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Überraschungsbesuch in Kiew: Warum Olaf Scholz in die Ukraine gereist ist

Am Montag ist Bundeskanzler Olaf Scholz überraschend in die Ukraine gereist. In Kiew trifft er auch Präsident Selenskyj. Im Gepäck hat Scholz klare Zusagen für eine weitere Unterstützung des Landes.

von Kai Doering · 2. Dezember 2024
Zeichen der Unterstützung: Am Montag nahmen Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an einer Zeremonie zur Ehrung gefallener Soldaten in Kiew teil.

Zeichen der Unterstützung: Am Montag nahmen Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an einer Zeremonie zur Ehrung gefallener Soldaten in Kiew teil.

Das Bild des blauen Zugs mit dem schmalen gelben Streifen ist in Deutschland bereits bekannt. Erst am Sonntag waren der neue EU-Ratspräsident António Costa und die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Kaja Kallas, damit nach Kiew gereist. Am Montagmorgen ist auch Olaf Scholz per Nachtzug in der ukrainischen Hauptstadt angekommen. Es ist sein zweiter Besuch nach einer Visite im Juni 2022. „Mit dem Zug durch ein Land, das sich seit über 1000 Tagen gegen den russischen Angriffskrieg verteidigt“, schrieb der Bundeskanzler am Morgen auf Twitter. Der Luftraum über der Ukraine ist seit Beginn des russischen Angriffs im Februar 2022 gesperrt.

Weitere Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro

Scholz‘ Besuch in der Ukraine war vorher aus Sicherheitsgründen nicht angekündigt worden und kam daher überraschend. Der 18. November war der tausendste Kriegstag. Der Besuch des Bundeskanzlers ist daher auch als Akt der Solidarität mit dem kriegsgebeutelten Land und seiner Bevölkerung zu sehen. Am späten Vormittag veröffentlichte er ein Foto, das ihn und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei einer Zeremonie zur Ehrung gefallener Soldaten zeigt. „An eurer Seite“, schrieb Scholz dazu. Gemeinsam besuchten er und Selenskyj auch verwundete ukrainische Soldaten in einem Krankenhaus und sahen sich ukrainische Drohnen an, die im Kampf gegen die russischen Truppen zum Einsatz kommen.

Im Gepäck hatte Scholz aber auch konkrete Zusagen für eine weitere Unterstützung der Ukraine. „Beim Treffen mit Wolodymyr Selenskyj werde ich weitere Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro ankündigen, die noch im Dezember geliefert werden sollen“, schrieb der Bundeskanzler auf X und versprach: „Deutschland wird der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben.“ Nach Angaben der Bundesregierung hat Deutschland seit Beginn des Kriegs am 24. Februar 2022 Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von rund 28 Milliarden Euro in die Ukraine geliefert oder zugesagt.

„Wir sind Deutschland für all die Hilfe, die es uns gewährt hat, zutiefst dankbar“, schrieb Wolodymyr Selenskyj am Nachmittag auf Twitter. Deutschland sei „ein europäischer Vorreiter bei der Unterstützung der Ukraine und hilft uns, uns gegen russische Aggression und Terror zu verteidigen. Gemeinsam tun wir alles, um so schnell wie möglich einen gerechten Frieden für die Ukraine – und damit Sicherheit für ganz Europa – wiederherzustellen.“

„Über den Kopf der Ukraine hinweg wird nichts entschieden“

„Unter meiner Führung ist Deutschland der mit Abstand größte Unterstützer der Ukraine in Europa. Dabei bleibt es – so lange wie nötig“, hatte Scholz bereits bei der „Wahlsieg-Konferenz“ der SPD am Samstag angekündigt. Gleichzeitig hatte er gefordert, „auch nach Wegen (zu) suchen, die zu echten Verhandlungen führen“. Dabei gelte allerdings der Grundsatz: „Über den Kopf der Ukraine hinweg wird nichts entschieden. Nur dann ist ein gerechter Frieden möglich.“

In seiner Rede hatte Scholz auch seine Haltung unterstrichen, dass Deutschland trotz aller Unterstützung der Ukraine nicht selbst Kriegspartei werden dürfe. „In Fragen von Krieg und Frieden braucht es einen kühlen Kopf und eine feste Haltung“, hatte Scholz gesagt. „Und ich verspreche den Bürgerinnen und Bürgern: Ich bleibe standfest und besonnen.“ Es gebe in Deutschland nur eine politische Kraft, die klar zur Unterstützung der Ukraine stehe und die zugleich darauf achte, dass Deutschland nicht hineingezogen werde in den Krieg. „Diese Kraft, das ist die deutsche Sozialdemokratie.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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7 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 02.12.2024 - 15:35

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Wieviel Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen ....... könnte man mit diesem Geld fördern ????
Fakt ist, daß "Deutschland" unvorstellbares menschliches Leid verursacht hat und dann haz sich dieses Deeutschland (früher waren es gar 2) jeweils auf die Seite der Sieger gestellt, hat Unrecht teils halbherzig bedauert, aber schlussendlich war man ja auf der Seite der Sieger - der Guten. Jedes Deutschland für sich. Das ist die nicht aufgearbeitete Geschichte, die eigentlich jegliche Kriegsteilnahme verbietet - inclusive Waffenlieferungen und Parteinahme.
Frieden ist das höchste Gut, damit kein Mensch mehr durch (deutsche) Waffen umkommt.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 04.12.2024 - 17:19

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Den überraschenden, neuerlichen Besuch von Bundeskanzler Scholz in der Ukraine dokumentierte unser Fernsehen mit einem Bild vom lächelnden, koffertragenden Scholz, der dem Zug entsteigt und unbekannten Personen die Hand gibt, mit einem lächelnden Scholz, in der Pressekonferenz dem toternsten Selenskyj und dessen toternsten Worten folgend und mit einer Rückenansicht des Duos Scholz-Selenskyj, auf dem ein Meer von Ukraine-Fähnchen wohl ein für uns ungewöhnliches Totengedenken („Zeremonie zur Ehrung gefallener Soldaten“) ablichtete.
In seinem Koffer hatte Scholz „weitere Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro, die noch im Dezember geliefert werden sollen“, verbunden mit der doppelten Zusicherung, „unter meiner Führung ist Deutschland der mit Abstand größte Unterstützer der Ukraine in Europa. Dabei bleibt es – so lange wie nötig“, und „über den Kopf der Ukraine hinweg wird nichts entschieden. Nur dann ist ein gerechter Frieden möglich.“

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 04.12.2024 - 17:22

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Natürlich hätte Scholz das - im Wesentlichen - auch telefonisch machen können, zumal er dieses Versprechen seit Februar 2022 in jeder Äußerung zum Ukraine-Krieg bekräftigt (- mit der Variation, dass der Friede jetzt ein „gerechter“ und nicht ein „Ukraine darf nicht verlieren“ sein soll). Auch das EU-Parlament hat noch im November der Ukraine jede mögliche Unterstützung geschworen. Man muss deshalb kein besonders bösartiger Zeitgenosse sein, um einen Zusammenhang zu vermuten zwischen den Wahlen Ende Februar 2025 und dem Besuch in der Ukraine. Selbstverständlich bedeutet der Besuch auch „Solidarität mit dem kriegsgebeutelten Land und seiner Bevölkerung“ zu bekunden. Man kann den Besuch aber auch ganz anders sehen, nämlich eingebettet in die jüngsten (geo)politischen Ereignisse.

Auf dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro wurden „die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten in dem Abschlussdokument nur knapp erwähnt“. Scholz ist damit erneut gescheitert,

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 04.12.2024 - 17:24

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eine „Verurteilung Russlands“ (DW, 19.11.24) und damit eine globale Isolierung der Russischen Föderation zu erreichen (– eine Erwähnung des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023“ war auch nicht durchsetzbar). Dagegen haben die Außenminister*innen „aus Deutschland, Frankreich und Polen ... (mit denen) Italiens, Spaniens und des Vereinigten Königreichs sowie mit dem Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik zeitgleich geschworen, „unsere militärische, wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung der Ukraine weiter zu steigern, ... und unerschütterlich an unserer Unterstützung eines gerechten und dauerhaften Friedens für die Ukraine festzuhalten, wobei wir bekräftigen, dass Frieden nur mit der Ukraine verhandelt werden kann“. Damit haben die sich aber nicht begnügt, sondern sich feierlich darauf verständigt, „Russland weiterhin abzuschrecken, Putins Fähigkeit zur Fortführung seines Angriffskriegs zu untergraben und Russlands Aufbau militärischer Fähigkeiten

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 04.12.2024 - 17:26

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zu beschränken“. (Den Satz sollte man zweimal lesen.) Selbstverständlich muss die Nato dazu massiv aufrüsten, sodass „in vielen Fällen höhere Ausgaben als 2 % des BIP nötig sein werden“. Unverzichtbar wird auch sein „die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften zu fördern“ (19.11.2024 – Pressemitteilung AA) – aber das wissen wir ja schon von Pistorius. EU-Parlament und EU-Kommission schlossen sich dem inhaltlich an. Trump aber will den Krieg um die Ukraine in kürzester Zeit befrieden – zu welchen Bedingungen ist noch nicht ganz klar. Auch Selenskyj hat kürzlich einen Friedensplan vorgelegt, der - pauschal gesagt - vorübergehenden Verzicht auf die Ostukraine gegen Natobeitritt für die West-Ukraine anbietet.
Das Szenario erinnert deutlich an die Situation im März-April 2022, als Friedenspläne (damals) zwischen russischen und ukrainischen Delegationen ausgelotet, aber nicht weiterverfolgt wurden, nachdem der Nato-Sondergipfel die Friedensverhandlungen

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 04.12.2024 - 17:30

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nicht einmal zur Kenntnis genommen hatte und Austin und Blinken die Russen schon besiegt glaubten und so schwächen wollten, dass „Russland ... nicht mehr in der Lage sein wird, Dinge wie diese zu tun, die es mit der Invasion der Ukraine getan hat“ (US-Verteidigungsminister Austin, Handelsblatt 25.4.22). Scholz ist also, so die Interpretation, Johnson, Blinken und Austin in Personalunion. Was hat er Selenskyj unter vier Augen gesagt? War er der Friedenskanzler Scholz des Wahlkampfes oder war er der Friedenssicherer Pistorius, der „für Deine Sicherheit (im Flecktarn) kämpfen“ will (Vorwärts, 26.11.24).

Ganz gleich, was Scholz Selenskyj versprochen oder abverlangt hat – Trump wird es nicht interessieren.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 06.12.2024 - 13:10

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Soweit mir jetzt bekannt wurde spricht sich eine Mehrheit der Ukrainer, und bestimmt auch der Innen, für einen Waffenstillstand und Friedenschluss, auch unter Territorialverzicht, aus.
Diese Menschen scheinen also mit "der Ukraine", von der Olaf Scholz spricht, nicht identisch zu sein.
Wo kann ich mich denn genauer informieren ? Was stimmt denn nun ?