International

Milei als Vorbild? Warum die FDP doppelt falsch liegt

Die FDP hat sich offenbar von der Politik des argentinischen Präsidenten inspirieren lassen. Parteichef Lindner forderte, mehr Milei zu wagen. Warum das nicht nur falsch, sondern auch gefährlich wäre, erklärt Svenja Blanke, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Argentinien.

von Jonas Jordan · 4. Dezember 2024
Proteste gegen sozialen Kahlschlag: Menschen demonstrieren gegen Präsident Milei in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.

Proteste gegen sozialen Kahlschlag: Menschen demonstrieren gegen Präsident Milei in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.

Der FDP-Generalsekretär Marco Buschmann hat kürzlich über den argentinischen Präsidenten getwittert: „Javier Milei wird oft als der Irre mit der Kettensiege dargestellt, aber er hat mit seinem Programm „weniger Start, mehr Markt“ rasche Erfolge erzielt. Wir sollten nicht so arrogant sein, das zu ignorieren.“ Hat Marco Buschmann recht?

Nein, er hat nicht recht und ich glaube auch nicht, dass es ignoriert wird. Argentinien hat in den deutschen Medien noch nie so viel Aufmerksamkeit bekommen wie unter Milei. Er hat aber auch nicht recht, weil Milei und seine Regierung eine sehr ideologische Wirtschaftspolitik betreiben. Da wird alles dem Motto wenig Staat, freier Markt untergeordnet. Makroökonomisch gibt es einige positive Daten, auf die spricht Herr Buschmann an. Milei hat es geschafft, die Inflation runterzubringen. Aktuell sind es 2,7 Prozent pro Monat. Das ist für Argentinien sehr wenig. Statt einem Haushaltsdefizit gibt es einen Haushaltsüberschuss.

All dies geschieht auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger und der Arbeiterinnen und Arbeitnehmerinnen. Der Arbeitsmarkt hat sich nicht erholt. Fast die Hälfte der Argentinierinnen und Argentinier arbeitet im informellen Sektor, unter jungen Menschen sind es sogar 58 Prozent. Die Zahlen sind unter Milei gestiegen. Es gibt auch keinerlei Investitionen, weder aus dem Ausland noch von inländischen Unternehmen, die anzeigen, dass das, was er betreibt, nachhaltig sein könnte. Stattdessen ist die Armut im ersten Jahr unter Milei angestiegen. Sie lag schon unter seinem Vorgänger Alberto Fernández bei 46 Prozent. Nun ist sie bei 53 Prozent. Mehr als die Hälfte der Argentinierinnen und Argentinier leben in Armut. Sieben von zehn Kindern leben in Armut. 

Svenja 
Blanke

Milei macht hier ein soziales Kettensägen-Massaker.

Hat Milei die Kettensäge an den Sozialstaat angelegt?

Ja, definitiv. Milei macht hier ein soziales Kettensägen-Massaker. Das hatte er angekündigt und er ist sich auch sehr treu mit all dem, was er macht. Milei und viele seiner Unterstützer möchten, dass der argentinische Sozialstaat nur noch in minimaler Existenz vorhanden ist. Der argentinische Sozialstaat ist im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern stark. Es gibt einen öffentlichen Gesundheitssektor, einen öffentlichen Bildungssektor. Auch die sozialstaatliche Hilfe war groß. Da wurde die Kettensäge angelegt. Nicht in allen Bereichen. 

Es gibt in Argentinien eine monatliche Lebensmittelmarke, la Tarjeta Alimentar. Man bekommt auf sein eigenes Konto Geld für Lebensmittel, wenn man arm ist. Das wurde nicht gekappt. Auch das Kindergeld wurde nicht gestrichen, weil das an die Individuen direkt geht. Aber die Fördermittel für soziale Organisationen wurden komplett gestrichen. Das betrifft vor allem Menschen, die in Armenvierteln leben. In Buenos Aires ist die Stadt für den Nationalstaat eingesprungen, kann aber nur die Hälfte oder weniger an Lebensmitteln finanzieren. Das führt dazu, dass Drogenbanden in den Armenvierteln das Ruder übernehmen.

Manche entgegnen der Kritik an Milei, er bekämpfe immerhin die Korruption im Land. Was entgegnen Sie dem?

Ja, es stimmt. Rhetorisch bekämpft er die Korruption. Damit kann man schnell Wähler fangen, weil viele Politikerinnen und Politiker, vor allem aus dem peronistischen Lager, Korruptionsverfahren am Hals haben, unter anderem Cristina Fernández de Kirchner. Korruption ist leider in der argentinischen Politik präsent. Im kleineren Sinne als Klientelismus, aber auch im größeren Stil. Allerdings betreibt Milei selbst Klientelismus. Man muss nur gucken, wie er eigene Leute überall reinbringt, die eigene Familie, die Familie von anderen Ministern, etc. Deswegen glaube ich nicht, dass sich durch Milei in der Hinsicht irgendetwas ändern wird.

Milei ist früh auf Konfrontationskurs zu den Gewerkschaften gegangen. Kurz nach seinem Amtsantritt gab es einen Aufruf zum Generalstreik. Wie hat sich die politische Situation innerhalb eines Jahres entwickelt?

Die Opposition ist sehr fragmentiert und orientierungslos. Das erklärt auch, warum Milei trotz dieser sozialen Katastrophe noch eine hohe Unterstützung hat. 43 Prozent der Menschen würden ihn wieder wählen. Das ist viel nach einem Jahr und solchen sozialen Daten. Milei setzt auf die Trumpsche Methode und startet eine Initiative nach der anderen. Die Opposition, vor allem die Peronisten, sind nur damit beschäftigt, darauf zu reagieren. Dadurch können sie keine eigenen politischen Angebote machen. 

Zudem: Milei hat die Wahl gewonnen, weil die meisten Menschen in diesem Land die Nase voll hatten von den vorherigen Regierungen, sowohl den konservativen als auch den peronistischen. Es gibt keine politische Figur in der peronistischen Opposition, die ihm Paroli bieten könnte. Mittlerweile wurde Cristina Fernández de Kirchner, von 2007 bis 2015 Präsidentin, wieder zur Vorsitzenden der peronistischen Partei gewählt. Statt auf neue Gesichter zu setzen, wird wieder die Politikerin hervorgeholt, die für die Vergangenheit steht.

Könnte das Modell Milei Schule machen?

Er betreibt nicht nur eine ideologische Wirtschaftspolitik. Das Gleiche gilt auch für die Außenpolitik. Milei ist Teil des ultrarechten Atlas-Netzwerks, dem Trump und viele der rechtsextremen und ultrarechten europäischen Parteien angehören. Die Agenda dieses Netzwerkes bestimmen drei wesentliche Punkte: die Wirtschaftspolitik mit wenig Staat und freiem Markt. Die zweite Säule dieser ideologischen Außenpolitik ist eine Anti-Klimawandel-Politik, also Klimawandel negieren beziehungsweise nichts, was Klimagerechtigkeit versucht, wiederherzustellen, zu unterstützen. Drittens eine Anti-Gender-Politik, ein Kulturkampf gegen Frauen, Feminismus und die LGBTQ-Community. Das zeigen auch die Abstimmungen Argentiniens in der UN. Das zeigt Milei mit seinen Reden, ob beim Wirtschaftsgipfel in Davos oder in der Generalversammlung der UN. Dafür bekommt er Unterstützung, sowohl auf regionaler Ebene in Lateinamerika von den Gleichgesinnten, von Trump und von den europäischen Ultrarechten.

Inwieweit wird er durch den erneuten Wahlsieg von Trump beflügelt?

Milei ist happy darüber. Er hofft auf einen persönlichen Zugang zu Trump. Bislang haben sich die beiden nur zweimal für ein Bild getroffen, aber sie feiern sich gegenseitig und haben beide die Unterstützung von Elon Musk. Ob Argentinien daraus für sich was Positives ziehen kann, muss sich zeigen, weil die Trumpsche Wirtschaftspolitik die US-Interessen im Sinne hat, eher protektionistisch unterwegs ist und das Argentinien schadet. 

Gemeinsam werden Trump und Milei die skizzierte ideologische außenpolitische Agenda definitiv pushen. Das hat Auswirkungen auf demokratische Errungenschaften, denn diese werden angegriffen, ausgehöhlt und untergraben, indem das Geld fehlt, indem sie direkt rhetorisch angegriffen werden. Da müssen alle Demokratinnen und Demokraten hellwach sein.

Svenja
Blanke

Die gesamte Rhetorik von Milei ist so aggressiv. Sie entfacht Gewalt, sowohl verbale Gewalt als auch mögliche Angriffe auf gezielte Personen.

Wie äußert sich diese Gefahr?

Die gesamte Rhetorik von Milei ist so aggressiv. Er tätigt Angriffe gegen bestimmte Politiker und gegen Journalisten. Er führt einen persönlichen Kampf gegen die Presse, beantwortet nur Fragen von einem halben Dutzend ausgewählten Journalisten. So vermeidet er jede unbequeme Frage. Ansonsten greift er Personen direkt an. Diese persönlichen direkten Angriffe sind eine Gefahr für die Demokratie. Er benennt Personen via Twitter mit Vornamen und Nachnamen. Darauf folgt ein Heer an Trollen und Followern.  Dadurch geraten Leben in Gefahr. Das Gleiche gilt für bestimmte Feministinnen, für Politikerinnen. Diese Rhetorik entfacht Gewalt, sowohl verbale Gewalt als auch mögliche Angriffe auf gezielte Personen.

Gefahr durch Milei

Die Gefährdung für queere Menschen und Feministinnen steigt, seit Javier Milei als argentinischer Präsident im Amt ist, sagt Svenja Blanke von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

CSD in Buenos Aires: Für queere Menschen wird der argentinische Präsident Milei zur Gefahr.

Sie haben die anhaltende Zustimmung für Milei angesprochen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wiedergewählt werden könnte?

Die vier Jahre seiner Präsidentschaft wird er mit Sicherheit durchstehen. Ob er in drei Jahren wiedergewählt wird, ist nicht abzusehen. Dafür könnten verschiedene Faktoren entscheidend sein. Gibt es ein neues Schuldenabkommen? Steigt die Arbeitslosigkeit? Wird der informelle Markt noch größer? Wird die Armut noch stärker? Die argentinische Bevölkerung ist in den letzten Jahren schnell umgeschwungen. 2015 wurde nach zwölf Jahren Peronismus der konservative Präsident Mauricio Macri, 2019 schon wieder der Peronismus gewählt und wiederum vier Jahre später Milei.

Bei seiner Wahl erhielt Milei bei jungen Menschen sehr viele Stimmen. Genießt er bei ihnen weiter Rückhalt?

Ja, das stimmt. Vor allem viele junge Männer aus den von mir skizzierten Armenvierteln haben ihn gewählt. Er hat unter ihnen immer noch eine hohe Unterstützung, auch wenn sie unter seiner Politik leiden. Doch die Jüngeren kennen nur Krise in Argentinien. Wenn die linken Peronisten sagen, unter Christina Kirchner lief es viel besser, weil durch den Rohstoffexport sozial verteilt wurde, dann können sich die Jüngeren daran gar nicht erinnern. Weil die Hoffnungslosigkeit groß ist, setzen sie auf die Person, die etwas ganz anderes verspricht. Das ist noch immer so, weil die anderen keine Gegenstrategie gefunden haben.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

Weitere interessante Rubriken entdecken

2 Kommentare

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Do., 05.12.2024 - 12:34

Permalink

Man muss Buschmann dankbar sein für diese entlarvende Äußerung. Die 'Lindner-FDP' ist nur eines:
Neoliberalismus in Reinform. Koste es ("den Arbeiter und die Erde") was es wolle. Gut, dass diese Truppe weg ist.
Nur leider mehr als ein Jahr zu spät! Eine 'Lindner-FDP' ist für Deutschland absolut entbehrlich.

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 09.12.2024 - 10:22

Antwort auf von Helmut Gelhardt (nicht überprüft)

Permalink

Leider ist diese Gruppierung nicht die einzige, die die Menschen- und Naturverachtende Politik des extremistischen Neoliberalismus befürwortet. Da seien nichtnur die afd oder die CDSZ genannt, nein auch bei von der Programatik losgelösten Teilen der "Grünen" und gar der SPD findet eine solche Politik Symathie.