Inland

Wie die SPD das Land modernisieren will und woher das Geld kommen soll

Über Jahre wurde in Deutschland zu wenig investiert. Die SPD will das ändern und macht Vorschläge, wie alle davon profitieren – und woher das Geld kommen soll.

von Kai Doering · 21. Dezember 2023
Brücken, Straßen, Leitungen – vieles muss in Deutschland erneuert oder ersetzt werden. Die SPD will deshalb 100 Milliarden Euro investieren, jährlich.

Brücken, Straßen, Leitungen – vieles muss in Deutschland erneuert oder ersetzt werden. Die SPD will deshalb 100 Milliarden Euro investieren, jährlich.

Wenn Thomas Losse-Müller beschreiben will, was beim Klimaschutz falsch läuft, erzählt er gern von einer Straße. In dieser Straße gibt es zehn Häuser, die alle noch eine Öl- oder eine Gasheizung haben. In den Häusern eins und zwei leben Menschen, die den Klimaschutz schon immer wichtig fanden. Sie haben sich gerade eine Solaranlage aufs Dach setzen und eine Wärmepumpe einbauen lassen. Dafür haben sie zwischen 100.000 und 150.000 Euro investiert. Die Menschen in den Häusern drei und vier finden den Klimaschutz nicht so wichtig, haben aber durch den Krieg in der Ukraine gemerkt, dass es sinnvoll ist, sich von Öl- und Gaslieferungen unabhängig zu machen. Auch sie investieren 100.000 bis 150.000 Euro, um ihre Häuser klimaneutral umzurüsten.

Und der Rest? „Das Problem ist: Die durchschnittlichen Ersparnisse eines Haushalts in Deutschland betragen gerade mal 30.000 Euro. Was machen also die Menschen in den sechs verbliebenen Häusern, die sich die Umrüstung nicht leisten können?“, fragt Losse-Müller. „Der einzige Weg, wie sie alle klimaneutral werden können, ist der, dass der Staat ihnen die Wärme ins Haus bringt, indem er ein Wärmenetz aufbaut und sie anschließt.“ 

Eine stärkere Rolle des Staates

Wie es gelingen kann, dass alle Menschen klimaneutral leben, ist eine Frage, die Thomas Losse-Müller schon lange umtreibt. Früher beriet er für die Weltbank Regierungen in aller Welt. Nach der Landtagswahl 2022 wurde er Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein, trat allerdings am 12. Dezember zurück. Vorher hatte er im November den „Sozial-Klimarat“ aus der Taufe gehoben, eine Denkfabrik, die sich eine sozial gerechte Klimapolitik auf die Fahne geschrieben hat. „Der individualisierte Klimaschutz über Förderung, Preise und Verbote scheitert, wenn die Menschen die notwendigen Veränderungen nicht bewältigen können“, ist Losse-Müller überzeugt.

Der Volkswirt plädiert deshalb für eine aktivere Rolle des Staates. „Wir müssen Klimaschutz als Daseinsvorsorge begreifen. Genauso wie der Staat den Menschen frisches Wasser ins Haus bringt, muss er auch dafür sorgen, dass sie klimaneutral heizen müssen.“ Gleiches gelte für den Ausbau von Bus und Bahn, damit die Menschen auf das Auto verzichten könnten. Für all das gebe es aber eine Voraussetzung: „Wenn wir erfolgreich Klimaschutz machen wollen, der sozial gerecht ist, gibt es keine Alternative zu großen öffentlichen Investitionen.“

Beschluss des SPD-Parteitags

Unser Land hat in Phasen, in denen viel von selbst zu laufen schien, zu wenig in die Zukunft investiert“, heißt es darin. „Das werden wir ändern. Es braucht ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen.

Das sieht auch Tom Krebs so. In einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung hat der Professor für Makroökonomik an der Universität Mannheim den jährlichen Investitionsbedarf ermittelt, damit die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gelingt. Krebs kommt dabei auf eine Summe von 80 Milliarden Euro, was zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. In seiner Studie macht der Ökonom zwei Szenarien auf: „In einem Negativszenario führt die Beschleunigung der Klimatransformation zu Wohlstandsverlusten, und der gesellschaftliche Zusammenhalt wird geschwächt. Im Positivszenario entsteht ein neuer Wirtschaftsboom, getrieben durch Investitionen in klimaneutrale Technologien, der hochwertige Arbeitsplätze schafft und die soziale Gerechtigkeit stärkt.“

Klar, dass Krebs auf das zweite Szenario setzt. Dafür müsse sich jedoch einiges ändern. „Die Bundesregierung muss sich aus dem marktliberalen Gedankenkorsett befreien, wenn sie die Klimaziele erreichen und gleichzeitig die Wirtschaft stärken möchte. Es braucht eine mutige Investitionsagenda und eine Abkehr von der aktuellen Sparpolitik, wenn wir unsere Wirtschaft und das Klima retten wollen.“

Die SPD will jedes Jahr 100 Milliarden Euro investieren

Die SPD hat das erkannt und auf ihrem Parteitag einen Plan für die Modernisierung Deutschlands beschlossen. „Unser Land hat in Phasen, in denen viel von selbst zu laufen schien, zu wenig in die Zukunft investiert“, heißt es darin. „Das werden wir ändern. Es braucht ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen.“ Die Summe, die die Sozialdemokraten dafür veranschlagen, geht über die Berechnungen des Ökonomen Tom Krebs noch hinaus. Bis 2030 müssten jedes Jahr 100 Milliarden Euro zusätzlich ausgegeben werden.

„Das ist viel Geld, aber jeder Cent wird sich lohnen“, ist Lars Klingbeil überzeugt. „Das Geld soll zum Beispiel Unternehmen helfen, durch die Transformation, also den Wandel hin zur Klimaneutralität, zu kommen“, erklärt der SPD-Vorsitzende. Auch strategisch wichtige Start-ups sollen mit dem Geld unterstützt werden. Der größte Teil der Summe soll dabei nicht vom Staat kommen, sondern aus der Wirtschaft. „Deshalb wollen wir einen Deutschlandfonds aufsetzen, über den Staat und private Kapitalgeber gemeinsam schnell und unbürokratisch in Projekte investieren können“, erklärt Klingbeil.

Klimaschutz und Transformation – aber gerecht

Davon sollen jedoch nicht nur die Unternehmen profitieren, sondern die ganze Gesellschaft. „Wenn wir den klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft konsequent vorantreiben, kann das zum Wohlstandsmotor für uns, unsere Kinder und Enkelkinder werden“, zeigt sich die SPD in ihrem Modernisierungsplan überzeugt. „Wenn wir das jetzt richtig angehen, können in verschiedenen Branchen durch den klimaneutralen Umbau in den nächsten fünf oder sechs Jahren eine Million neue, gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen“, sagt Parteichef Lars Klingbeil. Entscheidend dafür sei die Akzeptanz in der Bevölkerung. Klimaschutz und Transformation könnten nur gelingen, wenn sie als gerecht wahrgenommen würden.

Saskia
Esken

Wir können es uns als Volkswirtschaft nicht leisten, die Potenziale so vieler junger Menschen liegenzulassen.

Außer in die Infrastruktur soll deshalb auch in die Bildung massiv investiert werden. „Bund, Länder und Kommunen sollen sich verbünden zu einem Aufbruch und für eine gerechte Bildung für alle Kinder“, hatte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken die Grundzüge eines „Deutschlandpakts“ für die Bildung schon Ende Oktober bei einer Veranstaltung in der Friedrich-Ebert-Stiftung umrissen. Die Notwendigkeit, mehr für die Bildung zu tun, hat inzwischen das Ergebnis der jüngsten Pisa-Studie deutlich gemacht: Sowohl im Lesen als auch in Mathematik und in den Naturwissenschaften waren die Ergebnisse die schlechtesten, die die Industrieländerorganisation OECD je für Deutschland ermittelt hat. „Wir können es uns als Volkswirtschaft nicht leisten, die Potenziale so vieler junger Menschen liegenzulassen“, findet Saskia Esken.

Wer sehr viel Geld hat, soll einen Teil für die Gesellschaft abgeben

Über den Deutschlandpakt will es die SPD möglich machen, dass Bund und Länder „zumindest einen hohen einstelligen Milliardenbetrag jährlich“ zusätzlich in die Bildung investieren. Da Bildung Sache der Bundesländer ist und ein „Kooperationsverbot“ eine Einmischung des Bundes weitgehend verbietet, ist eine Zusammenarbeit nicht so einfach. Über ein gemeinsames Sondervermögen gäbe es aber Möglichkeiten der Finanzierung.

Der Zukunftsplan der SPD enthält deshalb auch ein Steuer- und Abgabenkonzept, das eine Kommission in den vergangenen Monaten entwickelt hat. Mit dabei war der Ökonom Gustav Horn, langjähriger wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. „Wir wollen aus Reichtum Fortschritt schaffen“, bringt er den Kerngedanken des Konzepts auf den Punkt. „Wer sehr viel Geld hat, soll einen Teil davon für Investitionen abgeben, damit die Gesellschaft insgesamt vorankommt.“

Reform der Erbschaftssteuer und „Krisenabgabe“ für Reiche

Das Programm der SPD sieht deshalb vor, dass die Gelder des bisherigen Solidaritätszuschlags, den seit 2021 nur noch Menschen mit sehr hohen Einkommen bezahlen, umgewidmet und gezielt für die Transformation sowie im Bildungsbereich eingesetzt werden. Diejenigen, „die über die höchsten Vermögen in unserem Land verfügen“, sollen zudem eine „Krisenabgabe“ zahlen. „Diese Menschen haben so viel Geld, dass sie alle Unwägbarkeiten der anstehenden Umbrüche selbst meistern können“, ist Ökonom Horn überzeugt. „Wenn sie einen kleinen Teil abgeben, um die Gesellschaft insgesamt in die Lage zu versetzen, gut durch diese Zeit zu kommen, ist das nur gerecht.“

Und auch die Erbschaftssteuer will die SPD reformieren, um damit mehr Geld für bessere Bildung zur Verfügung zu haben. „Natürlich wird das selbstgenutzte Einfamilienhaus auch künftig erbschaftssteuerfrei sein“, verspricht Gustav Horn. „Da, wo es hohe Vermögen gibt, soll aber die Steuerlast steigen.“

Lars
Klingbeil

Jeder Euro, der in die Modernisierung des Landes fließt, ist ein Euro in unseren Wohlstand, in gute Jobs und gute Löhne.

Aus Sicht von Julia Jirmann ist das ein richtiger Schritt. „Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland im internationalen Vergleich besonders hoch. Ein Treiber der Ungleichheit ist dabei das Steuersystem“, weiß die Referentin für Steuerrecht und Steuerpolitik beim „Netzwerk Steuergerechtigkeit“. 300 bis 400 Milliarden Euro würden jährlich in Deutschland vererbt oder verschenkt, Tendenz steigend. „Deutschland versteht sich zwar als Leistungsgesellschaft, ist mittlerweile aber vielmehr eine Erbengesellschaft“, sagt Jirmann. „Eine effizientere Steuer auf geschenkte und geerbte Vermögen könnte der extremen Ungleichverteilung unmittelbar etwas entgegensetzen.“ 

Und noch etwas will die SPD verändern. „Die Schuldenbremse braucht eine Generalüberholung“, sagte Parteichef Lars Klingbeil schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Entscheidung aus Karlsruhe hat die Dringlichkeit einer Reform aber noch einmal unterstrichen. Aus Sicht der SPD muss das Instrument, das für Haushaltsdisziplin sorgen soll, zumindest für Investitionen deutlich geöffnet werden. „Jeder Euro, der in die Modernisierung des Landes fließt, ist ein Euro in unseren Wohlstand, in gute Jobs und gute Löhne“, so Klingbeil.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

Weitere interessante Rubriken entdecken

2 Kommentare

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am So., 24.12.2023 - 09:32

Permalink

Ganz einfach, die hinterzogenen Steuern aufspüren und einfordern, in 2022 waren es 100 Mrd. Euro, in 2023 vermutlich noch mehr.
Sollte das nicht reichen, gibt es noch die Möglichkeit, unnütze Subventionen wie für SUV's zu streichen, die Vermögenssteuer zu reaktivieren, die Erbschaftssteuern zu erhöhen, massive Steuern auf Pyrotechnik zu erheben (damit würde andererseits wieder Geld für Polizei-, Rettungseinsätze und Müllbeseitigung gespart), eine Vermögensabgabe zu erheben sowie weniger Geld für menschenmordende Rüstung auszugeben.

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Do., 28.12.2023 - 10:02

Permalink

Die substanzielle Besteuerung von großen Erbschaften und Vermögen uu fordern ist das Eine. Wäre dies wirklich eine zentrale Forderung, müsste von ihrer Erfüllung auch der Eintritt in künftige Koalitionen abhängig gemacht werden. Bei der Versessenheit auf jedwede Regierungsbeteiligung mit zu vergebenden Posten erscheint mir das unrealistisch. Ohne Junktim würde es der SPD niemand mehr abnehmen.

Also Fake oder ernst gemeint?