Vor 50 Jahren: Warum der Streit um Paragraf 218 kein Ende fand
Es sollte eine Zeitenwende für Frauen werden: Im April 1974 beschließt der Bundestag die Straflosigkeit von Abtreibungen durch die Fristenlösung in Paragraf 218. Herta Däubler-Gmelin war als SPD-Bundestagsabgeordnete mit dabei. Hier erinnert sie sich an die historische Entscheidung, auf die ein Rückschlag folgte.
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Die SPD protestiert: hier am 26. Februar 1975 in Bonn, einen Tag nach dem Nein des Bundesverfassungsgerichtes zur Fristenlösung des reformierten Paragrafen 218.
Der 26. April 1974 war ein besonderer Tag im Bundestag: Es ging zunächst um Günter Guillaume, den DDR-Spion, der Willy Brandt untergeschoben worden war und wenige Tage später zu seinem Rücktritt führen sollte.
Am gleichen Tag beschloss die Bonner sozialliberale Koalition die Fristenregelung. Danach sollten Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen – ohne Angabe von Gründen – generell straflos sein.
Viele von uns jüngeren SPD- Frauen hatten auf diesen Tag hingearbeitet. Wir hofften auf ein Ende des langen Kampfes gegen die Strafbarkeit von Abtreibungen, das wir bisweilen auch zum Ärger einiger unserer Granden, immer wieder eingefordert hatten: an Infoständen, auf Demonstrationen und auf Par- teitagen.
Die DDR hatte bereits 1972 eine Fristenregelung eingeführt – und in der Bundesrepublik unterstützten „Stern"-Kampagnen wie die öffentlichen Bekenntnisse berühmter Frauen „Ich habe abgetrieben“ oder auch „Mein Bauch gehört mir“ die Forderung nach „Hilfe statt Strafe“.
In jener Debatte am 26. April 1974 hat meine Fraktionskollegin Renate Lepsius in einer großen Rede all das vorgetragen, was Frauen seit Jahrhunderten quälte: die Zwangslage, ihre Not, das Ausgeliefertsein und die Gesundheitsgefährdungen, die Frauen ertragen mussten. Die Nutzlosigkeit des Strafrechts, aber auch die persönlichen Angriffe, mit denen rückwärtsgewandte und Konservative uns Frauen immer wieder überschütteten, also das Märchen von der lockeren Moral und unserer Leichtfertigkeit. Solche Anfein- dungen hatten wir immer wieder erlebt, abgeschreckt hatten sie uns freilich nicht.
Das Schicksal etwa jener mehr als 80-jährigen Frau mit traditionell schwäbisch-schwarzem Witwen-Kopftuch war einfach wichtiger: Sie erzählte von ihrer Not und flüsterte mir an einem unserer damaligen Infostände mitten auf der Tübinger Neckarbrücke zu: „Recht habt ihr, macht ja weiter! Auch für uns! Wir mussten so viel Schreckliches erleben und wir konnten ja nicht drüber reden."
Die Opposition geht nach Karlsruhe
Bemerkenswert bleibt die Debatte vor 50 Jahren freilich auch, weil sie schnell zeigt, die Auseinandersetzung würde weitergehen. Die Redner der damaligen Opposition von CDU und CSU wiederholten ihre Anschuldigungen und Vorwürfe, verwarfen die Fristenregelung mit scharfen Formulierungen und kündigten den schnellen Gang nach Karlsruhe an.
Das taten sie und das Bundesverfassungsgericht hat 1975 die Fristenregelung für verfassungswidrig erklärt. Ihr folgte dann die erweiterte Indikationenregelung.
Im Rückblick mischt sich in die Erinnerung an jene Auseinandersetzung vor 50 Jahren eine weitere: die an den Versuch des Einheitsvertrags-Unterhändlers Wolfgang Schäuble, in diesem Vertrag auch die DDR-Fristenregelung schlicht vom Tisch zu wischen.
Dieser Plan sollte uns Frauen ganz am Ende der Verhandlungen im Sommer 1990 überfahren. Das scheiterte, weil wir mit der Hilfe der meisten Journalistinnen und Herausgeberinnen Kanzler Helmut Kohl schnell klarmachen konnten, welchen Ärger das gäbe. Davor scheute er zurück und gab nach. Das Ergebnis: Fortgeltung der Fristenregelung der DDR bis zu einer neuen gesamtdeutschen Regelung.
Was noch zu tun bleibt
Diese haben wir heute, eine Kombination aus Fristen- und Beratungsregelung, die Karlsruhe als „nicht rechtfertigende Fristenregelung mit Beratungspflicht“ für verfassungsmäßig erklärt hat.
Also, alles in Ordnung heute? Zumal die Abtreibungszahlen keineswegs explodieren? Leider nicht, weil rückwärtsgewandte Ideolog*innen und Rechtsextreme, die sich irrtümlich „Lebensschützer“ nennen, auch bei uns weiterhin Ärzte und Frauen bedrohen.
Mag sein, dass in anderen Ländern die Aggressionen solcher Gruppen schlimmer und häufiger sind – Wachsamkeit ist auch bei uns geboten, auch im 50. Jahr nach jener denkwürdigen Debatte vom 26. April 1974.
war stellvertretende Vorsitzende der SPD und Bundesministerin der Justiz. Sie gehörte von 1972 bis 2009 dem Deutschen Bundestag an.