Gründung der SDP in der DDR: „Ein Gefühl von Freude“
43 Männer und Frauen treffen sich in einem Pfarrhaus in einem Ort nahe Berlin. Das klingt erst mal nicht ungewöhnlich, wäre es nicht der 7. Oktober 1989 und der Ort Schwante mitten in der damaligen DDR – ein Einparteienstaat, eine Diktatur. Dass sie sich hier treffen, ist gefährlich. Am Ende des Tages könnten alle im berüchtigten Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen in Berlin sitzen – es kommt anders.
Endlich konnte man im Osten etwas bewegen
Die Anwesenden gründen die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP). Dadurch entsteht nach 1946 erstmals wieder eine eigenständige sozialdemokratische Partei auf dem Boden der DDR. Das „war ein ganz großes Glück und dieses Gefühl habe ich heute auch noch“, sagt Christine Bergmann 2019 in einem Video des Berliner SPD-Landesverbandes anlässlich der Gründung der SDP vor 30 Jahren.
„Wir waren die 40 Jahre in der DDR so leid, wo man in der Ecke saß und meckerte, jedoch keine Möglichkeit hatte Politik mitzugestalten.“ Christine Bergmann tritt unmittelbar nach der Wende in die SDP ein, viel später wird sie Bundesfamilienministerin im Kabinett Schröder. Endlich, sagt sie weiter, konnte man im Osten etwas bewegen.
Der Historiker Christoph Kleßmann schreibt in dem Buch „Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung“ über die Gründung der SDP, dass die Partei ein Pfarrerskind sei, da die zwei DDR-Pfarrer Martin Gutzeit und Markus Meckel bereits lange vor der Gründung in Schwante „die Schaffung einer sozialdemokratischen Partei in der maroden DDR“ vorantrieben.
Das Machtmonopol der SED brechen
Für beide ist von Anfang an klar: „Als wir die Idee hatten, ging es zuallererst darum, dass Wahrheits- und Machtmonopol der SED zu brechen“, erklärt Markus Meckel im anfangs erwähnten Video der SPD Berlin. Natürlich ist auch der Begriff „Sozialdemokratie“ eine Provokation gegenüber der SED. Selbige Partei beansprucht das sozialdemokratische Erbe stets für sich.
Der 7. Oktober 1989 ist demnach in vielerlei Hinsicht denkwürdig – doch nicht nur in Schwante: In Ost-Berlin feiert man zeitgleich den 40. Gründungstag der DDR. Doch in vielen Städten finden bereits große Protestdemonstrationen statt – sie werden gewaltsam aufgelöst. Die Angst vor Verhaftung schwingt auch bei der Gründung in Schwante mit: „Alles Risiko von damals verflüchtigt sich heute zu einer aufregenden Geschichte“, erklärt Thomas Krüger, wie Markus Meckel SDP-Begründer und heutiger Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.
Doch: „Wir hätten alle im Knast landen können.“ Doch nichts dergleichen geschieht – im Gegenteil: Nach der erfolgreichen Gründung fängt die Arbeit für die junge Partei erst so richtig an. Nun ist ein Programmentwurf an der Reihe, der Aufbau einer kompletten Organisation und schlussendlich muss Wahlkampf geführt werden. Genoss*innen aus Westdeutschland sind in dieser Zeit hilfreiche Partner*innen.
Vereinigung von Ost- und West-SPD auf Augenhöhe
Schließlich benennt sich die Partei im Januar 1990 in SPD um. Noch im selben Jahr vereinigen sich beide, Ost- und West-SPD, zu einer gesamtdeutschen Partei. „Wir sind auf Augenhöhe zusammengekommen“, resümiert Christine Bergmann. Beide Parteien hätten schon vorher im engen Kontakt gestanden. „Es war ein Gefühl von Freude.“ Zu dieser Zeit grenzt sich die SDP auch von CDU und FDP ab: Die noch junge Partei nimmt keine ehemaligen SED-Mitglieder in die eigenen Reihen mit auf.
Westdeutsche Christdemokrat*innen und Liberale ist dies hingegen nicht so wichtig: Sie gehen schnell mit ihren jeweiligen DDR-Blockparteien zusammen. Angesprochen auf diesen Verzicht, sagt Christine Bergmann: Am Anfang seien schon ehemalige SED-Mitglieder gekommen. Sie wollten in der Partei mitmachen. Doch „wir sind schnell in die Phase gekommen, in der wir uns gefragt haben, wer kommt denn da, wie viele sind das und wer gibt am Ende in der Partei die Linie vor“, erklärt sie.
Schließlich habe man sich gegen die Aufnahme entschieden. Unter der führenden Rolle der SED habe man sehr gelitten, rein emotional sei es schon für viele nicht machbar gewesen. Und auch eine andere Sache spielt eine wichtige Rolle: die Glaubwürdigkeit der Partei und ihrer Gründungsidee, die SED herauszufordern. Zum Ende stellt sich die Frage: Was bleibt? „Es haben sich einige Ziele aus unserer Gründungsphase erfüllt“, antwortet Thomas Krüger.
Menschen, die Mut haben und Risiko eingehen
Man habe damals auf Grundrechte gepocht „und das hat sich erfüllt“. Der entscheidende Punkt sei gewesen, dass man den Weg zum Rechtsstaat einschlug, ein „Unfreiheitssystem ablöst hin zu einer freiheitlichen Demokratie“. Wer über Geschichte rede, spreche auch immer über Gegenwart und daher könne er nur sagen: „Ich bereue nichts. Ich hätte alles exakt wieder so getan und wahrscheinlich hätte ich es mit doppelter Energie wieder getan“, sagt Thomas Krüger stolz. Gerade heute müsse man lautstark für die Werte der Sozialdemokratie einstehen „und dafür braucht es Leute, die Mut haben und Risiko eingehen“ – wie damals am 7. Oktober 1989 in Schwante.
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