Gründung der SDP am 7. Oktober 1989: „Das war im Nachhinein ziemlich naiv“
Als am 7. Oktober 1989 in Schwante die SDP gegründet wurde, kam Thomas Krüger mehrere Stunden zu spät. Er musste erst die Stasi abschütteln. Im Interview erinnert er sich an die abenteuerliche Verfolgungsjagd und sagt, warum die SPD im Osten heute einen so schweren Stand hat.
Leo Schacht | vorwärts
„Es begann ein abenteuerliches Warten.“ Thomas Krüger ist eines von 43 Gründungsmitglieder der SDP am 7. Oktober 1989.
Am 7. Oktober 1989 haben 43 Frauen und Männer in Schwante bei Berlin die Sozialdemokratische Partei in der DDR, die SDP, gegründet. Sie waren einer von Ihnen. Wie kam es, dass sie in Schwante dabei waren?
Ich war schon vor dem 7. Oktober mit verschiedenen Leuten im Gespräch, die in der Gründungsphase der SDP prägend waren. Mein Ansprechpartner war vor allem Konrad Elmer, aber natürlich kannte ich auch Steffen Reiche, Markus Meckel und Martin Gutzeit. Wir haben zusammen studiert und waren uns sehr vertraut. Deshalb wusste ich auch, dass die die Gründung einer Partei in der Planung war. Am 26. August war ja auch bereits der Gründungsaufruf veröffentlicht worden.
Wenige Tage vor dem 7. Oktober kam Konrad Elmer bei meiner damaligen Partnerin und mir vorbei und hat uns Bescheid gegeben, dass wir auf keinen Fall in den beiden Tagen vor dem 7. Oktober zu Hause übernachten sollten. Daran haben sich auch alle gehalten, außer Konrad Elmer selbst. Deshalb hatten wir am 7. Oktober eine abenteuerliche Anreise nach Schwante.
Inwiefern?
Wir sind mit dem Trabi von Konrad Elmer losgefahren. In Pankow-Heinersdorf hat er uns aufgesammelt und wir sind zu viert unterwegs gewesen mit zwei Ladas der Stasi im Schlepptau. Ich hatte dann die Idee, in Oranienburg ein Pfarrhaus zu besuchen und zu fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, die zwei Stasi-Autos abzuhängen. Der Pfarrer schlug vor, eine Fußgängerbrücke zu benutzen, über die die Ladas nicht fahren konnten, und uns dann auf der anderen Seite abholen zu lassen. Da es aber schwierig war, in so kurzer zu Zeit zu viert in einen Trabi einzusteigen, der mit drei weiteren Leuten plus Fahrer schon rappelvoll war, musste ich zurückbleiben.
Was ist dann passiert?
Es begann ein abenteuerliches Warten. Die Stasi-Leute waren wütend, haben mich aber erstmal in Ruhe gelassen. Ich bin einfach im Auto, mit dem wir gekommen waren, sitzen geblieben und erst nach zwei Stunden ausgestiegen. Es gab dann eine abenteuerliche Jagd durch Oranienburg, bei der ich mich hinter Häusern versteckt haben und in Kneipen. Ich bin durch ein Klofenster ins Freie geklettert und als ich endlich das Gefühl hatte, die Stasi abgehängt zu haben, bin ich zum Bahnhof gerannt, habe mich dort in ein Taxi gesetzt und bin bis zu einem Ort vor Schwante gefahren, weil ich nicht sicher war, ob nicht doch irgendwie eine Verfolgung stattfindet. Dann bin ich über einen Acker in Richtung Pfarrhaus Schwante gelaufen. Ich kam dann mit etwa drei Stunden Verspätung bei der Gründungsversammlung an.
17 der 43 Gründungsmitglieder der SDP kamen so aus der Theologie, auch Sie. War das Zufall?
Nein. Die Kirche war in der DDR das Dach, unter dem halbwegs plurale und offene Diskussionen stattgefunden haben. Und viele der kirchlichen Mitarbeitenden und auch die Theologinnen und Theologen hatten selbst eine gewisse Moderationserfahrung. Es gab ja mit den Synoden auch quasi kirchliche Parlamente. Dieser Kompetenzvorsprung hat sich auch in der SDP abgebildet. Auch in anderen Gruppierungen, bei „Demokratie jetzt!“ und ähnlichem, waren sehr viele kirchliche Mitarbeitende und auch Pfarrer dabei. Das war also keine Besonderheit der SDP allein.
Wieso ist eigentlich die Wahl des Gründungsorts auf das Pfarrhaus in Schwante gefallen?
Im Vorfeld des 7. Oktober wurde bewusst ein Ort gesucht, der ein bisschen ab vom Schuss war und der nicht schon über längere Zeit Beobachtungsgegenstand war. Wir haben uns eingebildet, dass wir eine Situation herstellen können, in der die Stasi möglicherweise nicht dabei ist. Das war im Nachhinein ziemlich naiv, denn wie wir alle wissen, sind natürlich Spitzel der Stasi bei der Gründung dabei gewesen.
Thomas
Krüger
Viele Fragen von Zukunftsrelevanz haben wir an diesem 7. Oktober bereits antizipiert.
Sie saßen an diesem 7. Oktober mehrere Stunden zusammen, ehe die Gründungsurkunde der SDP unterzeichnet wurde. Worüber haben Sie diskutiert?
Hauptsächlich über das Parteiprogramm. Dabei gab es auch es ein paar skurrile Szenen, denn natürlich wurde auch das Thema Frauenquote diskutiert, die ja in der SPD in der Bundesrepublik von Hans-Jochen Vogel durchgesetzt worden war. Bei uns waren es nun ausgerechnet die Frauen, die mit ihrem ostdeutschen Selbstbewusstsein gesagt haben: Nein, das brauchen wir nicht. Wir schaffen es hier schon selbst.
Abgesehen davon war die programmatische Diskussion schon sehr davon geprägt, über den Tellerrand der DDR hinaus zu blicken. Die europäische Frage spielte eine sehr große Rolle. Auch die Solidarität mit den osteuropäischen Bürgerrechts- und Freiheitsbewegungen, in deren Tradition wir uns auch gestellt sahen. Und natürlich ist auch die sozialökologische Wende ein Thema gewesen. Viele Fragen von Zukunftsrelevanz haben wir an diesem 7. Oktober bereits antizipiert. Und das in einer sehr guten, konstruktiven Atmosphäre.
Der zweite Punkt, der viel Zeit in Anspruch genommen hat, waren die Wahlen. Wir kannten uns ja nicht so gut und daran haben auch die kurzen Vorstellungen nicht sehr viel geändert. Schließich wurde Stefan Hilsberg zum ersten Sprecher gewählt und Markus Meckel und Angelika Baabe zu seinen Stellvertretern. Ibrahim Böhm wurde Geschäftsführer.
Sie selbst haben sich nicht zur Wahl gestellt?
Nein, und zwar aus gutem Grund, denn es musste jemanden geben, der sich um die emissärischen Angelegenheiten kümmert. Das heißt, dass der Brief an Willy Brandt, in dem es um das Aufnahmeersuchen in die sozialistischen Internationale ging, geschmuggelt werden musste. Das war meine Aufgabe. Ich habe mich um die offiziellen Briefe, die geschickt worden sind, gekümmert und auch die Kontakte zu den Medien habe ich hergestellt. Noch am Abend des 7. Oktober habe ich mit dem Korrespondenten der Frankfurter Rundschau in der DDR, Karl-Heinz Baum, gesprochen.
Thomas
Krüger
Die SDP war ein wichtiger Teil der DDR-Bürgerrechtsbewegung, die jenseits der „Nationalen Front“ die Friedliche Revolution maßgeblich vorangetrieben hat.
Es gab damals im Herbst 1989 einige Bürgerbewegungen wie das „Neue Forum“ oder „Demokratie jetzt!“ Warum war es Ihnen wichtig, eine Partei zu gründen?
Wir waren davon überzeugt, dass man das System der DDR am radikalsten in Frage stellt, wenn man den Anspruch der SED als Einparteienherrschaft in Frage stellt. Dieses Infragestellen war Teil des Gründungsselbstverständnisses der SDP, um unser Ziel deutlich zu machen, dass wir in freien Wahlen antreten wollen. In den Akten der Stasi über uns ist es auch genau so verzeichnet gewesen. Sie wussten also, was wir tun. Mit der Gründung einer sozialdemokratischen Partei haben wir zudem auf die Zwangsvereinigung von SPD und KDP Bezug genommen, die wir damit ein Stück weit rückgängig gemacht haben. Mit Blick auf das Logo der SED, in dem zwei Hände ineinandergreifen, war unsere Ansage deutlich: Wir ziehen unsere Hand zurück.
Auf die Euphorie der Gründung folgte am 18. März 1990 die Ernüchterung, als die – inzwischen unbenannte – SPD nur 21,9 Prozent der Stimmen holte. Wie groß war Ihre Enttäuschung?
Wir hatten uns natürlich deutlich mehr versprochen nach diesem Aufbruch. Definitiv. In den Städten hatten wir eine eine relativ starke Verankerung gespürt und eine sehr starke Offenheit gegenüber der SPD. Aber die DDR war größer als Berlin und in der DDR spielte sich genau dasselbe ab wie in der Bundesrepublik im ländlichen Raum ab. Das haben wir schlicht nicht sachgerecht eingeschätzt. Hinzu kam eine Dynamik in der Bevölkerung, dass es mit der Wiedervereinigung nun schnell gehen müsse. Und da haben viele, vor allem im Süden der DDR gesagt, das muss jetzt Helmut Kohl richten.
Heute wundern sich viele, dass die SPD in ihren Gründungsländern Sachsen und Thüringen nur wenige Mitglieder hat und bei Landtagswahlen nur einstellige Ergebnisse holt, die AfD dagegen sehr stark abschneidet. Wie erklären Sie sich das?
Ich denke, das muss man differenziert betrachten, denn in Thüringen und in Sachsen war die NSDAP ja auch relativ stark. Diese Länder sind also keineswegs ein resilientes SPD-Gebiet gewesen, sondern die Sozialdemokratie hat in ihrer Gründungszeit natürlich sehr stark mit Leipzig, mit Gotha und anderen Orten zu tun gehabt. Alles Städte übrigens, in denen die SPD bis heute relativ stark ist. Trotzdem gab und gibt es immer wieder Protagonisten, die von Anfang an versucht haben, die SPD trotz Widrigkeiten auch in diesen Ländern aufzubauen.
Die Situation bleibt aber sehr schwierig, weil die SPD in Sachsen und Thüringen nicht als Leadership-Partei wahrgenommen wird. Das genaue Gegenteil ist in Brandenburg der Fall, wo sich die SPD seit der Wiedervereinigung fest etabliert und eine Struktur aufgebaut hat. Insofern lässt sich „der Osten“ auch was die SPD angeht nicht über einen Kamm scheren. Und vielleicht gelingt es der SPD ja auch in Sachsen und Thüringen, das verschüttete Potenzial, das sie durchaus hat, wieder zu Tage zu fördern.
Rückblickend: Wie groß war der Anteil der SDP an der Friedlichen Revolution in der DDR?
Die Antwort auf die Frage, was letztendlich das DDR-Regime zu Fall gebracht hat, ist ja durchaus umstritten. Was es die Bürgerrechtsbewegung? Oder doch eher der wirtschaftliche Niedergang? Ich denke, es war eine Mischung aus mehreren Faktoren. Aus der Perspektive von ostdeutschen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hat die SDP natürlich eine Rolle gespielt – aus meiner Sicht aber nicht die Hauptrolle. Die SDP war ein wichtiger Teil der DDR-Bürgerrechtsbewegung, die jenseits der „Nationalen Front“ die Friedliche Revolution maßgeblich vorangetrieben hat. Sie war auch die einzige Partei in der späteren Regierung, die ihre Wurzeln in der Bürgerrechtsbewegung hatte. Die Transformation, die 1990 einsetzte, hat dann aber die ehemaligen Blockparteien zu bestimmenden Kräften werden lassen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
So ähnlich
Also die Flucht durchs Klofenster kommt mir bekannt vor. Schrieb nicht Helmut Flieg, alias Stefan Heym, sowas ähnliches uber seine Flucht vor den Nazis auf der Scheekoppe ?
So ist das mit Anekdoten.