Wie die Nazis die Demokratie zerstörten – und was wir daraus lernen können
Jens Bisky, der Autor des Buches „Die Entscheidung, Deutschland 1929 bis 1934“, wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Zu Recht: Seine Beschreibung, wie die Nazis die deutsche Demokratie zerstörten, ist von brennender Aktualität.
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Erschreckende Parallelen: Wiederholt sich die Geschichte? – Protestplakat gegen die AfD auf einer Demonstration in Erfurt am 22. Februar 2025
Gerade in diesen Tagen, in denen die in Teilen rechtsextreme AfD nach der Bundestagswahl zweitstärkste Kraft im Deutschen Bundestag geworden ist, ist die Lektüre des Buches „Die Entscheidung, Deutschland 1929 bis 1934“ von Jens Bisky über das Ende der ersten deutschen Demokratie unverzichtbar. Der Autor wurde nun mit diesem Buch für der Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch nominiert.
Bisky beschreibt die letzten Jahre der Weimarer Republik und zeichnet nach, dass der Aufstieg der Nazis kein Selbstläufer war, sondern dass sich das Land in die Hitler-Diktatur hineinmanövriert hat. Durch Fehlentscheidungen der anderen Parteien, des bürgerlichen Zentrums, der Sozialdemokraten, vor allem aber der Extremen auf der rechtsnationalen Seite, die glaubten die Nazis einhegen zu können. Und natürlich auch durch die Verblendung der Kommunisten, die lieber mit dem revolutionären Feuer spielten, als sich auf eine Verteidigung der Republik – schon gar nicht mit den Sozialdemokraten - einzulassen.
Wie die Demokratie systematisch geschwächt wird
Bisky beginnt seine Analyse 1929 mit dem Tod des populären Außenministers Gustav Stresemann, dessen Ableben für alle Befürworter der Republik ein Schock war. Er zeichnet die Wegmarken nach, die die von vielen ohnehin verhasste Demokratie immer weiter schwächten. Er schildert das toxische Gemisch von zunehmender Gewalt auf den Straßen, von unbeschreiblicher Verelendung der Bevölkerung durch die Weltwirtschaftkrise, von unerbittlichen Feinden der Republik – von rechts und links.
Der erzwungene Rücktritt von SPD-Reichskanzler Hermann Müller 1930, weil ihm auch die eigene Fraktion bei der Reform der Arbeitslosenversicherung nicht folgen wollte. Die unerbittliche Sparpolitik des Zentrum-Kanzlers Heinrich Brüning. Die fatale Entscheidung von Sozialdemokraten und Zentrum, 1932 die Wiederwahl von Reichspräsident Hindenburg zu unterstützen. Die Aushöhlung des Parlamentarismus durch Notverordnungen des Präsidenten, die Zerschlagung der Rechte des vom Sozialdemokraten Otto Braun regierten Freistaates Preußen. Die fatale Überheblichkeit des Reichskanzlers Franz von Papen 1932, der glaubte, er könne Hitler mit Hilfe des Präsidenten Paul von Hindenburg domestizieren. Alles Schritte, die die Republik schwächten, den Nazis Angriffsflächen und Einflussmöglichkeiten boten und in der Herrschaft Hitlers als Reichskanzler endeten.
Die Bürgerlichen laufen zu den Nazis über
Der Journalist Jens Bisky, der heute am Hamburger Institut für Sozialforschung arbeitet, zeichnet ein Panorama, in dem er immer wieder Zeitzeugen aus Literatur, Journalismus und Politik zu Wort kommen lässt. In atemberaubender Dichte nimmt er uns mit in einen Albtraum, der den Nazis die Türen öffnet und ihnen ab 1932 eine „Massenflucht“ bürgerlicher Schichten in die NSDAP bescherte. Verächtlich werden jene, die die Machtübernahme im März 1933 nutzten, um Parteimitglied zu werden, von den Nazis der ersten Stunde als „Märzgefallene“ verhöhnt.
Biskys Studie endet nicht mit der Machtergreifung, mit der letzten freien Wahl am 5. März 1933, aus der die Nazis als stärkste Partei hervorgingen. Er zeigt, wie Hitler bis 1934 die Gleichschaltung vorantrieb, politische Gegner und parteiinterne Widersacher verhaften oder morden ließ, um die totale Diktatur unumkehrbar zu machen. Nach dem Tod Hindenburgs wurde er am 19. August 1934 durch Volkabstimmung von 38 Millionen Deutschen zum Staatsoberhaupt bestimmt. „Deutschland“, so Bisky, „hatte ein Bündnis mit Tod und Vernichtung geschlossen.“
Bisky: „Es ist leichtfertig, nicht mit dem Schlimmsten zu rechnen“
Wenn heute angesichts des Erstarkens der „Nazi-Partei“ AfD, so NRW-CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst, und anderen nationalsozialistisch orientierten Gruppierungen von „Weimarer Verhältnissen“ gesprochen wird, widerspricht Bisky. In dieser Allgemeinheit sei ein Vergleich nahezu „frivol“, eher irreführend als erhellend. Allerdings ist das für ihn kein Anlass zur Entwarnung. Biskys Buch endet mit der bitteren Erkenntnis: „Wer heute auf das Ende Weimars zurückblickt, weiß: Es ist leichtfertig, nicht mit dem Schlimmsten zu rechnen.“
Jens Bisky, Die Entscheidung, Deutschland von 1929 bis 1934. Rowohlt Berlin. 639 Seiten. 34 Euro
arbeitete in den 1980er und 1990er Jahren frei für den „Vorwärts". Danach war er Parlamentskorrespondent, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und des Verteidigungsministeriums.