Geschichte

Hitler an der Macht: Kann sich die „Machtergreifung“ wiederholen?

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wurde am 30. Januar 1933 das Ende der ersten deutschen Demokratie besiegelt. Es war keine „Machtergreifung“, sondern eine „Machtübertragung“. Könnte sich ähnliches heute wiederholen?

von Walter Mühlhausen · 30. Januar 2024
Postkarte der Nationalsozialisten in Erinnerung an die „Machtergreifung“: Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode.
Postkarte der Nationalsozialisten in Erinnerung an die „Machtergreifung“: Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode.

Am 30. Januar 1933 laufen in den Mainzer Kinos u. a. die Filme „Der große Bluff“ und „Das Glück kommt nur einmal“. Beide Titel mögen von vielen mit dem in Verbindung gebracht werden, was sich gleichzeitig in Berlin abspielte: die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Für viele war es ein Bluff, anderen erschien es als einmaliges Glück. Beides kommt aber nicht im Entferntesten der späteren Realität nahe.

Endkampf um die Weimarer Republik

1930 begann der Endkampf um die Republik mit den Präsidialkabinetten, als Regierungen sich nicht auf das Parlament, sondern auf den machtvollen Reichspräsidenten stützten. Dieses Amt bekleidete der 1925 vom Volk gewählte Paul von Hindenburg, dem die Republik wahrlich keine Herzenssache war.

Unter ihm vollzog sich die Entdemokratisierung. Er ermächtigte Reichskanzler Franz von Papen, die demokratische Bastion Preußen zu schleifen: Die Regierung des Sozialdemokraten Otto Braun wurde am 20. Juli 1932 widerrechtlich abgesetzt – ohne Gegenwehr der zu diesem Zeitpunkt schon geschwächten republikanischen Kräfte. Die antidemokratische Rechte nutzte den Staatsstreich, um die Ämter von missliebigen (Sozial-)Demokraten zu „säubern“.

Als Papen mit dem Versuch scheiterte, die NSDAP über eine Einbindung in die Regierung zu „zähmen“, und auch sein Nachfolger Kurt von Schleicher nach einem achtwöchigen Intermezzo ebenfalls die Segel streichen musste, setzte die Kamarilla um Hindenburg voll auf Hitler. Auch führende Industrielle forderten den altersschwachen Reichspräsidenten auf, nun endlich den Mann aus Braunau zu berufen. So geschah es.

Auf den Schultern der Demokratiegegner

Am 30. Januar 1933 bekam Adolf Hitler die Reichskanzlerschaft in den Schoß gelegt. Die Londoner Satirezeitschrift „Punch“, die den Abgang des Eisernen Kanzlers Bismarck 1890 mit der berühmten Zeichnung des vom Bord gehenden Lotsen karikiert hatte, brachte ein Bild vom neuen Kanzler auf den Schultern von Hindenburg und Papen. In der Tat war es keine „Machtergreifung“, kein, wie es das Wort suggeriert, aktiver Staatsstreich der Nationalsozialisten, womit all die, die ihre Finger im Spiel hatten, leicht weißgewaschen werden konnten.

Im Gegenteil: die Ereignisse bewegten sich im Rahmen der vorherigen Regierungsbildungen; es gab die Verteiler der Herrschaft und einen Empfänger. Schuldig waren die, die an den Schalthebeln der Macht ihr antidemokratisches Süppchen kochten. Es war die bereitwillige Auslieferung der Macht an einen, der dieses verhasste System der „Novemberbrecher“ beseitigen wollte und auf eine Diktatur zusteuerte. Diese sollte er in unvorstellbarer Skrupellosigkeit und Brutalität bald errichten.

Für viele Nationalsozialisten wie dem späteren Volksgerichtshofpräsidenten Roland Freisler, dem obersten Henker der Diktatur, ging die „tausendjährige Sehnsucht der deutschen Jugend“ in Erfüllung. Die Machtübernahme wurde von den neuen Machthabern mit Fackelzügen gefeiert, von der Arbeiterbewegung mit Protestversammlungen unter der Parole „Nieder mit Hitler“ quittiert, wo die meisten Redner mahnten, sich nicht provozieren zu lassen und Disziplin zu üben. Dabei mochte der ein oder andere auch kampfbereit sein, um den Angriff auf die Republik abzuwehren. Doch die organisierte Arbeiterbewegung konnte den Zug der NSDAP zur totalen Macht nicht mehr aufhalten. In Etappen wurde das Reich im Sinne der neuen Herren „gleichgeschaltet“, erfolgte die sukzessive Demontage der Demokratie. Woran lag es? Damit einher geht die Frage: Kann sich so etwas aktuell wiederholen?

Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode

Weimar wurde Opfer einer zu allem entschlossenen antirepublikanischen Kampfbewegung, denen jene die Verfassung missbrauchende antidemokratischen Kräfte in die Hände spielten. Das von den Nationalsozialisten im populistischen Crescendo geforderte Todesurteil fällte eine allzu bereitwillige antidemokratische Machtelite. Die Exekution fand in Anwesenheit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Schaulustigen statt: Unwissende Claqueure standen neben anfeuernden Antirepublikanern. Es gab auch die, die von Abscheu beseelt waren, die aber den Überlebenskampf der Republik mit Untätigkeit bis hin zum völligen Gesichtsverlust beiwohnten. Sie versagten – aus Lethargie, Furcht oder Anpassungsdruck.

Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode. Zuvor war der auf dem Krankenbett liegenden Republik keine bzw. – bewusst oder unbewusst – die falsche Hilfe zu Teil geworden. Demokratische Mittel wurden ihr nicht verabreicht. Viele machten sich der unterlassenen Hilfeleistung, andere der fahrlässigen Tötung schuldig.

Es stellte sich als Verhängnis heraus, dass in dem Moment, als die Demokratie unter wirtschaftlichen Druck geriet, der die Desintegration förderte, und die inneren Feinde mit populistischem Halali zum Angriff bliesen, die Republikaner bereits aus den Schaltzentralen der Macht verbannt und ihre Kräfte im permanenten Abwehrkampf erlahmt waren.

Geschichte wiederholt sich nicht. Oder doch?

Und heute? Die Demokratie befindet sich immer mehr in einer Verteidigungsposition. Populistische Querdenker, Krakeeler, die die Demokraten niederzubrüllen versuchen, und das Häuflein von Militanten, die waffengespickt Machtergreifungsszenarien durchspielen, mag mancher noch als kaum ernstes Gefahrenpotential abtun, doch hat sich auf dem rechten Rand eine starke, bis weit in die Gesellschaft strahlende Bewegung formiert, die die freiheitlich-demokratische Ordnung in der Substanz gefährdet  Die Zivilgesellschaft hat durch den jüngsten Protest der Millionen bewiesen, dass sie sich jenen entgegenstellt, die in Hinterzimmern Remigrationsszenarien entwerfen und so an den Grundfesten der Demokratie rütteln. Nun ist es an der Politik, getragen von diesem breiten demokratischen Konsens über Parteien und Milieus hinweg, den Gegnern mit allen Mitteln des Rechtsstaates konsequent zu begegnen. Sonst verpufft der öffentliche Protest.

Eben weil eine kampfesbereite demokratisch-freiheitliche Bewegung und eine zur Verteidigung der Demokratie handlungsbereite Regierung am Ende der Republik von Weimar fehlten, hatten die Antirepublikaner ein leichtes Spiel, die Demokratie aus den Angeln zu heben und Hitler in das Amt zu hieven. Auch wenn sich direkte Vergleiche mit heute verbieten, so hilft der Blick zurück doch, die Sinne für die Gefahren unserer Demokratie zu stärken und die Bereitschaft zum entschlossenen Handeln zu fördern. Wehrhafte Demokratie ist das Stichwort.

In seiner Kolumne Im Rückspiegel beleuchtet das Geschichtsforum der SPD historische Ereignisse und zieht Parallelen zur heutigen Zeit.

Autor*in
Walter Mühlhausen

war Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg. Er lehrt als apl. Professor an der Technischen Universität Darmstadt.

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7 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Di., 30.01.2024 - 11:30

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ein Disclaimer her, da ist das Hakenkreuz (in den Ecken) abgebildet, bringt mal sicherheitshalber einen Hinweis, dass dies zu ....Zwecken erfolgt...Sonst fährt noch jemand an den Karren, wer will das schon

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 30.01.2024 - 11:31

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Das kann ausgeschlossen werden, weil Faschismus sich heutzutage als Form der Herrschaft der Bourgeoisie nicht mehr eignet. Klar gibt es höchst bedenkliche Äußerungen bezuglich etnischer oder religiöser Minderheiten in diesem Land, aber vergessen wir nicht die "Wokeness" samt Cancel UNcultur. Dem Faschismus ging es daum die demokratischen Errungenschaft der Arbeiterbewegung zu beseitigen; heute wird der Sozialstaat (schon seit mehr als 20 Jahren) von ganz anderen geschleift, da braucht es keine Faschisten mehr zu. Auch der Militarismus (ein Bruder des Faschismus) ist wieder im Kommen unter ganz anderer Führung und Begründung.: Responsibility to protect etc.
Und zur Geschichte: Vergessen wir nicht, daß die SPD zur Wahl von Hindenburg mobilisierte.

Gespeichert von Konrad Donner (nicht überprüft) am Di., 30.01.2024 - 13:34

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Puh, da bin ich wirklich beruhigt! Dann geht von der AfD also wirklich keine Gefahr aus. Die Millionen Menschen, die gerade auf die Straße gehen, können endlich wieder im Warmen bleiben.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mi., 31.01.2024 - 09:27

Antwort auf von Konrad Donner (nicht überprüft)

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Ruhe und Zuversicht auf das schauen, was vor uns liegt. Ich habe es immer gewusst- er ist der Mann der Stunde, des Tags, des Jahres, des Jahrzehnts usw. Die ständigen Katastrophenmeldungen resultieren aus der Sucht nach "Klicks, Likes usw"- wer sich Gehör verschaffen will, oder wer thematisch ablenken will, der schürt die Katastrophenmeldungen. Dabei ist alles im Griff, nichts läuft aus dem Ruder- wir haben richtig, wir haben gut gewählt

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 01.02.2024 - 11:34

Antwort auf von Konrad Donner (nicht überprüft)

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Die afd ist nicht ungefährlich ! Der Vergleich zum Faschismus der 1920/30er Jahre hinkt aber, da die soziokulturellen Voraussetzungen anders sind (Versailles, die Kohle/Erz-Zusammenarbeit im lothringisch-saarländischen-luxemburgisch-belgischen Raum funktioniert seit der Montanunion, Monarchismus ...., Polen, und die bolschewistische Bedrohung ist auch weg).
Allerdings erinnern mich solche proRegierungsdemos etwas an "Honecker".

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mi., 31.01.2024 - 15:20

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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Leider tun sich derzeit viele Parallelen zur Weimarer Republik auf. Dabei habe ich bestimmte Sorgen, dass, wenn es darauf ankommen sollte, die Unionsparteien und die FDP mit der AfD koalieren würden. Die "Brandmauer" von Merz ist gerade eine Schuhsohle hoch und wurde z.B. in Thüringen mehrmals durchbrochen. In anderen Fällen hat es gleichfalls immer wieder Zusammenarbeit zwischen dem "bürgerlichen Block" und der AfD gegeben.
Bei einer Anti-Rechts-Kundgebung am 27.01.2024 in Göppingen haben sich zahlreiche Organisationen, nicht aber die CDU (!), beteiligt!

Zur Wahl Hindenburgs im Jahre 1932 muss leider angemerkt werden, dass SPD und Zentrum Hindenburg nur deshalb unterstützt haben, um eine Wahl Hitlers zu verhindern. Dies hat Hindenburg später laut kritisiert, dass er seine Wiederwahl nicht seinen monarchistischen Anhängern zu verdanken hatte, sondern es schmerzte ihn, ausgerechnet von den Sozialdemokraten und "Katholen" gewählt worden zu sein.

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Di., 30.01.2024 - 15:27

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ist ein ziemlich epochales Eigentor. Wir tun uns damit keinen Gefallen. Die AfD ist weit davon entfernt, was sie nicht harmloser macht, sich aber eben für derart plumpe Parallelen nicht eignet. Wir bagatellisieren die Verbrechen der NS-Zeit und spielen damit den echten Faschisten in die Hände.

Im Übrigen hat Armin Christ vollkommen recht: Autoritäre und gegen den Sozialstaat gerichtete Politik ist heute keine exklusive Eigenschaft der Rechtsextremen mehr. Aus der Mitte der Gesellschaft werden Forderungen "geadelt", die früher undenkbar waren.