Sozialdemokrat Karl Fick: Tod in den letzten Kriegstagen, wegen eines Irrtums
Der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Fick war glühender Gegner der Nazis. Dafür saß er gleich mehrfach im Konzentrationslager, zuletzt auf einem Schiff in der Lübecker Bucht. Hier starb er wenige Tage vor Kriegsende, wegen eines Irrtums alliierter Piloten.
Meyenborg, Ulrich: 125 Jahre Sozialdemokratische Partei Deutschlands Ortsverein Stockelsdorf (gemeinfrei)
Kurz vor Kriegsende im KZ gestorben: Sozialdemokrat Karl Fick
Am frühen Nachmittag des 3. Mai 1945 nehmen 200 Jagdflugzeuge der „Royal Airforce“ Kurs Richtung Norddeutschland. Ihr Auftrag: „Zerstörung der feindlichen Schiffsansammlung in der Lübecker Bucht westlich der Insel Poel und nach Norden hin zur Grenze der Sicherheitszone“. Kurz vor 15 Uhr werden das Frachtschiff „Thielbeck“ und der ehemalige Luxusdampfer „Cap Arcona“, die fahruntüchtig vor Anker liegen, voll getroffen. Die „Thielbeck“ sinkt nach wenigen Minuten, die „Cap Arcona“ legt sich auf die Seite.
Beide Schiffe sind schwimmende Konzentrationslager, aber das können die Piloten der „Royal Airforce“ nicht wissen. Sie vermuten deutsche Soldaten auf den Schiffen. Nur wenige Menschen überleben diese von den Nazis provozierte Katastrophe, darunter der Schauspieler Erwin Geschonnek. Tausende verbrennen auf den Schiffen oder sterben in den kalten Fluten. Einer von ihnen ist der Gewerkschafter und ehemalige sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Karl Fick.
In die Sozialdemokratie hineingeboren
Karl Ficks Lebenskreis wird praktisch vor seiner Haustür geschlossen. Geboren wird er am 3. Dezember 1881 in Fackenburg, einem Ortsteil der Gemeinde Stockelsdorf, vor den Toren Lübecks. Die Eltern sind klassenbewusste Landarbeiter*innen. Karl und seine vier Brüder werden quasi in die Sozialdemokratie hineingeboren. Schon als Jugendlicher betreut Karl Fick Jugendgruppen der ortsansässigen SPD und organisiert Wanderungen und Theaterspiele.
1899 tritt der gelernte Zimmermann in die Partei ein. 1909 beteiligt sich Karl Fick an der Gründung des „Landarbeiterverbandes“, der gewerkschaftlichen Organisation von Landarbeiterm und Tagelöhnern. Als Kriegsfreiwilliger nimmt Fick am Ersten Weltkrieg teil und gerät an der Westfront in den mörderischen Stellungskrieg. Weil er nach einem Knalltrauma zeitweise unter totalem Hörverlust leidet, wird er 1917 kriegsuntauglich ausgemustert. Karl Fick findet eine Anstellung als Zimmermannspolier, denn das körperlich anstrengende Handwerk kann er nicht mehr ausüben.
Im Parlament mit Bruder Heinrich
Nach der Novemberrevolution bildet sich 1918 auch in Stockelsdorf ein Arbeiter- und Soldatenrat und der Sozialdemokrat Karl Fick wird selbstverständlich Mitglied. Im Jahr darauf wird er in den Stockelsdorfer Gemeinderat und den Kreistag von Eutin gewählt. Beruflich findet er Anstellung als Kreisleiter des Landarbeiterverbandes in Lübeck und wird zuständig für 2000 Mitglieder. Am 4. Dezember 1922 rückt Karl Fick für Johannes Ketelhohn in den Oldenburger Landtag ein, denn Lübeck ist eine Exklave des ehemaligen Fürstentums Oldenburg. Ein Jahr lang ist er Mitglied im Petitionsausschuss.
Von 1923 bis 1933 sitzt Karl Fick im wichtigen Finanzausschuss, in dem er die Interessen seines Landesteils angemessen vertreten kann. Dazu gehören vor allem der Straßen- und Wegebau im Lübecker Land, der Ausbau von Gemeinschaftseinrichtungen und die Fertigstellung der Bahnlinie von Bad Schwartau nach Neustadt. Als Gewerkschafter hat er dabei besonders die Verbesserung der Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen und der Notleidenden im Auge. 1925 teilt Karl Fick die Parlamentsbank mit seinem älteren Bruder Heinrich, der — nachdem er schon von 1911 bis 1920 Landtagsabgeordneter gewesen war — noch einmal in den Oldenburger Landtag einrückt. Beide gehören in dieser Zeit dem Landesvorstand der SPD im Lübecker Landesteil an.
Vom „Intimfeind“ ins KZ geschickt
Nach der Landtagswahl vom 29. Mai 1932 stellen die Nazis die Mehrheit im Oldenburger Landtag und bestimmen somit auch die Geschicke des Lübecker Landesteils. Regierungspräsident wird der Rechtsanwalt und SA-Gruppenführer Johann Heinrich Böhmker, mit dem sich Karl Fick im Landtag erbitterte Rededuelle liefert. Mutig protestiert Fick gegen die Absetzung des Eutiner Bürgermeisters Otto Stoffregen (DNVP), der die Untersuchung eines Handgranaten-Attentats auf ein SPD-Büro durch die Polizei veranlasst hatte.
Im Protokoll des Oldenburger Landtags vom 23. Mai 1933 ist über den Abgeordneten Karl Fick vermerkt: „Ist nicht da, es liegt aber ein Schreiben vor.“ Zu diesem Zeitpunkt ist Fick jedoch schon seit über zwei Monaten im provisorischen KZ Eutin eingesperrt. Johann Heinrich Böhmker hatte seinen „Intimfeind“ am 11. März unter Berufung auf die „Reichstagsbrandverordnung“ von der Gestapo abholen lassen. Eingaben an Reichspräsident Hindenburg, Karl Fick freizulassen, sind nicht erfolgreich, da sie von Böhmker bearbeitet werden.
Als er am 29. August 1933 entlassen wird, ist Karl Fick arbeitslos, da er aus dem von ihm mit gegründeten Landarbeiterverband ausgeschlossen worden ist. Erst 1935 findet Karl Fick wieder Arbeit als Handelsvertreter für die „Walkenrieder Dampfwaschseifenfabrik Genzel“ im Harz. In Lübeck allerdings darf er nicht tätig werden, denn der rachsüchtige Johann Heinrich Böhmker versagt ihm wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ die Ausstellung eines Gewerbescheins.
Interniert auf der „Cap Arcona“
Karl Fick bleibt unter Beobachtung der Gestapo. Nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wird Karl Fick am 22. August 1944 im Rahmen der „Aktion Gewitter“ als ehemaliger sozialdemokratischer Mandatsträger verhaftet und im KZ Neuengamme interniert. Ende April 1945 lösen die Nazis das KZ Neuengamme auf, um die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. Etwa 9000 Häftlinge werden nach Lübeck in Marsch gesetzt, wo der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann Die „Thielbeck“ und die „Cap Arcona“ als Konzentrationslager hatte requirieren lassen. Waffen-SS-Einheiten hatten zuvor sämtliche Fluchtwege blockiert, die Schotten deaktiviert und Rettungsboote weitgehend unbrauchbar gemacht. Da die Schiffe nur mäßig betankt sind, spricht einiges dafür, dass die Nazis vorhatten, sie zu versenken.
Karl Fick, der noch in den letzten Tagen des KZ Neuengamme davon ausgegangen war, dass der Krieg bald vorbei sei, äußerte Mitgefangenen gegenüber seine Zuversicht, in Zukunft wieder politische tätig sein zu können. Mit dieser Gewissheit hat er wohl auch seinen letzten Gang angetreten. Seit dem 3. Mai 2019 erinnert im Foyer des Stockelsdorfer Rathauses eine Bronzetafel an den bedeutenden Sohn der Stadt, den Kämpfer Karl Fick.