Geschichte

Emil Groß: Pressepolitik war für ihn Parteipolitik

Nach dem Zweiten Weltkrieg trug er dazu bei, die Presselandschaft in der Bundesrepublik mit aufzubauen, unter anderem als Mitbegründer der Deutschen Presseagentur. Doch auch in der SPD und im nordrhein-westfälischen Landtag spielte Emil Groß eine wichtige Rolle.

von Lothar Pollähne · 6. August 2024
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Die DPA beginnt am 1. November 1947 im Düsseldorfer Opernhaus. Das noch junge Land Nordrhein-Westfalen hat mit bescheidenen Mitteln für den würdigen Rahmen gesorgt, für den Fahnenschmuck sorgt die örtliche Feuerwehr, ein Orchester spielt und ein britischer General hält die Festrede. Auch wenn diese DPA keine Presseagentur ist, hat sie dennoch das Pressewesen zum Thema. Aus allen vier Besatzungszonen sind Verlage und Redaktionen angereist, um sich und ihre Arbeit auf der „Deutschen Presse Ausstellung“ zu präsentieren.

Organisiert hat diese einmalige Veranstaltung vor allem der Bielefelder Verleger Emil Groß, der 1949 mit Fritz Sänger zu den Gründern der bekannteren dpa, der Deutschen Presse Agentur, gehört. Der Sozialdemokrat ist besonders stolz darauf, dass diese Ausstellung „deutscher Initiative“ entsprungen ist, wie er in seiner Eröffnungsrede hervorhebt. 

Pressepolitik als „Parteipolitik“

Mit seinen 43 Jahren ist Emil Groß bereits einer der Granden in der neuen, demokratischen deutschen Presselandschaft. Seit dem 2. April 1946 hat er mit der britischen Lizenz Nr. 36 die Berechtigung erhalten, in Bielefeld eine Tageszeitung zu gründen: die „Freie Presse“. Bereits am folgenden Tag erscheint die erste Ausgabe. Erster Schriftleiter ist der ehemalige Reichsinnenminister Carl Severing, die graue Eminenz der Bielefelder SPD. Der eigentliche Chef allerdings heißt Emil Groß, denn er bestimmt die Leitlinien des neuen Blattes. Für ihn ist Pressepolitik „im wahrsten Sinne des Wortes Parteipolitik“, denn wer die „Freie Presse“ liest, wählt alsbald die SPD und wird irgendwann auch Mitglied.

Das Konzept geht zunächst auf. In nur zwei Jahren entwickelt sich die „Freie Presse“ zur größten von sechs Tageszeitungen in Bielefeld und zählt 156.000 Abonnent*innen. Hergestellt wird die Zeitung im der Druckerei der von den Nazis verbotenen „Volkswacht“, die Emil Groß noch treuhänderisch betreiben muss. Erst 1950 erhält die Bielefelder SPD ihr Traditionsgebäude rückübereignet.

Erste Schritte in der Sozialistischen Arbeiterjugend

Geboren wird Emil Groß am 6. August 1904 als erstes Kind einer Arbeiterfamilie. Sein Vater Adolf ist Dreher und seit 1903 Mitglied der SPD. Acht Jahre lang besucht Emil die 10. Bürgerschule in Bielefeld, die den vielleicht wegweisenden Namen „Gutenbergschule“ trägt. Da eine weiterführende Schule für die Eltern unerschwinglich ist, macht Emil Groß eine kaufmännische Lehre und wird politisch aktiv. 1922 tritt er der USPD-nahen „Sozialistischen Proletarierjugend“ bei, die im Jahr darauf in der „Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) aufgeht.

Mit der Wahl zum Bezirksjugendleiter der SAJ beginnt 1926 die politische Laufbahn des Emil Groß. In der „Volkswacht“ umreißt er die Ziele für eine politisch aktive Parteijugend: Im „werdenden demokratischen Zeitalter“ haben wir zu erkennen, „dass nicht nur eine gewaltige zahlenmäßige Entwicklung der Arbeiterorganisationen notwendig ist, sondern mit dieser Schritt halten muss eine politische Erziehungsarbeit. Es genügen nicht mehr schlagwortartige Hinweise auf Kapital und Arbeit. Es ist notwendig geworden, wirtschaftliche und politische Begriffe zu klären. Wer wäre stärker berufen, diese Erziehungsarbeit zu leisten, als die Jugend.“

Nach der Machtübertragung flieht er nach Amsterdam

1928 wird der rhetorisch begabte Emil Groß an die sozialistische Heimvolkshochschule im thüringischen Schloss Tinz delegiert, um sich auf die „Hochbegabtenprüfung“ vorzubereiten, die er im November 1929 besteht. Daraufhin kann er 1930 an der Humboldt-Universität in Berlin das Studium der Staatswissenschaften aufnehmen. Seine Wissbegierigkeit zahlt sich aus: 1931 erhält Groß ein Stipendium der „Studienstiftung des Deutschen Volkes“. Auch während des Studiums bleibt er politisch aktiv.

Ebenfalls 1931 wird Emil Groß zum Vorsitzenden der „Sozialistischen Studentenschaft der Berliner Hochschulen“ gewählt und nimmt eine herausragende Position in der Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Studenten ein. Dass er sich damit in Gefahr begibt, ist ihm bewusst. Nach der Machtübertragung an die Nazis wird er im April 1933 für ein paar Tage inhaftiert, dann kann er mit Hilfe seiner Freundin und späteren Ehefrau Maria Schmidt, die in einer SAJ-Widerstandsgruppe tätig ist, nach Amsterdam fliehen. 

Zwei Jahre Haft in Nazi-Deutschland

In der niederländischen Flüchtlingsmetropole gründet Emil Groß die „Freie Presse“, eine wöchentlich erscheinende Exilzeitung für deutsche Sozialdemokrat*innen, die nicht nur in Amsterdam gelesen wird, sondern auf konspirativen Wegen auch nach Deutschland gelangt. Die Zeitung muss jedoch im Jahr darauf nicht nur aus Geldmangel eingestellt werden, sondern vor allem, weil sich die niederländische Regierung Nazi-Deutschland gegenüber „neutral“ verhalten will. 

1937 wird Emil Groß ausgebürgert. Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Niederlande im Mai 1940 beginnt alsbald die Verfolgung von Juden und Jüdinnen sowie politischer Emigrant*innen. Emil Groß wird am 2. April 1941 verhaftet, nach Deutschland überführt und zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Nach seiner Haftentlassung arbeitet Emil Groß bis zum Kriegsende als Betriebsassistent in einer Eisengießerei. Seine Freundin Maria erlebt die Befreiung Ende April 1945 nach jahrelanger Haft im Konzentrationslager Ravensbrück.

Der „Polterer“ verliert an Einfluss

Emil Groß wird nach der Wiedergründung der SPD im Oktober 1945 zur Führungsfigur der ostwestfälischen Sozialdemokratie. Zunächst ist er Unterbezirksvorsitzender der SPD in Bielefeld, dann — nach dem Tod von Carl Severing — Bezirksvorsitzender und Mitglied des SPD-Landesvorstands. 1947 wird der „politische Verleger“ Emil Groß in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt, dem er bis zu seinem Tod  am 16. Februar 1967 angehört. Als stellvertretender Fraktionsvorsitzender ist er 1956 einer der „Strippenzieher“, die die erste sozialdemokratisch geführte Landesregierung unter Fritz Steinhoff anbahnen.

Danach wird er sogar zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Spätestens nach der Wahl Willy Brandts zum Parteivorsitzenden verliert der „Polterer“ Emil Groß, so sein parteiinterner Spitzname, an Einfluss. Den Niedergang der von ihm gegründeten „Freien Presse“ und den Zusammenschluss des Blattes mit der „Westfälischen Zeitung“ zur „Neuen Westfälischen“ erlebt er nicht mehr. Der Emil-Groß-Platz ist heute einer der beliebtesten Treff- und Ausgeh-Punkte in der Bielefelder Innenstadt.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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