Nach der Niederlage: Drei Lehren für die SPD aus der Bundestagswahl
Bei der Bundestagswahl hat die SPD das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Doch eine Analyse der Daten zeigt, dass den Sozialdemokraten durchaus Gründe für Optimismus bleiben.
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Zwei Stimmen für die SPD: Die Bundestagswahl gibt den Sozialdemokraten auch Gründe zur Hoffnung.
„Das ist eine historische Niederlage für die SPD“, räumte Generalsekretär Matthias Miersch am Sonntag bereits kurz nach 18 Uhr ein. SPD-Chefin Saskia Esken sprach kurz darauf von einem „bitteren Wahlergebnis“, der Co-Vorsitzende Lars Klingbeil von einer „dramatischen Niederlage“. Allerdings kündigte Esken auch an: „Aus den Fehlern lernen wir.“ Und tatsächlich zeigt eine Analyse der Daten durch die Friedrich-Ebert-Stiftung, wo die SPD bei der kommenden Wahl ansetzen und zum Teil sogar Grund zu Optimismus haben kann.
1. SPD-Themen bewegen die Menschen
Auch wenn nach den Anschlägen von Magdeburg, Aschaffenburg und München medial allein das Thema Migration im Mittelpunkt stand, war es nicht das wahlentscheidende, zumindest nicht für den Großteil der Wähler*innen. So ermittelte die „Forschungsgruppe Wahlen“ für das „Politbarometer“, dass das Thema Frieden und Sicherheit mit 45 Prozent Wichtigkeit bei den meisten Wähler*innen ganz oben stand, gefolgt von der wirtschaftlichen Situation (44 Prozent) und sozialer Gerechtigkeit (39). Allesamt also durchaus SPD-Themen. Der Bereich Flüchtlinge und Asyl rangierte mit 26 Prozent erst auf dem vierten Platz. Eine Befragung nach der Wahl ergab allerdings, dass viele Wähler*innen der SPD vor allem in den Bereichen Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit nur wenig Kompetenz zutrauen. Hier muss sich die SPD also Vertrauen zurückerarbeiten.
2. Die SPD kann Nichtwähler*innen überzeugen
Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 hat die SPD knapp 3,8 Millionen Wähler*innen verloren. Größte Profiteure sind CDU und CSU, die der SPD rund 1,8 Millionen Wähler*innen abnehmen konnten. Auch an AfD, Linke und BSW haben die Sozialdemokraten verloren. Gewinnen konnte die SPD dagegen Wähler*innen von der FDP. Den größten Zuwachs von 250.000 aber verzeichneten die Sozialdemokraten aus dem Lager der vorherigen Nichtwähler*innen. Auch wenn die SPD von der deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung von 82,5 Prozent nicht profitieren konnte, kann die Mobilisierung von Nichtwähler*innen ein Hoffnungsschimmer sein, den die Sozialdemokraten weiter verfolgen sollten.
3. Überzeugende Kandidat*innen sind wichtiger als die Partei
45 der 120 SPD-Abgeordneten konnten bei der Bundestagswahl ein Direktmandat erringen, ein Anteil von 37 Prozent. Auffällig dabei: In vielen Wahlkreisen lag der Anteil der Erststimme deutlich über dem der Zweistimme. Die Wähler*innen unterschieden also zwischen der Kandidatin bzw. dem Kandidaten und ihrer/seiner Partei. In Ostdeutschland reichte dieser Effekt – außer im Fall von Olaf Scholz in Potsdam – allerdings nicht aus. Viele Direktmandate, die SPD-Kandidat*innen bei der Wahl 2021 erringen konnten, gingen deshalb diesmal verloren, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Überzeugenden Kandidat*innen kann es aber durchaus gelingen, sich durch gute Arbeit vor Ort in den kommenden vier Jahren wieder einen persönlichen Vorsprung zu erarbeiten.
Fazit
Auch wenn das Ergebnis der SPD bei dieser Bundestagswahl verheerend ist, gibt es mehrere Gründe für Optimismus. Wenn es die Sozialdemokraten klug angehen, können sie Vertrauen und Zustimmung zurückgewinnen. Zumal eine Befragung von infratest dimap nach der Wahl ergab, dass sich 40 Prozent aller Wähler*innen vorstellen können, künftig die SPD zu wählen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
Hoffnungsschimmer oder Strategieversagen?
Die Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung wirft kritische Fragen auf. Die Behauptung, dass SPD-Themen die Menschen bewegen, mag zutreffen, doch entscheidend ist: Warum wird der Partei so wenig Kompetenz zugesprochen? Dass soziale Gerechtigkeit und Wirtschaft wichtige Themen sind, hilft wenig, wenn Wähler*innen der SPD keine Lösungen zutrauen.
Auch die Mobilisierung von Nichtwählerinnen als positives Signal greift zu kurz. Der Verlust von 3,8 Millionen Stimmen ist gravierend und wird durch wenige hinzugewonnene Nichtwählerinnen nicht ausgeglichen. Ein Hoffnungsschimmer allein reicht nicht – die SPD muss ihre Strategie überdenken.
Die Erkenntnis, dass überzeugende Kandidat*innen wichtiger als die Partei sind, ist alarmierend. Sie zeigt, dass die SPD als Ganzes kaum Vertrauen genießt. Statt auf einzelne charismatische Köpfe zu setzen, muss sie sich inhaltlich und strategisch erneuern, um wieder eine echte Alternative darzustellen.
ja, die derzeitige Zustimmungsrate lässt viele
Wünsche offen, aber ich gebe doch der Hoffnung Ausdruck, dass es uns in der Zukunft mehr noch als jetzt schon gelingen wird, gerade unter den Wählern mit Migrationshintergrund die Lücken zu schließen, die sich jetzt aufgetan haben. Wir haben ja in den Reihen schon viele sehr gute Kandidaten aus diesen reihen, und die erst vor kurzer Zeit gesetzlich begründeten Einbürgerungsbeschleunigung lässt mich hoffnungsvoll in die Zukunft sehen- da werden mehr und mehr Wähler rekrutiert, und dann geht es weiter aufwärts. Wir müssen jetzt nur darauf achten, dass nicht unter Blackrock Merz verdorben wird, was unter Scholz und Faeser an Guten bewirkt wurde, sonst wird dieser Erfolg sehr schnell wieder zunichte gemacht. Also Obacht in den Koalitionsgesprächen. Hände weg von den Grenzschließungen, weiter Offenheit für Schutzsuchende und schnelle Einbürgerung, der dann ja auch die schnelle Integration folgen wird. Die Wiederaufnahme der Abholung von Afghanen ist daher unbedingt zu begrüßen.
Interessanter ist, was immer wieder schief geht...
Die SPD bietet inhaltlich kein Profil mehr, dass sie hinreichend von den anderen Parteien unterscheidet. Sie mag sich das selbst einreden, aber die Wahlergebnisse sprechen eine andere Sprache. Der allgegenwärtige Trend in der SPD, die Partei "in die Mitte der Gesellschaft" zu rücken, täuscht über ein grundlegendes Problem hinweg: Die Sozialdemokratie ist als eine Partei der Arbeiter, der Aufklärung und der sozialen Gerechtigkeit entstanden.
Nichts davon können Politiker wie Olaf Scholz, Lars Klingbeil oder Boris Pistorius glaubwürdig verkörpern. Weil sie nun aber an der Spitze angekommen sind, wollen sie das Profil der SPD noch weiter in die Mitte ziehen und verwässern. Das wird immer wieder scheitern, weil es nicht mehr sozialdemokratisch ist.
Will die SPD eine Zukunft, muss sie sich zuerst wieder auf ihre Kernthemen und ihre Tradition besinnen. Und sich danach neues Führungspersonal suchen, dass diese Ausrichtung verkörpert. Und nicht anders herum.
Die SPD verkennt ihr eigenes Parteileben
Es ist der Bundesvorsitzenden unwürdig, dass bei dieser [bisher] historischen Niederlage ihnen nicht in den Sinn kommt, die Verantwortung, nicht Scholz gemäß "mit", sondern mit Scholz hauptverantwortlich zu übernehmen. Diesmal werden die Posten gleich gesichert, bevor man sich zu Tode analysiert. Aber keine Machtkumulation und keine Generationsverbarrikadierung wird die SPD programmatisch voranschreiten lassen. Es reicht auch nicht aus, dass der ganze Bundesvorstand zurücktreten muss. Die innerparteilichen Checks & Balances müssen neu verhandelt werden, um den selbstverursachten politischen Klimawandel zu überwinden. Sozialdemokratische Prozesspolitik muss ordoliberaler Ordnungspolitik in jedem einzelnen Sondierungs- und Koalitionspunkt auf den Fuß folgen. Die schröderistische selbstregulierende Marktgläubigkeit muss zugunsten grundlegender sozialer Sicherheit und vertrauensbildender Sozialpartnerschaft führen. Der Mindestlohn darf nicht naiv in die Grundrente zielen. AVE, und AfD ade!