waren. das wir nicht dadurch besser, dass man sie zu AfD-Wählern deklariert, denn offensichtlich bekommt die AfD sehr viele Proteststimmen.

Es ist zu erwarten, dass die Wahlergebnisse der SPD noch stärker leiden, als bisher, solange die BSW die klarere sozialdemokratische Positionierung anbietet. Die SPD hat nur die Entscheidung, wann sie dies erkennt und wirklich gegensteuert. Ich bin da eher skeptisch bei dieser Führungsriege.

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Fr., 12.01.2024 - 10:52

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Ich bin ebenfalls der Meinung, der Rest-Linken ein Fusionsangebot zu unterbreiten. Es kann nämlich der SPD nichts scheden, wenn sie mal wieder linker würde.

Selbstverständlich hielte ich es auch für gut, wenn die Wagenknecht-Partei der AfD Stimmen wegnehmen würde.

Gespeichert von thomas pahnke (nicht überprüft) am Fr., 12.01.2024 - 12:02

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Stimmen der AfD wegnehmen. Zuerst wäre zu unterscheiden, welche Anteile der AfD ein rechtsextremes Weltbild haben, entsprechend früherer Sinus-Studien "Wir sollten wieder einen Führer haben". Und welche Teile aus dem Umfeld der seit den 90er Jahren angewachsenen Nichtwähler stammen, die kontinuierlich angewachsen sind. Diese Teile werden dann auch als "Protestwähler" bezeichnet und haben sich als Demokraten von den Parteien der Ampel und der CDU/CSU abgewandt, weil die Politik nicht mehr ihren Erwartungen entsprach.

Es ist die Frage, wo diese enttäuschten Wähler, die nicht selten aus der SPD kommen und die die Brandt`sche Außenpolitik geschätzt haben und den Anspruch von Brandt, "Wir müssen mehr Demokratie wagen" positiv sehen, eine neue politische Heimat finden.

Dieses Potential des Protestes umstandslos als "AfD-Wählerpotential" zu klassifizieren und als "autoritär", populistisch oder was einem sonst noch für negative Attribute einfallen, entspricht einer polemischen politischen Auseinandersetzung. Wobei gerade die Wahlsoziologie immer schon Gefahr gelaufen ist, politisch instrumentalisiert zu werden bzw. sich freiwillig angeboten hat.

Gespeichert von Elias Hallmoser (nicht überprüft) am Fr., 12.01.2024 - 12:09

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Ob sich von SPD oder Linke zur AfD 'hingerettete' Protestwähler mittlerweile noch durch das BSW zurückholen lassen, ist eher zu bezweifeln. Die Dämonisierung der AfD funktionierte kaum und funktioniert nun fast gar nicht mehr. Und Die Linke, SPD und Grüne gehen weiter auf ihrem Irrweg.

Es sei denn, das BSW will wirtschaftspolitisch ordoliberale Positionen und damit die ursprüngliche Soziale Marktwirtschaft sowie ordnungspolitische Vorstellungen von Brandt, Schmidt und Kohl vertreten. Keiner dieser drei Bundeskanzler wollte oder förderte massenhaften Armutszuzug.

Nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen wissen wir mehr.

Gespeichert von Max Müller (nicht überprüft) am Fr., 12.01.2024 - 13:07

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Es wird wie immer das Gegenteil passieren. Das Wagenknechtbündnis wird nicht der AfD die meisten Stimmen wegnehmen, sondern den linken Parteien.