Meinung

Das Recht auf Abtreibung muss europäisches Grundrecht werden

Das Europaparlament will das Recht auf sichere Schwangerschaftsabbrüche in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufnehmen. Die SPD muss sich dafür einsetzen, dass es dazu kommt.
von Teresa Kugelmeier López · 20. Juni 2023
Demonstration für das Recht auf Abtreibung im polnischen Warschau: Der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen muss ein Menschenrecht sein.
Demonstration für das Recht auf Abtreibung im polnischen Warschau: Der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen muss ein Menschenrecht sein.

Am 24. Juni vergangenen Jahres ging ein Thema durch alle Medien: Der Oberste Gerichtshof der USA kippte das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche auf Bundesebene, womit er das Urteil „Roe vs. Wade“ aufhob, was ein enormer Rückschritt der reproduktiven Rechte weltweit war. In Europa ist es erst zwei Jahre her, als in Polen Tausende gegen ein fast vollständiges Verbot legaler Abtreibungen auf die Straße gingen.

Die steigende Zahl der Anti-Abtreibungsbewegungen macht aber nicht vor Polen halt, sondern ist in EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Italien, der Slowakei oder Ungarn schon seit längerer Zeit zu beobachten. In Deutschland finden immer häufiger Proteste vor Abtreibungskliniken und Beratungszentren statt. Besonders der Rechtsruck in Europa gefährdet den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen.

Von einem nationalen Thema zu einer Priorität der EU-Außenbeziehungen

Eine lautstarke Koalition im Europäischen Parlament, die sich aus einem feministischen Kern von Sozialdemokrat*innen, Grünen und progressiven Liberalen zusammensetzt, reagierte auf diese Rückschläge mit der Forderung, das Recht auf sichere Schwangerschaftsabbrüche in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufzunehmen. Die Argumentation: Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist ein Kernbereich der Allgemeinen Menschenrechte, der sich auf Respekt für die körperliche Unversehrtheit und persönliche Autonomie aller Individuen begründet. Mit der Aufnahme in die Grundrechte-Charte würden Schwangerschaftsabbrüche aus dem Bereich der Gesundheitspolitik, was eine nationale Kompetenz darstellt, herausgenommen und in den Bereich der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit aufgenommen werden – und somit in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union.

Das Europäische Parlament beschloss dafür im Sommer 2022 eine Resolution – gegen den heftigen Widerstand der konservativen Parteien. Die Forderung des Parlaments wird untermauert durch die Besorgnis über den Anstieg der Gelder für Anti-Abtreibungsgruppen und ihre zunehmende Vernetzung innerhalb der EU. Mitglieder des Europäischen Parlaments fordern in der Resolution daher die Europäische Kommission und Mitgliedsstaaten auf, Ausgaben für den Schutz von Frauenrechten weltweit zu erhöhen und diese Thematik zu einer Priorität der Außenbeziehungen der EU zu machen.

Klare Unterstützung von Europas Sozialdemokrat*innen

Auf Parteiebene der Europäischen Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen (SPE) wird die Forderung des Europäischen Parlaments unterstützt. Der neu gewählte Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), Stefan Löfven, machte die Aufnahme des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche in die EU-Grundrechtecharta zu einer zentralen ersten Forderung seiner Antrittsrede im Herbst 2022 in Berlin. 

Die SPD muss der Forderung des Europaparlaments folgen und vorbehaltlos anerkennen, dass sexuelle und reproduktive Gesundheit und damit verbundene Rechte zum Kernbereich der Menschenrechte gehören. Verstöße stellen eine Form der Gewalt gegen Frauen und Mädchen dar. Die SPD muss sich daher als Regierungspartei für die Resolution des Europäischen Parlaments, mit der Forderung der Aufnahme des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche in die EU-Charta der Grundrechte, im Europäischen Rat einzusetzen.

Dafür muss der Europäische Rat nun einen Konvent zur Überarbeitung der EU-Verträge einberufen, was mit einer einfachen Mehrheit möglich ist. Es ist an den Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten, auf einer Tagung des Europäischen Rates mit einfacher Mehrheit über die Einsetzung eines Konvents zu entscheiden. Deutschland muss seiner Verantwortung als größtes Mitgliedsland nachkommen und diesen Prozess entscheidend im Rat voranbringen.

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Autor*in
Teresa Kugelmeier López

hat mehrere Jahre in Brüssel an Europapolitik gearbeitet und arbeitet nun in einem Bundesministerium. Sie war Vorstandsmitglied der SPD-International und der SPD Brüssel. Sie ist Teil des Netzwerkes „Feministische Außenpolitik“.

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