Adolf Grimme: Christ, Sozialist, Lehrer
Der Adolf-Grimme-Preis ist die renommierteste Medien-Auszeichung in Deutschland. Der Mann, nach dem er benannt wurde, ist dagegen weitgehend vergessen. Dabei prägte Adolf Grimme den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an entscheidenden Stellen.
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Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entscheidend mitgeprägt: Adolf Grimme bei der Grundsteinlegung für das NWDR-Fernsehstudio in Hamburg-Lokstedt im Oktober 1952
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland sind per Staatsverträgen verpflichtet, ihren Zuhörer*innen, neben der umfassenden und objektiven Berichterstattung über das Ausland, Europa und die deutschen Lande, Programme anzubieten, „die informieren, bilden, beraten, unterhalten und insbesondere Beiträge zur Kultur anbieten“ (NDR-Staatsvertrag). Das klingt für viele Menschen, die sich jede Form von Belehrung verbitten, merkwürdig archaisch, und das ist es auch.
Im Kern geht der Programmauftrag auf Adolf Grimme, den ersten deutschen Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), zurück, der in seiner Antrittsrede am 15. November 1948 erklärte, dass es nicht darum gehe, „was die Hörer erwarten, sondern was sie erwarten sollen. So dass es die vornehmste Aufgabe des Rundfunks wäre, diese berechtigten Interessen erst einmal zu wecken.“ Dabei dürfe der Rundfunk, so Grimme, „wenn er dieser seiner Sendung als Erzieher zum Qualitätsgefühl treu bleiben will, nicht der verführerischen Jagd nach Popularität verfallen“.
Entwicklung zum politisch engagierten Pädagogen
Als Adolf Grimme diesen erzieherisch, programmatischen Anspruch äußert, sind viele Menschen noch von dem braunen Einheitsbrei geprägt, der aus den Goebbels’schen Grölapparaten gequollen war. Grimme ist auf Grund seiner Biographie genau der Richtige, den NWDR als „Erziehungsanstalt“ auszubauen, denn er ist Christ, Sozialist und Lehrer. Geboren wird der Sohn eines Bahnbeamten und einer streng religiösen Mutter am 31. Dezember 1889 in Goslar am Harz. Nach dem Abitur in Hildesheim studiert er Philosophie, Theologie und Germanistik. Da er krankheitsbedingt kriegsuntauglich ist, kann er nach dem Staatsexamen 1914 sein Referendariat in Göttingen aufnehmen.
Im Jahr darauf wird er Assessor am Gymnasium im ostfriesischen Leer. „Wenn ich zurückdenke, will mir die Zeit von 1915 bis 1919 fast als die erfüllteste meines ganzen beruflichen Daseins erscheinen“, schreibt Adolf Grimme 1956 einem Freund. Das ist nicht kokettierend gemeint, denn in Leer entwickelt sich Grimme zum politisch engagierten Pädagogen. Nach der Novemberrevolution gründet er 1918 in Leer die „Deutsche Demokratische Partei“ und wird Mitglied des örtlichen Arbeiter- und Soldatenrates.
„Als Christ muss ich Sozialist sein.“
1919 wechselt Adolf Grimme als Studienrat an eine Oberrealschule nach Hannover. Hier wird er vom reformorientierten Pädagogen zum „entschiedenen Schulreformer“ und Erwachsenenbildner. Gemeinsam mit dem Philosophen Theodor Lessing legt Adolf Grimme 1921 den Programmentwurf für die Hannoversche Ortsgruppe des „Bundes der entschiedenen Schulreformer“ vor, in dem die Grundsätze seiner politisch-ethischen Überzeugungen deutlich werden: die „Anerkennung des Eigenlebens und des Eigenwertes der Jugend“, die weltliche Gemeinschaftsschule ohne Bekenntnisbindung und die Erziehung zur Menschheit und nicht für das Vaterland.
Unter dem Eindruck der Ermordung Walther Rathenaus schließt sich Adolf Grimme 1923 in Hannover der SPD an, in der er als überzeugter Christ eine Außenseiterstellung einnimmt. Dabei ist sein Lebensmotto durchaus parteitauglich: „Als Sozialist kann ich Christ sein, als Christ muss ich Sozialist sein.“ Mit diesem Selbstverständnis wird er Mitglied im „Bund religiöser Sozialisten“. Seinem Ortsverein Hannover-Laatzen stellt sich Grimme mit den Worten vor: „Ich bin der einzige sozialistische Studienrat“.
An Selbstbewusstsein mangelt es ihm also nicht, als er 1923 zum Dezernenten im Provinzialschulkollegium in Hannover ernannt wird, das noch weitgehend konservativ geprägt ist. 1925 wechselt Adolf Grimme als Oberschulrat nach Magdeburg, aber auch dieser Karriereschritt währt nicht lang. Zwei Jahre später wird Adolf Grimme Ministerialrat im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und 1929 Vizepräsident des Provinzialschulkollegiums von Berlin und der Mark Brandenburg.
Eine Zumutung für die SPD-Fraktion
1930 beruft der Preußische Ministerpräsident Otto Braun seinen Genossen Adolf Grimme in das Amt des Preußischen Kultusministers. Er tritt die Nachfolge des hoch geachteten Orientalisten Carl Heinrich Becker an, der dem Parteien-Proporz zum Opfer gefallen ist. Becker selbst hat Grimme vorgeschlagen. Für die SPD-Fraktion im Preußischen Landtag ist Grimmes Ernennung eine gewisse Zumutung, denn er hat keinen „Stallgeruch“ und erklärt unumwunden, er sei zwar „Exponent einer Partei, aber nicht deren Marionette.“ Grimme setzt Beckers Reformpolitik konsequent fort, da sie seinen Anforderungen an einen demokratischen Schulbetrieb entspricht.
Wie sein Vorgänger sieht Adolf Grimme in der Volksschullehrerbildung eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der Republik, obwohl diese bereits deutliche Verfallserscheinungen zeigt. Widerwillig muss Grimme etliche gerade erst gegründete „Pädagogische Akademien“ aus finanziellen Gründen wieder schließen. Grimme selbst bezeichnet seine Zeit als Kultusminister, in der er vielfach gegen seine eigenen Überzeugungen handeln muss, als „undankbare Jahre“.
Im Visier der Gestapo
Adolf Grimmes Amtszeit endet am 20. Juli 1932 nach dem so genannten Preußenschlag durch Reichskanzler Franz von Papen. In der kurzen verbleibenden Zeit der Demokratie entwickelt sich Adolf Grimme zum profilierten Nazi-Gegner. Er brandmarkt Hitler als „Volksfeind“, „Kulturschande“ und „Totengräber der Nation“ und sagt für den Fall der Machtübertragung an die Nazis den Krieg voraus. Dennoch kann er mit seiner Familie zunächst unbehelligt in seinem Haus in Kleinmachnow bei Berlin leben. Da ihm die Pension gestrichen ist, hält er sich mit Ersparnissen und einer heimlichen Korrektorentätigkeit für den de Gruyter-Verlag über Wasser.
Über seinen alten Freund Adam Kuckhoff nimmt Adolf Grimme Kontakte zur so genannten Roten Kapelle auf. Als diese 1942 auffliegt gerät auch Grimme ins Visier der Gestapo. Wegen „Nichtanzeige eines Vorhabens des Hochverrats“ wird er im Februar 1943 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in den Zuchthäusern Luckau und schließlich bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 in Hamburg-Fuhlsbüttel absitzen muss.
Als Kultusminister in den Verwaltungsrat des NWDR
Die britischen Besatzungsbehörden ernennen Adolf Grimme am 1. August 1945 zum Leiter der provisorischen Zentralstelle für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Hannover und betrauen ihn mit der Neuorganisation eines demokratischen Schulwesens. Mit der Gründung des Landes Niedersachsen am 1. November 1946 übernimmt Adolf Grimme im Kabinett von Hinrich Wilhelm Kopf das Amt des Kultusministers und versucht seine preußische Reformpolitik fortzusetzen. In seine Amtszeit fällt die Gründung der Pädagogischen Hochschulen, denn noch immer sieht Grimme die Volksschullehrerbildung als Schlüssel für eine demokratische Republik an.
In seiner Funktion als Kultusminister wird Adolf Grimme 1948 in den Verwaltungsrat des NWDR berufen und am 8. September des Jahres zum Generaldirektor des Senders gewählt. Seine Amtszeit endet nach der Aufspaltung des NWDR in NDR und WDR, die Grimme vehement bekämpft hatte, zum 1. April 1955.
Adolf Grimme stirbt am 28. August 1963 in Degerndorf am Inn. Als im Jahr darauf der „Grimme-Preis“ als Auszeichnung herausragender Fernsehbeiträge ausgelobt wird, ist Grimme bereits ein „Name ohne Geschichte“. Erst in jüngster Zeit wird der „leidenschaftliche Lehrer“, der christliche Sozialist, der Reformpädagoge und wegweisende Rundfunk-Programmatiker gebührend gewürdigt.