Inland

Ökonom Gustav Horn: „Derzeitige Schuldenbremse ist ein Fehlkonstrukt“

Der Wirtschaftswissenschaftler Gustav Horn sieht Deutschland nicht gut aufgestellt für die Herausforderungen der Zukunft. Um massiv investieren zu können, müsse die Schuldenbremse reformiert werden. Eine bestimmte Gruppe sollte mehr Steuern zahlen.
von Kai Doering · 21. November 2023
Beim Bau sieht der Ökonom Gustav Horn die Regierung in der Pflicht, zumindest im Bereich des sozialen Wohnungsbaus
Beim Bau sieht der Ökonom Gustav Horn die Regierung in der Pflicht, zumindest im Bereich des sozialen Wohnungsbaus

Die sogenannten Wirtschaftsweisen gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 0,4 Prozent abnimmt und auch 2024 nur leicht zunehmen wird. Woran liegt das?

Die deutsche Wirtschaft ist insgesamt in einer stagnativen Phase. Es gibt keinen richtigen Einbruch wie wir ihn in früheren Jahren bereits erlebt haben, aber die Wirtschaft tritt auf der Stelle. Das liegt vor allem an zwei großen Schwächen: zum einen am Konsum, da die Realeinkommen der Haushalte durch die hohe Inflation gesunken sind, zum anderen an der Entwicklung am Bau. Hier haben wir es wegen der hohen Zinsen und der hohen Preise mit einem regelrechten Einbruch zu tun. Beides drückt die Konjunktur. Obwohl sich alles andere sanft positiv entwickelt, reicht das nicht aus, um diese beiden Bereiche zu kompensieren.

Wie sollte die Politik darauf reagieren?

Es gibt zwei Maßnahmenbündel: Zum einen muss man sich den beiden genannten Schwächen widmen. Bei den Löhnen sind vor allem die Tarifparteien gefordert, die zu Lohn- und Gehaltssteigerungen kommen müssen, die die Kaufkraftschwäche wieder verschwinden lassen. Beim Bau sehe ich die Regierung in der Pflicht gegenzusteuern, zumindest im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. Hier sollte die Regierung stärker in die Förderung gehen, denn nicht vorhandener und teurer Wohnraum ist ein großes Problem für die gesamte Gesellschaft.

Und langfristig?

Da muss Deutschland zurück auf den Wachstumspfad. Dafür brauchen wir vor allem Investitionen in die Gestaltung des Umbruchs, der in den nächsten Jahrzehnten stattfinden wird. Wir brauchen eine Ära der Investitionen. Das ist sicher die zentrale Herausforderung für die derzeitige Regierung.

Die SPD fordert im Leitantrag für den Bundesparteitag ein „Jahrzehnt der Investitionen“. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Es geht darum, unsere gesamte Wirtschaft auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen. Das erfordert u.a. neue Technologien, sogar solche, die wir unter Umständen jetzt noch gar nicht kennen. Wir brauchen jetzt viele wagemutige Unternehmerinnen und Unternehmer, die bereit sind, Investitionen zu tätigen, die uns diesen nachhaltigen Pfad beschreiten lassen. Die Politik muss das mit öffentlichen Geldern anschieben und ihnen einen Teil der Unsicherheit abnehmen, darüber hinaus aber auch sehr viel mehr privates Geld mobilisieren. Wir können das nicht einfach dem Markt überlassen, denn der arbeitet viel zu langsam.

Wie kann die Politik privaten Investor*innen Anreize setzen, ihr Geld für die Transformation einzusetzen?

Zunächst mal, indem sie klare strategische Ziele definiert, welche Art von Projekten sie mitfinanziert. Auch muss das Verfahren einfach und transparent gestaltet sein, mit dem Investoren oder solche, die es werden wollen, Gelder beantragen können und möglichst schnell erhalten. Das darf nicht nur über ein Jahr oder eine Legislatur gehen, sondern mindestens über ein Jahrzehnt, denn wir brauchen eine grundlegende Umgestaltung unserer Technologien. Die gesamte Wirtschaft muss auf einen Investitionskurs gebracht werden. Dieser wird sich in Wohlstandszuwachs auszahlen, mehr Arbeitsplätze und höhere Löhne inklusive.

Die Frage der öffentlichen Investitionen stellt sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds noch einmal neu. Wie sehr bremst die Entscheidung die Transformation aus?

Diese Entscheidung kann sich als ein schwerwiegendes Investitionshemmnis erweisen, dass die rechtzeitige und durchgreifende Modernisierung unserer Wirtschaft in Frage stellt. Nun rächt es sich bitter, die Schuldenbremse in das Grundgesetz hineingeschrieben zu haben, wo sie überhaupt nicht hingehört.    

Die SPD fordert schon länger eine Reform der Schuldenbremse. Wäre es nicht sinnvoller, sie gleich ganz abzuschaffen?

Die gegenwärtige Lage würde zumindest eine Aussetzung der Schuldenbremse rechtfertigen. Ich bin aber auch sehr dafür, grundsätzlich über Sinn und Zweck dieses Instruments nachzudenken. In ihrer derzeitigen Verfassung ist die Schuldenbremse ein Fehlkonstrukt. Eine besonders große Schwäche ist, dass sie nicht unterscheidet zwischen Ausgaben für den Konsum und Investitionen, etwa in die Infrastruktur. Die konsumtiven Ausgaben sollten immer über Steuereinnahmen finanziert werden. Aber Investitionen schaffen Wachstumsmöglichkeiten für die Zukunft und sollten deshalb die Aufnahme von Schulden rechtfertigen. Auch künftigen Generationen werden uns das danken. Wenn wir wirklich eine Ära der Investitionen einläuten wollen, muss die Schuldenbremse zumindest hier geöffnet werden.

In ihrem Leitantrag spricht sich die SPD auch dafür aus, Reiche über eine „Zukunftsabgabe“ stärker an den Kosten der Transformation zu beteiligen. Was verbirgt sich dahinter?

Wir wollen aus Reichtum Fortschritt schaffen. Wer sehr viel Geld hat, soll einen Teil davon für Investitionen abgeben, damit die Gesellschaft insgesamt vorankommt. Mit der „Zukunftsabgabe“ sollen die Gelder des bisherigen Solidaritätszuschlags, den seit 2021 nur noch Bezieher sehr hoher Einkommen zahlen, gezielt für die Transformation sowie im Bildungsbereich eingesetzt werden. Hinzu kommt noch eine – zeitlich befristete – „Krisenabgabe“. Die sollen diejenigen zahlen, die reichensteuerpflichtig sind. Diese Menschen haben so viel Geld, dass sie alle Unwägbarkeiten der anstehenden Umbrüche selbst meistern können. Wenn sie einen kleinen Teil abgeben, um die Gesellschaft insgesamt in die Lage zu versetzen, gut dadurch zu kommen, ist das nur gerecht.

Nach dem Willen der SPD soll auch die Erbschaftssteuer so reformiert werden, dass hohe Erbschaften höher besteuert werden. Was macht Sie optimistisch, dass die Reform diesmal gelingt?

Mit der Reform der Erbschaftssteuer verbinden wir ein klares Ziel: Alle Kinder in diesem Land sollen eine möglichst erstklassige Bildung erhalten. Deshalb wollen wir die Länder deutlich besser ausstatten, damit sie ihre Bildungssysteme reformieren können. Dafür brauchen wir viel mehr Geld als bisher, Geld, das auch aus einer Reform der Erbschaftssteuer kommen soll. Natürlich wird das selbstgenutzte Einfamilienhaus auch künftig erbschaftssteuerfrei sein. Da, wo es hohe Vermögen gibt, soll aber die Steuerlast steigen. Mit diesem Geld soll das Leben von vielen mit einer deutlich besseren Perspektive ausgestattet werden. Ich bin mir sicher, dass die, die künftig mehr zahlen, das verstehen und gutheißen werden. An einem guten Bildungssystem sollte schließlich die gesamte Gesellschaft ein Interesse haben.

node:vw-infobox

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare