75. Geburtstag: Herta Däubler-Gmelin ist immer noch rastlos
Wenn von „Herta“ gesprochen wird, weiß jeder politisch einigermaßen Informierte, wer gemeint ist: Herta Däubler-Gmelin, die linke Sozialdemokratin aus Tübingen und frühere Bundesjustizministerin. Am Sonntag, dem 12. August, wird sie 75 Jahre alt. Rastlos ist sie immer noch rund um den Globus unterwegs, ist in vielen Ländern eine gefragte Beraterin in Sachen Menschenrechte und wirbt für demokratische Strukturen.
Absolut loyal
Fast 40 Jahre, von 1972 bis 2009, saß sie im Bundestag, eine Hinterbänklerin war sie nie – einfach auch nicht. Und doch ist ihre Fan-Gemeinde im Laufe der Jahrzehnte stetig gewachsen. Denn Herta – die Unprätentiöse, die Schwierige, die Lachlustige – kann zwar ganz schnell von fröhlichem Spott auf Angriff umschalten, aber sie ist eben auch absolut loyal. Und deshalb trifft man bei Festen im Hause Däubler bei Tübingen auch überwiegend Menschen, die sie nun schon ein halbes Jahrhundert und länger begleiten. Selbst ihre Gegner (und die gibt es auch in der eigenen Partei) bestätigen, dass sie eine brillante Juristin ist, schnell im Denken, stets wohlinformiert und akribisch genau.
Dabei wollte sie ursprünglich keineswegs Jura studieren, sondern Musikwissenschaften. Doch der Vater (damals Oberbürgermeister in Tübingen) hielt als guter Schwabe nichts von solch brotlosen Künsten. So rückten Orgel- und Klavierspiel und die intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach immer weiter in den Hintergrund.
Kritisch beäugt
Als Herta Däubler-Gmelin, seit bald 50 Jahren verheiratet mit dem bekannten Arbeitsrechtler Wolf Däubler, 1972 in den Bundestag gewählt wurde, saßen dort etwa zehn Prozent Frauen. Die damals 29-Jährige, die zur Entrüstung vieler älterer Männer auch noch schwanger war, galt als linke Exotin. Sie und die anderen neuen, jungen Abgeordneten waren geprägt von 1968 und sahen sich als Ziehkinder von Willy Brandt und Erhard Eppler. Sie stützten die ökologischen Forderungen des einen und die Ostpolitik des anderen und wurden von rechten Sozialdemokraten (den damals sogenannten Kanalarbeitern) mindestens so kritisch beäugt wie von den politischen Gegnern.
1988 wurde Herta zur stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden gewählt. Es war der erste Einbruch einer Frau in diesen exklusiven Männerklub. 1998 dann bekam die langjährige Vorsitzende des Rechtsausschusses ihren Traumjob: Sie wurde Bundesjustizministerin und zwar eine außergewöhnlich erfolgreiche, wie selbst Mitarbeiter, die unter ihren Ansprüchen stöhnten, stets voller Stolz bestätigten. Das Bürgerliche Gesetzbuch wurde damals grundlegend modernisiert und viele schwule Paare sind ihr bis heute dankbar für das Lebenspartnergesetz, wie das damals hieß.
Hitler-Vergleich
Vier Jahre später musste sie gehen. In der aufgeheizten Stimmung vor dem Irakkrieg hatte sie vor Betriebsräten in Tübingen George W. Bushs kriegerische Außenpolitik als Ablenkung von innenpolitischen Schwierigkeiten gedeutet und mit der Hitlers im Jahre 1938 verglichen. Der Abschied vom Amt fiel ihr schwer. Es war eine Wunde, die lange nicht heilte. Jahre später sagte sie: „Für mich war es wahrscheinlich gar nicht schlecht, dass ich da ausgeschieden bin. Ich habe die zweite Amtszeit Schröder inhaltlich nur schwer mittragen können.“ Ihre Auseinandersetzungen im Kabinett, vor allem mit Bundesinnenminister Otto Schily wegen seiner Sicherheitsgesetze, waren damals legendär.
Ihr striktes Nein zur Sterbehilfe und Forschung an Embryonen hat ihr neben Zustimmung auch viele Gegner gebracht. Die Bibel und das Grundgesetz hat sie einmal ihre Leitsterne genannt: „Das sind unsere religiösen, ethischen und rechtlichen Fundamente.“ Das alles hat sie anstrengend gemacht in einem Kabinett, in dem für ihren Geschmack allzu oft nach Stimmungen regiert, vermeintlichen Mehrheitsmeinungen nachgegeben wurde.
Erfolgreiche Anwältin
So unverzichtbar wie unbequem sei sie, war nach ihrem Rücktritt in der „Zeit“ zu lesen. Manches wäre einfacher gewesen, so sagen ihre Freunde, wenn sie etwas konzilianter im Ton gewesen wäre. Was bei Männern ihres Jahrgangs Anerkennung fand – nämlich Machtwille, Durchsetzungsvermögen, scharfe Auseinandersetzungen in der Sache – hat man ihr, und Frauen überhaupt, damals übel genommen.
Das alles ist Vergangenheit. Heute ist sie eine erfolgreiche Anwältin, Schlichterin bei Tarifverhandlungen, Beraterin in Sachen Menschenrechte in vielen Ländern rund um den Globus. Und immer noch träumt sie von mehr Zeit für die Enkel, von langen Ferien, vom Lesen dicker Bücher im Schatten ihres Nussbaums im heimischen Garten. Und dann packt sie wieder die Koffer und bricht auf nach Kambodscha oder Sambia, nach Shanghai oder auch „nur“ nach Berlin.
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.