Macron-Rede sorgt für Aufsehen: Droht Europa der Untergang?
„Unser Europa ist sterblich“, warnt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in seiner Sorbonne-Rede. Hier formuliert er, welche Gefahren Europa drohen, wenn es nicht rasch handelt. Damit liefert er einen der besten Debattenbeiträge der letzten Jahre.
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Ein Weckruf an Europa: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spricht am 25. April 2024 in der Pariser Universität Sorbonne.
Lange angekündigt, mehrfach verschoben und auch deshalb mit großer Spannung erwartet war sie, diese zweite „große“ Rede des französischen Präsidenten zu Europa. Und weil sie – schon als noch kein Wort geschrieben oder gar gesprochen war – aus dem Élysée heraus immer als Sorbonne II betitelt wurde, war sie auch enorm risikobehaftet. Ganz bewusst auf die aufsehenerregende Rede des jungen Präsidenten im Jahr 2017 und zu Beginn seiner ersten Amtsperiode bezogen, musste eben auch die „Neuauflage“ dem selbstauferlegten Anspruch gerecht werden, auf- und wachzurütteln und gleichzeitig eine Vision für Europa zu entwickeln.
Kulturkritiker würden wahrscheinlich hochtrabende Begriffe bemühen und von einem dunklen, ja dystopischen Remake nach sechs Jahren sprechen. Zumindest kämen sie Macrons Hang zu großem Pathos damit nahe. Klein und bescheiden ist auch Macrons Sache nicht. Anderthalb Stunden lang skizzierte er, welche Probleme und Aufgaben seiner Meinung nach vor Europa liegen.
Es bleiben „wahrscheinlich nur fünf Jahre“
„Unser Europa ist sterblich. Es kann sterben und ob es das tun wird, hängt von unseren Entscheidungen ab. Und die müssen wir jetzt treffen.“, hob Macron an, um sogleich damit fortzufahren, die Situationsbeschreibung in dramatischem Licht zu zeichnen. „Europa ist an vielen Stellen bedroht, aber wird sind gegen die Risiken, denen wir ausgesetzt sind, nicht annähernd genügend gewappnet. Wir sind zu langsam und nicht ehrgeizig genug.“ Und sodann setzte Macron obendrauf, Europa blieben nur fünf Jahre – „vielleicht auch zehn, aber doch wahrscheinlich eher nur fünf Jahre“, um die Lage entscheidend zu verbessern.
Aus dem Szenario eines möglichen Untergangs, entwickelte der französische Präsident die zwingende Notwendigkeit eines „Paradigmenwechsels“ auf nahezu sämtlichen Politikfeldern, wohl nicht nur zufällig diesen Begriff ebenso nutzend, wie schon Olaf Scholz. Denn so wie die Rede natürlich auch den Europawahlkampf seiner Parteienfamilie unterstützen und befeuern sollte, so sehr heischt Macron auch um Unterstützung seiner Partner, allen voran Deutschlands. Dieser zweiten Sorbonne-Rede soll tunlichst nicht das Schicksal beschieden sein, wie der Vorgängerin: hoch beachtet und viel gelobt in der öffentlichen Diskussion, aber ohne ernsthaften Widerhall in der Politik der Nachbarstaaten zu bleiben.
Die größte Bedrohung für Europa ist Russland
Macron ist nicht allein in der Analyse, Europa müsse zwingend seine bisherigen Konzepte, seinen Politikstil, aber auch seine Inhalte überdenken, reformieren, ja grundlegend erneuern, um für die anstehend Entwicklungen gerüstet und gewappnet zu sein. Gerüstet und gewappnet ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen.
Die größte Bedrohung gehe von Russlands Krieg gegen die Ukraine aus und Russland dürfe seinen Angriffskrieg unter keinen Umständen gewinnen, erklärte Macron. Für die Sicherheit Europas sei das eine Bedingung „sine qua non“. Deshalb habe er mit voller Absicht für „strategische Ambiguität“ plädiert, als er die Entsendung von NATO-Bodentruppen ins Spiel gebracht habe. Die Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie sei auf allen Ebenen zwingend, ob nun konventionell, Cyber und auch nuklear. Und auch dabei müsse die Devise gelten: „Europe first“.
Europa muss Interessen viel robuster vertreten
Ein „Europa der Stärke, des Wohlstands und des Humanismus“ müsse sehr, sehr viel robuster für die eigenen Interessen eintreten, und das gleichermaßen gegenüber den USA und China. Wenngleich Macron in Sorbonne II kein optimistisches, sondern vielmehr ein düsteres Bild gemalt hat, suchte er erkennbar den Konnex zur Rede von vor sechs Jahren. Kernpunkt dieser Fortschreibung ist der Begriff der strategischen Souveränität.
Dieser Gedanke stand auch schon 2017 im Zentrum seiner Rede. Kein europäisches Land sei für sich allein in der Lage (auch Deutschland und Frankreich nicht), der internationalen Konkurrenz standhalten zu können, sagte er damals. Europa, so Macron 2024, müsse (wieder) zu einer Macht werden, die sich gegen eine bipolare amerikanisch-chinesische Dominanz der Welt behaupten wolle und könne. Im Kern ist das der gleiche Gedanke.
Besserer Schutz vor unlauterem Wettbewerb
Das gelte ebenso für die Handels- und Industriepolitik. Ein selbstbewusstes Europa müsse seine Interessen „klarer schützen“, besonders gegen vor unlauterem Wettbewerb. Da China und die USA die eigene Industrie durch gewaltige Investitionen protegierten, sei Europa naiv, wenn es glaube, anders verfahren zu können. Die Investitionsgelder der EU müssten mindestens verdoppelt werden und die „Überreglementierung in der EU“ gestoppt werden. Da die Konkurrenten – gemeint waren wiederum vor allem China und die USA – sich nicht an vereinbarte Regeln hielten, habe Europa enorme Wettbewerbsnachteile, die sich durch ein Bestehen auf die Reinheit der Lehre nicht beheben oder gar beherrschen ließen..
Zu guter Letzt müsse Europa einen bereits bestehenden Kulturkampf gegen nationalistische und populistische Vorstellungen weltweit annehmen und gewinnen. „Wir haben zu lange geglaubt, dass unser Modell unfehlbar ist. Nun erleben wir, dass unsere Demokratien kritisiert und unsere Werte in Frage gestellt werden.“ Das ist prinzipiell gemeint gewesen und war zugleich ein herber Seitenhieb gegen Victor Orban, der nahezu zeitgleich in Budapest vor ultrarechten Parteigängern forderte, die „liberale, woke und progressive Welt zu zerschlagen“ und durch eine Ära der „nationalen Souveränität zu ersetzen“.
Die Welt braucht Europas Humanismus
Die Welt brauche dringender denn je ein „Europa der Stärke, des Wohlstands und des Humanismus“, argumentierte dagegen Macron ganz in französischer Denktradition. Denn der Humanismus sei das gemeinsame Fundament des Kontinents, den es zu wahren und zu verteidigen gelte.
Man muss nicht zwingend Macrons fast schon apokalyptische Beschreibung glauben, es blieben nur noch fünf Jahre für einen grundlegenden Wandel, man muss auch nicht seine teils sehr konkreten Vorschläge – von der Schaffung einer europäischen Militärakademie bis zum Digitalverbot für Kinder unter 15 Jahren – komplett teilen, aber auseinandersetzen sollten sich die Partner mit den Inhalten von Sorbonne II schon. Und zwar deutlich intensiver und vor allem ernsthafter, als sie es 2017 getan haben.
Denn diese Rede war der bei weitem in sich logischste zusammenhängende Politikentwurf der vergangenen Jahre. Wer sich berufen fühlt, mag es gerne besser machen und einen Wettbewerb starten, der Europa dienlich wäre.
„Droht Europa der Untergang?“
KAY WALTERs Antwort: „Man muss nicht zwingend Macrons fast schon apokalyptische Beschreibung glauben“. Sie verweist das Europa-Untergangsszenario in den Bereich des Glaubens, obwohl beide „Russlands Krieg gegen die Ukraine (als) ... die größte Bedrohung“ identifiziert haben, und Macron, wie alle unsere Wortgewaltigen, „die Sicherheit Europas“ von seinem Ausgang abhängig macht. Damit meint er, „Russland dürfe seinen Angriffskrieg unter keinen Umständen gewinnen“, weil es in diesem Falle andere, diesmal Nato-Staaten, überfallen werde. Unsere Wortgewaltigen stimmen ihm darin völlig zu, denn sie wissen, dass Putin „Länder sammelt“ in seiner „imperialen Besessenheit“. Dass die Russische Föderation bisher noch kein Nato-Land angegriffen hat - kein zulässiges Argument. Dass sie verspricht, es auch nicht vorzuhaben - unglaubwürdig. Dass die Nato-Strategie, „eine starke, unabhängige Ukraine ist für die Stabilität des euro-atlantischen Raumes ... und die breitere transatlantische Gemeinschaft unerlässlich“, vielleicht einen anderen Beweggrund Russlands für seinen Krieg gegen die Ukraine nahelegt als nur „imperiale Besessenheit“ (Steinmeier) – kein zulässiges Argument, denn Geostrategie haben wir exklusiv.
In Märchen sind drei und sieben magische Zahlen. Als magische Zahl für die Realisierung der Untergangsdrohung durch die Russische Föderation hat sich fünf herausgebildet (mit Schwankungsbreite), die Pistorius mit einem über Macron hinausgehenden Tatbestand verknüpft, nämlich den der russischen Waffenproduktion, die deutlich größer sei, als zum Ersatz des kriegsbedingten Verschleißes in der Ukraine notwendig. Und was sollten die mit dem Teufelszeug anderes machen, als es gegen die Nato einzusetzen? Wenn die Nato 2022 dagegen verspricht, „wir werden unsere individuelle und kollektive Resilienz und unseren technologischen Vorsprung ausbauen“, denn „die technologische Vorherrschaft bestimmt zunehmend den Erfolg auf dem Schlachtfeld“, dann ist das etwas ganz anderes, nämlich nur die Übersetzung des Begriffs Abschreckung und gegen keinen gerichtet. So einfach kann man es sich machen.
Die Idee Macrons für ein Europa, dass „sich gegen eine bipolare amerikanisch-chinesische Dominanz der Welt behaupten wolle und könne“, muss aber auch mit Russland eine gemeinsame Sicherheitsstruktur hinbekommen. Russland in die Arme Chinas zu treiben, was die Nato derzeit macht, wäre ein geopolitisches Desaster historischer Dimension. Damit das nicht geschieht, müsste unbedingt der Krieg in der Ukraine mit einem tragfähigen Frieden beendet werden - und das sehr bald. Einen auch nur andeutungsweisen Satz darüber, wie der Krieg auf einem „Kontinent, (für den) der Humanismus das gemeinsame Fundament“ ist, friedlich beendet werden könnte, sucht man im Text allerdings vergebens.
Unsere Politiker sind uns einen baldigen Frieden und eine neue Friedensordnung in Europa schuldig, die auch die Russische Föderation einbezieht (- deren europäischer Teil immerhin so groß ist wie die Fläche aller anderen europäischen Staaten zusammen).
Sorbonne II
Herr Walter, ich hätte mir - trotz der vermutlichen Zeilenbegrenzung - ein paar mehr inhaltliche Details gewünscht statt der ständigen Wiederholungen, insb. zur Wirtschaft. Es wird auch überhaupt nicht klar, warum die Rede so groß gewesen sein soll. MfG, DF
PS: Ihre Kommasetzung ist grottig, sorry to say.