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Gutachten in Sachsen: Wie neutral muss die Zivilgesellschaft sein?

Der sächsische Rechnungshof hatte die Förderung von Initiativen beanstandet, die sich explizit gegen die AfD wenden. Ein Gutachter sieht das aber anders.

von Christian Rath · 14. August 2024
Ein Schild gegen die AfD: Wer darf zu Anti-AfD-Protesten aufrufen?

Ein Schild gegen die AfD: Wer darf zu Anti-AfD-Protesten aufrufen?

Zivilgesellschaftliche Organisationen dürfen auch dann die AfD kritisieren, wenn sie staatlich gefördert werden. Zu diesem Schluss kommt der Mainzer Rechtsprofessor Friedhelm Hufen in einem Gutachten, das an diesem Mittwoch in Dresden vorgestellt wurde. 

Anlass von Hufens Gutachten war ein Sonderbericht des sächsischen Landesrechnungshofs aus dem März 2024. Der Rechnungshof kritisierte dabei die Förderung von Projekten für „integrative Maßnahmen" für Flüchtlinge und Migrant*innen als „in einem hohen Maße rechtswidrig". Die Auswahlkriterien seien unklar gewesen. Fachlich geeignete Projekte hätten keine Gelder bekommen, während Projekte gefördert wurden, die dem sächsischen Sozialministerium von Ministerin Petra Köpping (SPD) politisch nahe standen. 

Sozialministerium soll nicht neutral gewesen sein

Umstritten waren vor allem die Ausführungen des Rechnungshofs zur Neutralität. Danach dürfe das Ministerium seine eigene Verpflichtung zur politischen Neutralität nicht dadurch umgehen, dass es zivilgesellschaftliche Gruppen finanziert, die dann andere Parteien auf eine Art und Weise angreifen, die dem Ministerium verboten wäre. Die geförderten Vereine und Projekte bildeten außerdem, so der Rechnungshof, „nicht die Vielfalt des Meinungsspektrums" ab. Politische Bildung und Politischer Lobbyismus würden nicht sauber getrennt. 

Das sächsische Sozialministerium räumte ein, dass manche „Zuwendungsempfänger" die Projektarbeit nicht ausreichend von ihrer sonstigen Vereinstätigkeit unterschieden und „Fördermittel in unzulässiger Weise für ihre politische Arbeit verwendet haben". Das Ministerium selbst habe aber keinen Einfluss auf den Parteienwettbewerb genommen. Die geförderten Projekte hätten "ausschließlich integrationspolitische Zielsetzungen" gehabt.

Zivilgesellschaft hakt nach

Die sächsische Zivilgesellschaft war jedoch alarmiert und sah eine Gefahr für die Förderung von gesellschaftpolitischen Projekten weit über die Integration von Flüchtlingen hinaus. So entstand die Idee ein Gutachten zum Sonderbericht des Rechnungshofs in Auftrag zu geben, insbesondere zu dessen Ausführungen zum Neutralitätsgebot. Finanziert wurde es im wesentlichen von der Cellex-Stiftung des Kölner Medizintechnik-Unternehmens Cellex. Unterstützt wurde es unter anderem von der Amadeu Antonio Stiftung.

Rechtsprofessor Hufen zweifelt zunächst die Kompetenz des Rechnungshofs an, sich überhaupt zur Auslegung des Neutralitätsgebots zu äußern. Dies gehe eindeutig über seine Aufgabe hinaus, die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Freistaats Sachsen zu prüfen. Der Rechnungshof habe durch seine einseitige Stellungnahme selbst seine Pflicht zur Neutralität verletzt, so Hufen.

Aber auch inhaltlich lehnt der Rechtsprofessor die Prämissen des Rechnungshofs ab. Das Neutralitätsgebot hält er für überholt, relevant sei sei eher ein Gebot der sachlichen Auseinandersetzung. Jedenfalls seien zivilgesellschaftliche Organisationen nicht zur Neutralität verpflichtet, auch wenn sie staatliche Fördergelder erhalten.

Prinzip der wehrhaften Demokratie

Das Ministerium müsse bei der Auswahl der zu fördernden Projekte auch nicht die gesamte Vielfalt des politischen Spektrums berücksichtigen, so Hufen, sondern dürfe sich auf politisch nahestehende Initiativen konzentrieren. Organisationen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen (er nennt dabei nicht die AfD) oder sonst wichtige Verfassungswerte ablehnen, müssten ohnehin nicht finanziell gefördert werden.

Der Rechnungshof, so die Kritik von Hufen, wende das Neutralitätsgebot viel zu formal an. Zu berücksichtigen seien auch viele andere Verfassungswerte, etwa das Prinzip der wehrhaften Demokratie, das den Einsatz gegen Feinde der freiheitlich demokratischen Grundordnung verlange. Eine Trennung zwischen politischer Bildung und politischem Engagement sei künstlich.

Aus diesen eigenen Prämissen leitet Hufen Empfehlungen für das Verhalten von staatlich geförderten zivilgesellschaftlichen Initiativen ab. So könnten sie in ihrer Arbeit durchaus auch politische Parteien kritisieren. Sie müssten dabei aber sachlich bleiben; NS-Vergleiche hält Hufen für unsachlich. Bei Veranstaltungen müssten grundsätzlich alle relevanten Parteien eingeladen werden, außer dies widerspreche dem Ziel der Veranstaltung. So müssten zu einem Europafest keine Europagegner*innen eingeladen werden. Aufrufe zu Boykottmaßnahmen, ja selbst zu Gegendemonstrationen, müssten staatlich geförderte Projekte unterlassen, so Hufen.

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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2 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 15.08.2024 - 16:05

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Muss ich denn schon wieder rechtsstaatliche Prinzipien anmahnen ?