Svenja Schulze: „Die Ukraine hat starke Partner und steht nicht allein da.“
Zwei Tage lang findet eine Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in Berlin statt. Im Interview sagt Entwicklungsministerin Svenja Schulze, was sie sich von dem Treffen erhofft – und warum sie im Haushaltsstreit mit Finanzminister Lindner optimistisch ist.
Dirk Bleicker | vorwärts
Entwicklungsministerin Svenja Schulze: „Die Ukraine braucht Ärztinnen und Elektrikerinnen genauso wie Panzer.“
Am Dienstag beginnt die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in Berlin. Was verspricht sich die Bundesregierung davon?
Zu dieser Konferenz haben die Bundesregierung und die ukrainische Regierung gemeinsam eingeladen. 60 Staaten, aber auch Hunderte von Wirtschaftsvertreterinnen, Bürgermeistern, Wissenschaftlerinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft kommen und zeigen: Wir stehen geschlossen hinter der Ukraine! Es geht auf der Konferenz auch um die menschliche Seite des Wiederaufbaus, etwa die Frage der Fachkräfte und der Gesundheit. Und die Wirtschaft in der Ukraine muss weiter gestärkt werden, ebenso wie die kommunale Selbstverwaltung. Für all diese Felder wollen wir jeweils Bündnisse schmieden, die der Ukraine jetzt und in der Zukunft helfen.
Ist es denn sinnvoll, den Wiederaufbau zu planen und zu beginnen, während in der Ukraine weiter der Krieg tobt?
Ja, das ist sogar sehr wichtig. In der Ukraine leben viele Millionen Menschen, die ein Dach über dem Kopf ebenso brauchen wie eine funktionierende Versorgung mit Strom und Wasser. Es müssen jetzt die Straßen, die Stromleitungen und vieles andere repariert werden. Deshalb reden wir schon jetzt während des Kriegs über den Wiederaufbau.
Welche Rolle spielt hier die Europäische Union und welche Auswirkungen wird das Wahlergebnis der Europawahl auf die Entwicklungspolitik haben?
Das lässt sich aktuell noch nicht genau abschätzen. Wichtig ist aber, dass vor dem Hintergrund der vielen Krisen die Europäische Union mehr Verantwortung statt weniger übernehmen muss. Denn die Probleme vor unserer Haustür sind so groß, dass wir gemeinsam entschlossen handeln müssen.
Mehr als 200 kommunale Partnerschaften gibt es bereits zwischen der Ukraine und Deutschland. Welche Rolle können sie beim Wiederaufbau spielen?
Die Kommunen leisten bereits Enormes. Deshalb werden sie auch bei der Wiederaufbaukonferenz eine große Rolle spielen. Wir wollen, dass noch mehr Städte und Gemeinden aus aller Welt direkte Partnerschaften mit Kommunen in der Ukraine eingehen. Die Ukraine erhält so unmittelbare Unterstützung in der Frage, was eine Kommune leisten kann. Aber auch die Partner-Kommunen profitieren vom gegenseitigen Austausch.
Zum Beispiel die Zusammenarbeit von Freiburg und Lviv: Ich war gerade vor Ort in der Ukraine bei einem Reha-Zentrum für Kriegsverletzte. Ein ganzer Flur heißt dort „Freiburg“, weil Freiburg – auch mit Spenden der Bürgerinnen und Bürger – ihn mitfinanziert hat. Es war sehr erschütternd, viele Veteranen und auch Kinder ohne Arme oder ohne Beine zu sehen, und gleichzeitig war es auch ermutigend: Denn in diesem Reha-Zentrum richten sich die Menschen wieder auf. Sie geben nicht auf.
Svenja
Schulze
Die Ukraine braucht Ärztinnen und Elektrikerinnen genauso wie Panzer.
Welches Signal soll die Wiederaufbaukonferenz an das russische Regime senden?
Schon der Titel der Konferenz „United in defense, united in recovery – stronger together“ unterstreicht, dass wir die Ukraine so lange unterstützen werden, wie es notwendig ist. Und das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für zahlreiche Staaten aus der ganzen Welt. Es werden über 2.000 Menschen zu dieser Konferenz in Berlin erwartet. Das Signal an Russland ist damit klar: Die Ukraine hat starke Partner und steht nicht allein da.
In Berlin wird nicht über den Frieden verhandelt. Das geschieht ein paar Tage später bei einer Konferenz in der Schweiz. Kann die Wiederaufbaukonferenz dennoch eine Vorarbeit leisten?
Davon bin ich überzeugt. Wir allen wollen, dass dieser Krieg besser heute als morgen endet. Dafür aber muss Russland seine Aggression beenden. Das Signal, wie viele Staaten fest an der Seite der Ukraine stehen, kann helfen, diesen Prozess zu beschleunigen.
Auch Deutschland musste nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut werden. Gibt es Erfahrungen, von denen die Ukraine profitieren kann?
Die Ukraine hat großes Interesse an unseren Erfahrungen, zum Beispiel mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die KfW wurde ja 1948 gegründet, um den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zu finanzieren. Sie hat damit für das Wirtschaftswunder der 50-er Jahre eine große Rolle gespielt. Die Ukraine würde gerne einen bereits bestehenden Fonds, den sie für den Wiederaufbau nutzt, zu einer Förderinstitution nach dem Vorbild der KfW weiterentwickeln.
Eines der Anliegen der Wiederaufbaukonferenz wird deshalb sein, dafür international Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden. Das Rückgrat der ukrainischen Wirtschaft sind kleine und mittlere Unternehmen. Und die müssen jetzt die richtigen Kredite bekommen. Ein von Deutschland unterstützter Fonds konnte übrigens bereits 40.000 kleinen und mittleren Unternehmen in der Ukraine mit vergünstigten Krediten helfen, um in Kriegszeiten zu bestehen.
Wie groß ist das Interesse deutscher Unternehmen, die Wirtschaft in der Ukraine zu unterstützen?
Schon 2.000 deutsche Unternehmen waren bereits vor Beginn des Kriegs in der Ukraine aktiv. Die meisten von ihnen können weiter produzieren und viele – deutsche, ukrainische wie auch internationale - werden auch bei der Wiederaufbaukonferenz in dieser Woche eine Rolle spielen. Im Rahmen der Konferenz soll auch ein Wirtschaftsbeirat eingerichtet werden, der Hinweise gibt, wie die Wirtschaft in der Ukraine noch besser unterstützt werden kann und welche Reformen insbesondere aus Investorensicht priorisiert werden müssen. Die Unternehmen haben daran nicht zuletzt deshalb ein großes Interesse, weil die Ukraine als EU-Beitrittskandidat ein wichtiger Partner und Markt werden kann.
In welchen Bereichen sollten aus Ihrer Sicht beim Wiederaufbau Prioritäten gesetzt werden?
Neben den genannten Punkten ist die Frage der Fachkräfte eine, die enorm drückt. Viele Männer kämpfen an der Front. Deshalb übernehmen Frauen Aufgaben in der Gesellschaft, die bisher von Männern übernommen worden sind. Sie sind dabei, die zerbombten Häuser wiederaufzubauen oder das zerstörte Energienetz wieder zum Laufen zu bringen. Die Ukraine braucht Ärztinnen und Elektrikerinnen genauso wie Panzer. Deshalb wird es bei der Wiederaufbaukonferenz auch stark um die Frage gehen, wie mehr Fachkräfte in der Ukraine ausgebildet werden können.
Die Kosten für den Wiederaufbau in der Ukraine werden derzeit auf knapp 453 Milliarden Euro geschätzt. Wie viel davon will und kann Deutschland schultern?
Die Kosten und ihre weitere Entwicklung hängen sehr stark davon ab, wie lange der Krieg in der Ukraine noch dauert. Der Wiederaufbau der Ukraine ist eine Generationenaufgabe. Um sie zu schultern, muss es internationale Bündnisse geben. Die Wiederaufbaukonferenz ist keine klassische Geberkonferenz, bei der wir Geld einsammeln, aber wir versuchen schon, möglichst viele zusammenzubringen, um sich auch finanziell am Aufbau der Ukraine zu beteiligen. Das können bei diesen großen Summen nicht nur Regierungen sein. Darum haben wir bewusst auch Unternehmen und Kommunen zur Konferenz eingeladen.
Die Haushaltslage ist hierzulande ohnehin angespannt. Finanzminister Christian Lindner hat deshalb vor wenigen Tagen öffentlich erklärt, er wolle nicht mehr jeden Radweg in Peru finanzieren. Was haben Sie ihm darauf geantwortet?
Die Radwege in Peru sind ja in den vergangenen Wochen von verschiedenster Seite herangezogen worden, um die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu kritisieren. Das ärgert mich auch deshalb, weil die Radwege eigentlich nur ein Zubringer sind für ein neues U-Bahnsystem, mit dem Lima sein Verkehrsproblem lösen will. Das ist ein 5-Milliarden-Dollar-Projekt, das Deutschland mit Krediten in niedriger dreistelliger Millionenhöhe unterstützt, die wieder zurückgezahlt werden. Das ist gut für Peru und für den Klimaschutz. Und für die deutsche Wirtschaft. Denn schon in der ersten Bauphase sind deutsche Unternehmen mit Aufträgen in dreistelliger Millionenhöhe beteiligt. Die Unterstützung für Peru ist also auch in unserem Interesse. Unser Engagement immer wieder infrage zu stellen, ist also kein Rückenwind für deutsche Unternehmen.
Was hat Deutschland davon, wenn es Dinge wie Radwege in anderen Ländern fördert?
Deutschland ist weltweit die drittgrößte Volkswirtschaft, aber nur, weil jeder zweite Euro im Export verdient wird und weil wir Partnerländer haben, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Und dazu gehört auch die Entwicklungszusammenarbeit. Hinzu kommen Aspekte der nationalen Sicherheit. Neben dem Militärischen und der Diplomatie arbeiten wir mit der Entwicklungszusammenarbeit auch präventiv, um Konflikte möglichst schon im Entstehen zu verhindern. Deshalb ist Entwicklungszusammenarbeit seit Jahrzehnten ein Herzensanliegen der SPD. Als reiches Land mit einer offenen und vernetzten Volkswirtschaft müssen wir ein Interesse daran haben, Partnerschaften in der Welt zu gründen und zu erhalten.
Der Bundesfinanzminister will Ihrem Haus nach bisheriger Planung für das kommenden Jahr 9,9 Milliarden Euro zugestehen. Sie fordern 12 Milliarden. Wie lässt sich das auflösen?
Insgesamt muss man sagen, dass der Entwicklungsetat in den vergangenen Jahren schon immer weiter gesunken ist. Wir haben also bereits erheblich zur Konsolidierung beigetragen. Wir haben auch in meinem Ministerium schon gespart - allerdings sehe ich, dass die Krisen nicht weniger, sondern eher noch mehr werden. Der Hunger in der Welt nimmt weiter zu. Wir sind schon in diesem Jahr nicht richtig in der Lage, demokratischen Staaten in schweren Hungersnöten zu helfen, etwa in Malawi. Das ist ein verheerendes Signal. Hinzu kommen natürlich der fortschreitende Krieg in der Ukraine und Herausforderungen, deren Umfang wir heute nur abschätzen können: für die Unterstützung im Nahen Osten oder auf dem afrikanischen Kontinent.
Svenja
Schulze
Es kann nicht alles bei uns eingespart werden.
Die Bedürfnisse kennt Christian Lindner auch. Wie wollen Sie mit ihm zusammenfinden?
Da gehen wir jetzt in die Verhandlungen. Der Bundeskanzler hat gesagt „Jetzt ist erstmal Schwitzen angesagt“ und das werden wir tun. Ich bin mir sicher, dass wir am Ende eine Lösung finden werden.
Wo wären Sie zu Einsparungen bereit?
Ich habe schon enorm viel eingespart. Mein Ministerium hatte mal einen Anteil von 2,8 Prozent am Gesamthaushalt der Bundesregierung. Inzwischen ist das deutlich weniger. Es kann nicht alles bei uns eingespart werden. Deshalb bin ich auch froh und dankbar, dass ich sehr viel Unterstützung aus der Zivilgesellschaft erhalte.
Sie haben gesagt, in schwierigen Zeiten wie diesen sei mehr Entwicklungspolitik nötig. Sind damit automatisch mehr Ausgaben verbunden?
Jedenfalls werden wir mit stark sinkenden Mitteln nicht sehr viel mehr machen können. Wichtig ist neben der Summe aber die Verlässlichkeit der Unterstützung. Viele in der Welt setzen da auf uns.