Meinung

Warum wir mehr Mut in der Verteidigungspolitik brauchen

Die Welt hat sich gewandelt, nicht erst seit Russlands Überfall der Ukraine. Feministische Sicherheits- und Verteidigungspolitik kann der notwenige Perspektivwechsel sein, den es für künftige Herausforderungen braucht.
von Elisabeth Gniosdorsch · 12. Mai 2023
Abschied vom Gardemaß: Feministische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist eine Chance, Strukturen und Haltungen neu zu denken und althergebrachte Weisheiten aufzugeben, ist Elisabeth Gniosdorsch überzeugt.
Abschied vom Gardemaß: Feministische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist eine Chance, Strukturen und Haltungen neu zu denken und althergebrachte Weisheiten aufzugeben, ist Elisabeth Gniosdorsch überzeugt.

Der Bundeskanzler ruft die Zeitenwende aus, der Verteidigungsminister wird für seinen Gestaltungswillen mit Lob und Zustimmung bedacht: Um dieses Window of Opportunity für sozialdemokratische Verteidigungspolitik verantwortungsvoll und nachhaltig zu gestalten, bedarf es mutigen Denkens und Handelns. Mutig ist, alte Weisheiten zu hinterfragen, Dogmen loszulassen und Konzepte zusammen zu denken, die bisher eher marginale Berührungspunkte hatten – zum Beispiel militärische Kaltstartfähigkeit und Feminismus.

Mehr Feminismus in der Verteidigungspolitik

Feminist Foreign Policy (Feministische Außenpolitik) ist Bestandteil des Koalitionsvertrages und wird auch im Positionspapier „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ der Kommission Internationale Politik (KIP) genannt. Während die Außen- und Entwicklungsministerinnen sich schon mit ihrer Operationalisierung befassen, wurde sie auf Policy-Ebene im Verteidigungskontext weitestgehend ausgeklammert und bisher nicht institutionalisiert.

Dabei ist das Einbeziehen von Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht nur ein wichtiger Erfolgsfaktor für Feministische Außen- und Entwicklungspolitik; ein feministischer Ansatz birgt auch großes Potential für den Sicherheits- und Verteidigungssektor. Ein vernetzter und inklusiver Ansatz – wie im Koalitionsvertrag verankert – auf Basis eines menschenzentrierten Sicherheitsverständnisses, bietet vielversprechende Lösungen für die vielschichtigen Herausforderungen unserer Zeit und kann die Verteidigungsfähigkeit gegen autoritäre Aggressoren nachhaltig sicherstellen.

Strukturen neu denken, alte Weisheiten aufgeben

Feministische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist nicht limitierend, sondern eine Chance, Strukturen und Haltungen neu zu denken und althergebrachte Weisheiten aufzugeben: darüber, wie Streitkräfte aussehen müssen (männlich, Gardemaß) um ihren Auftrag (Marschieren mit schwerem Gepäck, Bedienung schwerer Waffen) in einem abgegrenzten Konfliktszenario (klar definiertes Internationales Krisenmanagement-Mandat oder eine vorhersehbare Road-to-Conflict wie im Kalten Krieg) auszuführen. Darüber, wie das Wehrressort wahrgenommen wird (Schleudersitz mit Katastrophenpotential) und darüber, welche Haltung die Gesellschaft zur Bundeswehr hat (freundliches Desinteresse).

Die Welt hat sich gewandelt: in Zeiten hybrider und diffuser Konfliktszenarien müssen sich auch die Erwartung an die Rolle von Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Aufgabe von Streitkräften und folglich auch ihr Profil und ihre Zusammensetzung ändern. Feministische Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss nicht realitätsfern radikal de-militarisierend sein, sondern kann der notwenige Perspektivwechsel sein, den es braucht, um Innovationen und Lösungen für eine robuste, demokratische und integrative Verteidigungsfähigkeit zu finden.

Der Verteidigungssektor muss sich ändern

Konkrete Maßnahmen zur Implementierung einer feministischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik müssen auf der Policy-Ebene (etwa durch die Entwicklung einer „Strategie für eine Feministische Verteidigungspolitik“ in einem partizipativen Prozess unter Berücksichtigung der Verpflichtung im Kontext der Frauen Frieden Sicherheit Agenda der Vereinten Nationen) definiert werden. Gleichzeitig müssen die Zusammensetzung und Expertise-Verteilung der Entscheidungsebenen und in den Streitkräften hinterfragt werden – neue Zeiten fordern neu gedachte Strukturen, Repräsentanzen und Verantwortlichkeiten.

Dazu gehört, auch im Verteidigungssektor Raum für neue Ideen zu schaffen: die Auseinandersetzung mit Gender, Intersektionalität, Antirassismus und Dekolonialisierung sind kein Selbstzweck, sondern bieten auf allen Ebenen von Militär und Verwaltung Ansatzpunkte für Innovation, die dann in Strukturen und Wirkmittel übersetzt werden können. Das erfordert Mut – trauen wir uns!

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Autor*in
Elisabeth Gniosdorsch

arbeitet in einer Beratung und ist Mitglied des Netzwerks Feministische Außenpolitik. Sie hat Politikwissenschaft in Berlin und Kairo studiert und einen MSc in Conflict Studies von der London School of Economics and Political Science.

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