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Spätestens seit der Coronapandemie ist deutlich geworden: Die deutsche Bildungsinfrastruktur steht vor großen Herausforderungen.
Wie denken eigentlich diejenigen über den Zustand der deutschen Schulen, die sich täglich in ihnen aufhalten? „Kinder und Jugendliche würden sagen, dass die Bildungsinfrastruktur verbesserungswürdig ist“, meint die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot, die in diesem Jahr Vorsitzende der Kultusministerkonferenz ist. Spätestens seit der Coronapandemie ist deutlich geworden: Die deutsche Bildungsinfrastruktur steht vor großen Herausforderungen. An allen Ecken und Enden fehlen die finanziellen Mittel – sei es für Digitalisierung, Fachkräfte oder Sanierung. Bereits im vergangenen Jahr schätzte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken den Sanierungsstau an den Schulen auf 50 Milliarden Euro.
Sie forderte deshalb ein Bildungs-Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Der Bildungsökonom sowie Gründer und Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) Dieter Dohmen schätzt den Investitionsbedarf sogar noch höher ein: auf zwei- bis dreihundert Milliarden Euro. Und das hat Folgen. Dohmens Einschätzung nach verschärft die aktuelle Situation an den Schulen auch den Fachkräftemangel. Denn in einem Schulsystem, in dem es an so vielem fehlt, könne nicht mehr garantiert werden, dass es wirklich alle Kinder fördere. Dadurch steige die Zahl der Erwachsenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, so Dohmen, und der Fachkräftemangel in Deutschland werde weiter verstärkt.
Zu viele Kinder „abgehängt"
Auch Saskia Esken ist davon überzeugt, dass es Investitionen braucht, damit wieder alle Kinder vom Bildungssystem profitieren. Aktuell sei bereits am Ende der Grundschule ein Viertel „abgehängt“, sagt sie, viele verließen im späteren Verlauf die Schule ohne Abschluss. „Verlorene, verbaute Bildungschancen für so viele – das ist eine Ungerechtigkeit“, findet die SPD-Vorsitzende. Um dem entgegenzuwirken, fordert Esken eine Abkehr vom sogenannten Königsteiner Schlüssel, nach dem die Gelder des Bundes nach Einwohnerzahl auf die Länder verteilt werden. Vielmehr müsse man „Ungleiches ungleich fördern“, fordert sie.
Saskia Esken,
SPD-
Chefin
Verlorene, verbaute Bildungschancen für so viele – das ist eine Ungerechtigkeit.
Ein erster Versuch, genau das zu tun, sei das „Startchancenprogramm“ der Bundesregierung, erklärt die SPD-Chefin. Dabei werden mehr als zehn Jahre 20 Milliarden Euro an Schulen mit einem hohen Anteil benachteiligter Schülerinnen und Schüler verteilt – aktuell profitiere davon jede zehnte Schule. Aus Sicht von Esken reicht das aber nicht aus. Langfristig wünscht sie sich, dass das Programm schrittweise auf die Hälfte aller Schulen ausgeweitet wird.
Wer Investitionen scheut, muss Folgen zahlen
Doch die Liste der langfristigen Projekte, die für eine umfangreiche Modernisierung der Bildungsinfrastruktur nötig wären, ist lang. Da ist beispielsweise der 2019 beschlossene „Digitalpakt Schule“, der in diesem Jahr ausläuft. Ein „Digitalpakt 2.0“ ist zwar vorgesehen, seine Finanzierung aber noch nicht endgültig gesichert, da sich Bund und Länder in der Finanzierung nicht einig sind. Das ist keine Seltenheit. Vor allem auf kommunaler Ebene ist das Geld oft knapp – so auch in Sachen Bildung. „Bei der Modernisierung der Bildungsinfrastruktur stehen die kommunalen Schulträger vor großen Herausforderungen“, erklärt Christine Streichert-Clivot. „Wir wissen, dass die Finanzsituation unserer Städte und Gemeinden nicht einfach ist.“ Doch Investitionen in die Bildungsinfrastruktur sind für die Ministerin nicht verhandelbar, und die Zeit drängt.
Grundsätzlicher wird Dieter Dohmen. Es brauche einen langfristigen Blick für Bildungsthemen, der über die Dauer von Wahlperioden hinausgehe, fordert der Bildungsökonom und mahnt: „Je länger Investitionen aufgeschoben werden, desto teurer wird es.“ Das gelte für jede versäumte Investition im Bildungsbereich. Egal ob lahmende Digitalisierung, marode Schulgebäude, akuter Fachkräftemangel oder eine unzureichend ausgebildete Bevölkerung – immer gilt: Wer Investitionskosten scheut, muss die Folgen bezahlen.