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Nach der Bundestagswahl: „Die AfD kann in dieser Situation nur gewinnen“

Bei der Bundestagswahl hat die AfD ihr Ergebnis verdoppelt. Die Verantwortung sieht der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder vor allem bei den anderen Parteien. Um der AfD wieder Wähler*innen abzunehmen, brauche es jetzt einen „historischen Kompromiss“.

von Kai Doering · 24. Februar 2025
Der blaue Balken ging am Wahlabend weit nach oben: Bei der Bundestagswahl hat die AfD ein Rekordergebnis eingefahren.

Der blaue Balken ging am Wahlabend weit nach oben: Bei der Bundestagswahl hat die AfD ein Rekordergebnis eingefahren.

Mit 20,8 Prozent hat die AfD bei der Bundestagswahl ihr Ergebnis von 2021 verdoppelt. In allen ostdeutschen Bundesländern außer in Berlin ist sie die stärkste Partei geworden. Welche Gründe sehen Sie dafür?

Dieses starke Ergebnis der AfD hat auch viel mit dem Verhalten der Ampel-Koalition zu tun. Dann damit, dass die CDU Positionen der AfD einfach übernimmt. Da ist es doch klar, dass die Menschen sich fragen, warum sie die CDU wählen sollen, nicht aber die AfD. Und sie fragen sich auch, warum die einen als rechtsextrem gelten, obwohl sie dieselben Forderungen aufstellen. 

Es gibt also eine deutliche Politik-, Integrations- und Orientierungsschwäche in der demokratischen Mitte, die dieses Ergebnis der AfD mit verursacht hat. Das betrifft die SPD übrigens auch.

Die AfD ist in Teilen rechtsextrem, mehrere Landesverbände werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Trotzdem wurde die AfD nun von jedem Fünften gewählt – oder gerade deshalb?

Die AfD wurde von zehn Millionen Menschen gewählt. Die kann man nicht alle als Rechtsaußen oder gar als rechtsextrem identifizieren. Zudem haben rund 1,9 Millionen Nichtwähler der AfD ihre Stimme gegeben. Und unter den Jungen hat die Partei überdurchschnittlich gut abgeschnitten. 

Man sollte also differenziert betrachten, mit was für einer Partei wir es hier mittlerweile zu tun haben. Nur aus Protest wird sie schon länger nicht mehr gewählt. Stattdessen sind wir jetzt auf einem Pfad, den Italien, Frankreich, Österreich, aber teilweise auch die nordischen Länder bereits seit längerer Zeit beschreiten. Und die Frage ist, kann man der AfD das Wasser inhaltlich abgraben oder wird man die Brandmauer weiterhin aufrecht erhalten können?

Wolfgang
Schroeder

Mit dem Status der stärksten Oppositionsfraktion verbinden sich ja eine ganze Reihe von Privilegien und von Sichtbarkeiten.

Sie gehen also davon aus, dass die Brandmauer nach diesem Ergebnis nicht mehr zu halten ist?

Das wird maßgeblich von der AfD selbst abhängen. Solange sie keine Gewähr dafür geben kann, dass sie eine demokratische Partei ist, und solange sie die zentralen Interessen der Bundesrepublik Deutschland mit Füßen tritt, indem sie die Europäische Union und den Euro infrage stellt und ihren Kurs gegenüber Russland fährt, ist die AfD natürlich jenseits von allen Koalitionsmöglichkeiten angesiedelt. 

Aber wenn sie diese Position korrigieren würde, könnte sich das ändern. In anderen europäischen Ländern haben extrem rechte Parteien ja auch eine Wandlung durchgemacht und sind so koalitions- und damit teilweise auch regierungsfähig geworden.

Wenn man sich die vergangenen Monate und auch den Parteitag in Riesa ansieht, hatte man eher den Eindruck, die AfD radikalisiert sich weiter. Nun wird sie mit 152 Abgeordneten aller Voraussicht nach Oppositionsführerin sein. Welches Auftreten erwarten Sie da?

Die AfD war ja schon einmal zwischen 2017 und 2021 stärkste Oppositionskraft und hat das als Bühne für sich genutzt. Mit dem Status der stärksten Oppositionsfraktion verbinden sich ja eine ganze Reihe von Privilegien und von Sichtbarkeiten. Das wird diesmal vermutlich noch stärker ausgeprägt sein, weil die AfD deutlich mehr Abgeordnete hat und sie lautstärker und selbstbewusster auftreten werden. 

Zudem weiß die AfD viel besser um die vulnerablen Stellen der anderen Parteien und kann damit für eine erhebliche Dynamik im Parlament sorgen. Mit Friedrich Merz übernimmt zudem ein wirklich sehr schwer berechenbarer und auf dieser Ebene eher unerfahrener Kandidat das Kanzleramt. Das wird sich die AfD zunutzemachen.

Wolfgang
Schroeder

Was wir jetzt brauchen, ist ein historischer Kompromiss in der demokratischen Mitte bei Migration und Schuldenbremse.

Rechnerisch hätte eine Koalition aus Union und AfD die größte Mehrheit im Bundestag. Alice Weidel hat Friedrich Merz bereits Gespräche angeboten. Will die AfD denn überhaupt regieren?

Das ist natürlich ein vergiftetes Angebot. Die AfD weiß ja, dass die CDU nicht mit ihr regieren kann und will. Öffentlich zu zeigen, dass man bereit wäre, Verantwortung zu übernehmen, verbessert für die AfD die Plausibilität der eigenen offensiven Aktivitäten. Zudem kann sie, wenn die Union ablehnt, sagen: „Ihr wollt einen Politikwechsel, denn bekommt ihr nur mit uns“. 

So gesehen kann die AfD in dieser Situation nur gewinnen. Und diesmal dürfte es noch eine ganz andere Dynamik geben als in der Phase zwischen 2017 und 2021, weil die AfD jetzt zum einen deutlich selbstbewusster, zum anderen aber auch international viel besser vernetzt und anerkannt ist.

Kann es einer möglichen Koalition aus Union und SPD denn gelingen, die AfD wieder zu reduzieren oder wäre sie eher ein Konjunkturprogramm für die Partei?

Das kommt darauf an, wie sich die anderen Parteien verhalten. Was wir jetzt brauchen, ist ein historischer Kompromiss in der demokratischen Mitte bei den umstrittenen Themen Migration und Schuldenbremse. Das beinhaltet mehr Planbarkeit in der Migrationsfrage: zum einen mehr Begrenzung im Bereich der illegalen Migration und zum anderen mehr Push im Bereich der arbeitsbezogenen Migration. 

Wenn man das koppelt mit Investitionen und einer Reform der Schuldenbremse, um die Infrastruktur dieses Landes fit für die Zukunft zu machen, könnte man zeigen, dass die Politik handlungsfähiger wird und hätte ein überzeugendes Paket. So könnte es auch gelingen, bei der Migration wegzukommen von einer hektischen Abschottungspolitik, hin zu einer Begrenzungs- und Steuerungspolitik. Deutschland braucht schließlich jedes Jahr 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland. Daran wird auch die AfD nichts ändern können.

Aktuelle Entwicklungen zur Bundestagswahl 2025 gibt es zum Nachlesen in unserem Newsticker.

Wolfgang Schroeder

ist Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kassel.

Wolfgang Schroeder
Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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Gespeichert von Elias Hallmoser (nicht überprüft) am Mo., 24.02.2025 - 17:39

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Dass Deutschland jedes Jahr 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland brauche, ist so ein Glaubenssatz.

Es gibt ja Freizügigkeit für Bürger aus EU-Staaten. Denen muss man etwas bieten aber auch von ihnen fordern.

Dazu kommen noch Bürger aus wissenschaftlich-technisch hochentwickelten Staaten [USA, Japan, Schweiz ...], mit denen bilaterale Verträge existieren.

Schliesslich können tatsächlich qualifizierte Bürger aus Nicht-EU-Staaten über die blaue Karte der EU nach Deutschland kommen.

Doch man muss sich fragen, warum bspw. an den ca. 420 Fachhochschulen/Universitäten Deutschlands (und den vier Grossforschungseinrichtungen Max-Planck ...) nicht genügend Fachleute ausgebildet werden.

Ganz abgesehen davon, dass die dt. Industrie weiter automatisiert wird [Industrie 4.0 ...]

Wer legal nach Deutschland kommen will, für den existieren bereits genügend Zugangswege.

Was wir nicht brauchten/brauchen, ist eine illegale und massenhafte Armutsmigration. Dagegen steht vor allem die AfD.

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