Meinung

Mehr Optimismus wagen: Was Olaf Scholz von Kamala Harris lernen kann

Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf wird deutlich, was in der deutschen Politik häufig fehlt: die Fähigkeit, zu begeistern und begeistert zu werden. Dabei täte etwas mehr Freude uns allen gut. Denn seien wir ehrlich: In der Zeit zurück möchte doch keine*r von uns.

von Oliver Czulo · 15. Oktober 2024
„Wir gehen nicht zurück“: Bei ihren Auftritten versprüht US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris Optimismus.

„Wir gehen nicht zurück“: Bei ihren Auftritten versprüht US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris Optimismus.

Es scheint manchmal, als gäbe es überall nur noch Schicksalswahlen, und das Gefühl entbehrt einer gewissen Grundlage nicht völlig: Auf der ganzen Welt klopft der Autoritarismus in Form von konservativ-reaktionären Parteien oder Kandidat*innen an die Türen der Macht oder hat diese schon aufgestoßen.

In dieser Zeit multipler Krisen finden alte Rezepte und ein verklärtes Bild einer Vergangenheit mit einer scheinbar einfachen Ordnung offenkundig wieder Anklang. In Deutschland ist es vor allem die AfD, die die Sehnsucht danach bedient und ganz aggressiv dafür wirbt, die Zeit zurückzudrehen und gesellschaftlichen Fortschritt rückgängig zu machen.

Harris verspricht: „Wir gehen nicht zurück“

In den USA hat die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, eine klare Antwort aus nur fünf Worten auf diese Rückschrittsagenda gefunden: We are not going back, wörtlich in etwa „Wir gehen nicht zurück“. Diese Antwort passt blendend in den US-amerikanischen Kontext: Harris’ autokratischer Gegenspieler Donald Trump war schon einmal Präsident. Er hat gezeigt, dass er sich um demokratische Spielregeln und Institutionen nicht schert, dass er Rechte von Frauen oder Trans-Menschen mit Füßen tritt und dass ihm die Zukunft unserer natürlichen Lebensgrundlage egal ist. Kamala Harris macht mit ihrer Antwort deutlich: In diese Zeit wollen wir nicht zurück!

Dass viele Menschen die in den vergangenen Jahrzehnten hart erkämpften gesellschaftlichen Errungenschaften nicht wieder verlieren möchten, ist sicher mit eine Erklärung für die teils überraschenden Wahlerfolge der politischen Linken – wie in Frankreich – oder die Abwahl von konservativ-autoritär-reaktionären Verführern – wie in Polen oder in Brasilien. Damit sind die Gefahren nicht gebannt, die PiS in Polen etwa war bei der letzten Parlamentswahl nach wie vor die stärkste Partei nach Stimmanteilen. Es tut sich aber ein Blickwinkel auf, der den zunächst schier unaufhaltsamen Vormarsch des Autoritarismus in neuem Licht erscheinen lässt.

Besser war der Autoritarismus bei Problemlösungen nicht

Der Autoritarismus hat viele einfache Lösungen angepriesen, die ihre Versprechen aber nicht halten konnten. Ein zentrales Beispiel: Die Forderung nach „Remigration“, eine drastisch verschärfte Fassung von „Ausländer raus“, wie es früher hieß, die uns angeblich von einigen (selbstverschuldeten) Problemen befreien soll. Aber zum einen ist es gar nicht so leicht, Zuwanderung zu begrenzen, zum anderen ist es nicht immer sinnvoll.

Diese Erfahrung macht gerade die „postfaschistische“ italienische Regierungschefin Giorgia Meloni, unter deren Regierung die Zahl der Zuwandernden gestiegen ist, von denen einige allerdings auch als Arbeitskräfte gebraucht werden. Für die politische Linke kann das Kopieren rechter Migrationsrezepte darin resultieren, von rechts mit immer abseitigeren Ideen bedrängt zu werden, wie es gerade die dänischen Sozialdemokrat*innen erleben.

Für eine Politik der Freude

Aus dem Versagen des Autoritarismus lässt sich aber nicht automatisch eine Stärke politischer Alternativen ableiten: In unserem eigenen Land ist das einst optimistisch stimmende Label der „Fortschrittskoalition“ schon lange passé. Dies liegt auch daran, dass die FDP sich in einer progressiven Rolle einfach nicht gefallen will: Anstatt den Übererfolg beim Ausbau Erneuerbarer Energien oder einen Durchbruch beim Selbstbestimmungsgesetz zu feiern, reitet sie alte Gäule wie die Investitionsbremse oder den Verbrennungsmotor töter als tot.

Allerdings kann man den beiden anderen Koalitionspartnern nicht gerade nachsagen, dass sie den fortschrittlichen Teil ihres eigenen Regierungshandelns allzu offensiv vor sich her tragen würden. Anders der US-Vizepräsidentschaftskandidat der Demokraten Tim Walz, der die Erfolge seiner progressiven Politik im Bundesstaat Minnesota und seine Positionen als „politics of joy“, also eine Politik der Freude, verkauft.

Kamala Harris auf Deutsch

Dieses optimistische Momentum auch hierzulande aufzugreifen, würde einen echten Kontrapunkt zur – frei nach Olaf Scholz – Politik der schlechten Laune setzen und den Grundton linker Politik hervorheben: Zum Wohle Aller, nicht Einzelner.

Wie aber ließe sich Kamala Harris’ Antwort ins Deutsche übertragen? Unser politischer Kontext unterscheidet sich von dem der USA deutlich: Wir haben keine jüngere Erfahrung mit einer rechtsautoritären Regierung, es wird in Deutschland daher schwerer fallen, aufzuzeigen, welche Fortschritte wir durch einen solchen Schwenk verlieren würden. Verweise auf 1933 und den Weg der Nazis zur Machtergreifung sind zwar prinzipiell richtig, aber allein nicht ausreichend, weil die zeitliche Distanz jene Ereignisse bereits schwerer greifbar macht und man nicht in allen Punkten Parallelen ziehen kann.

Ein mehrschichtiges Übersetzungsproblem

Sprachlich haben wir es also mit einem klassischen Übersetzungsproblem zu tun, bei dem uns eine wörtliche Übersetzung zumindest einen ersten Anhaltspunkt gibt: „Wir gehen nicht zurück“ – aber wohin nicht? Da fällt mir vieles ein: nicht zurück in eine Kanzlerschaft von Angela Merkel, die vielen erfolgreich den Sand des heimeligen Auenlands in die Augen streute und dadurch selbst vieles verschlief; nicht zurück in eine „realsozialistische“ Diktatur, die Mauern und Todesstreifen als Mittel der Überzeugung ansah; nicht zurück in eine starre Gesellschaft, als Minderheiten sich noch nicht breit gegen Diskriminierung wehrten und die Rolle der Frau mit „den drei K“ („Kinder, Küche, Kirche“) scheinbar ausreichend beschrieben war.

Das größere Übersetzungsproblem wird die Frage bleiben, welche politischen Handlungs- und Haltungslehren wir aus den Entwicklungen in den USA und anderswo für uns in Deutschland ziehen, und welche Zukunftsperspektiven linke Politik hier bieten kann. Die Debatten darum sind mit Blick auf die 2025 anstehende Bundestagswahl bereits angelaufen, und sie zu führen, ist es allemal wert. Hier in Deutschland wie anderswo will eine Mehrheit kein Zurück, sondern wir wollen ganz einfach übersetzt: vorwärts!

Ich bedanke mich bei Lisa Rüth für die Diskussion vorheriger Fassungen des Beitrags.

Autor*in
Oliver Czulo
Oliver Czulo

ist Übersetzungswissenschaftler und beschäftigt sich mit Denk- und Sprechmustern in verschiedenen Kulturen. Gelegentlich schreibt er zu gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Themen. Er trötet unter @OliverCzulo@spd.social.

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12 Kommentare

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Di., 15.10.2024 - 16:35

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"Harris’ autokratischer Gegenspieler Donald Trump war schon einmal Präsident."

Warum hat der dann damals die USA nicht in eine Autokratie verwandelt? Und welche Anhaltspunkte gibt es, das er das in seiner zweiten Amtszeit tun wird? Oder verwendet ihr das Adjektiv einfach für jeden Politiker, der euch nicht gefällt?

In seiner ersten Amtszeit hat Donald Trump massiven Widerstand von innerhalb des Regierungsapparats erfahren, was ihn daran gehindert hat, einige seiner Pläne umzusetzen. Auch die Zivilgesellschaft hatte ein sehr starkes Auge auf seinen autokratischen Anwandlungen. Das alles ist erfolgreicher gesamtgesellschaftlicher Widerstand. Für eine mögliche zweite Amtszeit hat Trump schon angekündigt, "Diktator für einen Tag" sein zu wollen; aber wer glaubt schon, dass dies nur für einen Tag anhalten würde? U. a. das "Project 2025" hat ja schon Pläne vorgelegt, wie der Staat auszuhöhlen und in eine Autokratie zu verwandeln wäre. Für dieses Mal wäre ein Präsident Trump also viel besser vorbereitet und damit viel gefährlicher.

"In seiner ersten Amtszeit hat Donald Trump massiven Widerstand von innerhalb des Regierungsapparats erfahren, was ihn daran gehindert hat, einige seiner Pläne umzusetzen."

"Widerstand von innerhalb des Regierungsapparat" - interessant. Ist das das, was manche als "deep state" bezeichnen? Wer hat den "Widerstand" eigentlich gewählt oder wie ist dieser legitimiert? Ich dachte in einer Demokratie haben gewählte Politiker die Macht.

Was du schreibst, klingt sehr nach Verschwörungstheorie und Machtergreifungslegitimation. Es gibt keinen "deep state", sondern nur demokratische Institutionen, die, wenn jemand wie Trump versucht, sie auszuhöhlen, im Sinne der wehrhaften Demokratie das Recht haben, Widerstand zu leisten. Genau das war passiert. Autokraten werden und wurden oft gewählt, das gibt ihnen aber noch lange nicht das Recht, ihre Agenda umzusetzen.

"..demokratische Institutionen, die, wenn jemand wie Trump versucht, sie auszuhöhlen, im Sinne der wehrhaften Demokratie das Recht haben, Widerstand zu leisten."

Wie genau heißen diese "demokratischen Institutionen"? Demokratisch bedeutet gewählt, oder? Wer wählt wann Mitglieder dieser Institutionen?

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Mi., 16.10.2024 - 10:50

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Von daher sollte Schoz zumindest abwarten, ob es sich um eine Siegerstraße handelt oder um eine aufgeblasene und inhaltsleere Show (was ich glaube). Falls Trump gewinnt, sollte Scholz vielleicht mal etwas genauer nachdenken, wie man Wahlen gewinnt.

Ich habe diesen Beitrag bewusst vor der US-Wahl platziert; es hinterher besser zu wissen, ist einfach. Unabhängig davon: Wer für seine eigene Position eintritt - und dazu gehört in gewisser Weise auch die Frage, mit welcher Haltung ich Herausforderungen begegne - kann nicht immer damit rechnen, Umfragesieger oder Wahlgewinner zu sein, so sehr man auch taktische Überlegungen einbeziehen mag.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mi., 16.10.2024 - 12:29

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Lieber nicht. Ich erinnere mich an Obama, den Heilsbringer, der das Geegenteil brachte, an die Bellizistin Killary Clinton, aktuell an Biden, der uns näher an den nächsten Weltkrieg führt, und jetzt soll Harris anders sein ? Der böse, böse autokratische Trump hat die Verhältnisse zwar nicht besser gemacht (innerhalb und außerhalb der USA), aber zumindest hat er keinen neuen Krieg angezettelt.
Was machen eigentlich die blinden Follower der US-"Demokraten" wen ER die Wahlen gewinnt - Wendehals wäre ne Möglichkeit oder auch Hirn einschlten und Eu- und BRD-Interessen in den Vordergrund stellen ???

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Do., 17.10.2024 - 12:08

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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"...aber zumindest hat er keinen neuen Krieg angezettelt."

Genau das macht Trump ja zum "Autokraten" und deshalb gab es auch "Widerstand innerhalb des Regierungsapparates". Der Friedensnobelpreisträger Obama, der von sich selbst sagt "Ich bin gut im Töten" war hingegen der Liebling aller "Demokraten" und Medien.

Es gab viele Präsidenten, die Kriege beendet oder begonnen haben. Als Autokraten wurden sie deshalb nicht bezeichnet. Trump ist einer, weil er alle Merkmale erfüllt, ob man sich das nun über andere, konstruierte Zusammenhänge schönreden will oder nicht.