150 Jahre Gothaer Programm: Was das Jubiläum für die SPD heute bedeutet
Bereits vor 150 Jahren kämpfte die SPD auf ihrem Parteitag in Gotha für die Demokratie und gegen die Antidemokraten, für gute Arbeit und gegen Ausbeutung. Dieser Kampf hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren – im Gegenteil.
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Stolz und traditionsbewusst: Die SPD feiert das 150. Jubiläum ihres Parteitages in Gotha im Jahr 1875.
Die Geschichte unserer Demokratie ist auch die Geschichte ihrer ältesten demokratischen Partei: der SPD. Deshalb sind die Jubiläen der SPD auch von Interesse weit über die Partei hinaus. Denn keine politische Kraft in Deutschland hat so viel Erfahrung im Kampf für die Demokratie und im Kampf gegen Antidemokrat*innen wie die SPD.
Diese Erfahrung gewinnt an Bedeutung in einer Zeit, in der die Demokratie von rechts zunehmend unter Druck steht. Und in der sich manche fragen, ob unsere demokratische Ordnung mit den Herausforderungen der Gegenwart fertig wird. Da ist es gut, sich zu vergewissern, wie es früheren Generationen gelungen ist, aus schwierigen Situationen das Beste zu machen und eine gute Zukunft zu erstreiten.
150 Jahre Gothaer Programm: Die SPD blickt zurück
Auch deshalb schaut die SPD in diesen Tagen zurück auf das 150. Jubiläum ihres Gothaer Vereinigungsparteitags. Dazu kommen am 23. Mai die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie Schatzmeister Dietmar Nietan ins thüringische Gotha. Sie wollen an diesen „Schlüsselmoment der deutschen Sozialdemokratie“ vor 150 Jahren erinnern und „die Bedeutung dieses Gründungsakts für die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie in Deutschland" würdigen.
Was genau ist damals geschehen? Vom 23. bis 27. Mai 1875 trafen sich die 74 Delegierten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) und die 56 Delegierten der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) in der Gothaer Gaststätte Tivoli. Hier gründeten sie die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), die Vorläuferpartei der heutigen SPD. 1875 hatte sie knapp 25.000 Mitglieder.
1875: Der SPD wehte der Wind kräftig in’s Gesicht
„Die bloße Kunde von der Aufnahme von Vereinigungsverhandlungen hatte das sozialistische Berlin elektrisiert“, berichtete der große Sozialdemokrat Eduard Bernstein über die Stimmung von damals. „Es herrschte in der Versammlung ein Enthusiasmus, der alles fortriss.“ Das war genau das, was die Sozialdemokratie in dieser Zeit brauchte.
Denn der Wind wehte ihr kräftig in‘s Gesicht. Nach der Reichseinigung 1871 hatte Reichskanzler Otto von Bismarck sie zu „Reichsfeinden“ erklärte und wollte sie ausschalten. Davon versprach er sich einen entscheidenden Schlag gegen die junge Demokratiebewegung Deutschlands, in der er eine Bedrohung der monarchischen Herrschaft sah.
In Gotha wurden die Kräfte gebündelt
Als Reaktion auf die Unterdrückung Bismarcks wollten ADAV und SDAP die damalige Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung überwinden und ihre Kräfte bündeln in einer gemeinsamen Partei. Wie richtig das war, sollte sich nur drei Jahre später zeigen, als Bismarck das so genannte Sozialistengesetz im Reichstag durchsetzte. Das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ galt von 1878 bis 1890 und sollte die Partei endgültig ausschalten. Das gelang aber nicht – im Gegenteil: von Jahr zur Jahr, von Wahl zu Wahl, wurden die Sozialdemokrat*innen stärker, trotz aller Repression.
Das gelang auch deshalb, weil die Delegierten ein klar formuliertes Programm beschlossen, das immer mehr Unterstützung erhielt. So forderte die Partei als Grundlagen des Staates: Das allgemeine, gleiche, direkte Wahl- und Stimmrecht mit geheimer und obligatorischer Stimmabgabe aller Staatsangehörigen. Damit auch die Arbeiter teilnehmen konnten, sollte der Wahl- oder Abstimmungstag ein Sonn- oder Feiertag sein.
Gothaer Programm forderte Demokratie
Das Programm forderte die „Abschaffung aller Ausnahmegesetze, namentlich der Preß-, Vereins- und Versammlungsgesetze; überhaupt aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung, das freie Forschen und Denken beschränken“. Die Rechtsprechung sollte „durch das Volk“ geschehen, die Rechtspflege unentgeltlich sein.
Es sollte eine „allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat“ geben, sowie eine allgemeine Schulpflicht. In allen Bildungsanstalten sollte der Unterricht unentgeltlich sein. Die Religion, die bisher Politik und öffentlichen Raum dominierte, sollte „zur Privatsache“ werden. Statt der bisherigen stehenden Heere in den deutschen Königreichen, Herzog- und Fürstentümern wurde eine „allgemeine Wehrhaftigkeit“ verlangt in Form einer „Volkswehr“.
Leitgedanke in Gotha: Arbeit muss dem Menschen dienen
Darüber hinaus forderte die Partei konkrete Verbesserungen für weite Teile der Bevölkerung. „Eine einzige progressive Einkommensteuer anstatt aller bestehenden, insbesondere der das Volk belasteten indirekten Steuern“, das Verbot der Sonntags- und Kinderarbeit sowie „aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit“. Leben und Gesundheit der Arbeiter sollten gesetzlich besser geschützt werden.
Der Leitgedanke des Programms: Arbeit muss dem Menschen dienen, nicht dem Kapital oder dem Markt. Sie sollte ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Dieser Leitgedanke ist immer noch aktuell. Bis heute kämpft die SPD für „gute Arbeit“ – wie sie es heute nennt – und macht sie immer wieder zum Thema, etwa im vergangenen Bundestagswahlkampf. Für sie zu sorgen und Rückschritte zu verhindern, versteht die Sozialdemokratie als ihre Aufgabe.
Ein Stück Gotha im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot
So hat sie es schließlich auch im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot durchgesetzt. Das gilt etwa für die Erhöhung des Mindestlohnes, das Tariftreuegesetz oder für die Festschreibung des Niveaus der gesetzlichen Rente. Es gilt ebenso für das Startchancenprogramm für benachteiligte Kinder, den Kita-Ausbau und die Erhöhung des Kindergeldes. Auch die Verschärfung der Mietpreisbremse folgt diesem Leitgedanken. So versteht die SPD bis heute – wie es im Titel des Koalitionsvertrages heißt – ihre „Verantwortung für Deutschland“.
Gotha
Natürlich war die Vereinigung des ADGB und der SDAP ein Fortschritt. Mit den programmatischen Mängeln hat sich der Genosse Marx ja ausführlich auseinander gesetzt. Bismarks Reaktion war Repression, aber das hat auch nichts genutzt, denn der Wunsch nach mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Mitentscheidung in der Gesellschaft war mächtig.
In dem Artikel wird aber mal wieder abgehoben auf "......einer Zeit, in der die Demokratie von rechts zunehmend unter Druck steht". Jaja, wir sind die Guten oder wie die Leier geht. Vergessen werden dabei große Sünden der SPD (Funktionäre): Das diktatorische Regime von Eber/Noske/Gröner/Ludendorf gegen die Umsetzung sozialdemokratischer Programmatik, der Radikalenerlass, die bestehende Cancelunkultur, die Kriegskredite .......