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Was Macron mit seiner Gaza-Hilfskonferenz bezweckt

Frankreichs Präsident Macron hat zu einer „humanitärer Konferenz“ für Gaza eingeladen. Sie soll auch „konkrete Antworten“ auf die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten liefern. Macron hat sich viel vorgenommen, aber nur begrenzten Spielraum.
von Kay Walter · 9. November 2023

„Alle haben ein Interesse daran, dass sich die humanitäre Lage in Gaza verbessert, auch Israel“, ließ der Élysée am Vorabend der von Präsident Macron einberufenen Konferenz in Paris erklären. Ziel sei daher, „eine möglichst objektive Einschätzung der Menschen vor Ort auszutauschen“, um dann im zweiten Schritt, „für die Anwendung des humanitären Rechts und den Schutz der Zivilbevölkerung zusammenzuarbeiten und den humanitären Zugang zum Gazastreifen zu stärken“.

Ein Abschlusskommuniqué war von vornherein nicht vorgesehen. Insofern war auch mit konkret greifbaren Ergebnissen, etwa der Bereitstellung der von der UN geschätzten Mindesthilfe von 1,2 Milliarden Dollar, nicht zu rechnen. Gleichwohl betont Frankreich, sich in einer „Führungsrolle“ der Nahost-Politik zu sehen. Die parallel in Tokio zum nämlichen Thema tagenden Außenminister der G7, dürfte das, gelinde gesagt, verwundern.

Einheitliche Politik gefragt

Weniger verwunderlich ist, dass bei dem extrem kurzfristig anberaumten Pariser Treffen - kaum eine Woche ist vergangen, seit Macron die Konferenz erstmals ankündigte – für eine Verbesserung der Situation im Nahen Osten wenig zu erwarten steht. Dabei wäre eine gemeinsame, koordinierte und einheitliche Politik gegenüber der terroristischen Hamas einerseits, der leidenden Zivilbevölkerung andererseits und drittens in Relation zu Israel dringend nötig. Ziel müsste humanitäre Hilfe einerseits sein und andererseits politische Initiativen, die eine weitere Ausweitung des Konflikts und damit einen Flächenbrand, der das Potential zum Weltkrieg hat, zu verhindern.

Finanzzusagen wird es sicherlich geben - wenn auch wenig verbindlich und vor allem zu gering – aber worin der politische Beitrag der Konferenz, zum Beispiel zu Vorbereitung einer zeitlich begrenzten ersten Waffenruhe liegen könnte, scheint fraglich.

Wie wenig Zeit für sinnvolle Vorbereitung blieb, zeigt schon der Blick auf die Teilnehmerliste: wichtige Entscheider verzweifelt gesucht. Hochrangig sind nur Italiens Außenminister Antonio Tajani, der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel und Ursula von der Leyen, deren Namen man auf der vorab unter Journalisten verteilten Liste noch nicht einmal richtig geschrieben hatte. Und das, obwohl die Umgebung des Präsidenten seit Wochen streut, Macron unterstütze eine weitere EU-Präsidentschaft der Deutschen. Israelische Vertreter nehmen an der Konferenz ebenso wenig teil, wie die arabischen Staaten. Die Ergebnisse können nur mager ausfallen.

Ein gut gemeinter Vorstoß, der ergebnislos verpufft, ist aber keine Hilfe. Das weiß auch der Stratege Macron. Stellt sich die Frage, warum er mit der Konferenz das Risiko eingeht, als lame-duck dazustehen.

Frankreich befrieden

Macrons Initiative richtet sich weniger nach außen, als vielmehr nach innen, an die Französinnen und Franzosen. In Frankreich lebt sowohl die größte jüdische Gemeinde Europas als auch die größte muslimische. Das ist Macrons eigentlich Sorge. Deshalb betonte er als erstes das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen den Terrorangriff der Hamas, um sodann humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen zu reklamieren. Seine Politik zielt auf die Befriedung des eigenen Landes. Und das ist bitter nötig.

Seit dem 7. Oktober sind in Frankreich mehr als 1000 antijüdische Vorfälle aktenkundig. 486 Festnahmen gab es, allein in Paris wurden 257 Fälle gemeldet. In Lyon wurde eine Frau in ihrer Wohnung niedergestochen, die Tür mit einem Hakenkreuz beschmiert.

Wenn also Macron die Konferenz heute Morgen mit dem Aufruf zur  „sofortigen humanitären Pause und zur Vorbereitung einer Waffenruhe“ begonnen hat, dann auch, um an die eigenen Landsleute zu appellieren, Frieden zu bewahren. Der französische Präsident spricht direkt Israel an, beim Vorgehen gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen "das Recht zu respektieren und die Zivilbevölkerung zu schützen", und gibt damit gleichzeitig eine Art Garantieerklärung an die eigenen Bürger ab.

Kampf gegen Terror verstärken

 "Die Falle des Terrorismus ist für uns alle dieselbe: Der Gewalt freien Lauf zu lassen, bedeutet, unsere Werte aufzugeben", erklärte Macron. "Der Kampf gegen den Terrorismus ist ohne Regeln nicht möglich", betonte er. Aber den Kampf gegen islamistischen Terror will Macron sehr wohl verstärken.

Am Sonntag wird Paris zum Schauplatz einer Großdemonstration. Forderungen sind humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza, Waffenruhe und Friedensverhandlungen mit dem Ziel einer Zweistaaten-Lösung. Aufgerufen hat ein Bündnis aus Vertretern nahezu aller Parteien. Sowohl jüdische als auch muslimische Gemeinden wollen deutlich Präsenz zeigen. Aber auch Marine Le Pen. Das ist hochumstritten, soll es ihr doch erkennbar helfen, weiter in die bürgerliche Rechte vorzudringen. Provokativ erklärte gestern der Parteivorsitzende des rechtsradikalen Rassemblement National Jordan Bardella, Jean-Marie Le Pen sei nie Antisemit gewesen, alle seine Verurteilungen dafür „ein Irrtum“.

Macron will seine Landsleute und die Welt, durchaus nicht uneigennützig, an die Grundwerte des Landes, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erinnern. Die tragischen Bilder aus Gaza sind ihm Anlass genug.

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Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist in Paris.

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