Geschichte

35 Jahre nach Gründung der SDP: Das Dilemma der SPD in Ostdeutschland

Als am 7. Oktober 1989 die SDP in der DDR gegründet wurde, war das eine bewusste Provokation. Die erste Ernüchterung folgte bei der Volkskammerwahl 1990. Heute steht die ostdeutsche SPD vor einem Dilemma.

von Ulrich Mählert · 7. Oktober 2024
Stark im Osten? Die Gründung der SDP – hier der spätere Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff – war eine bewusste Provokation.

Stark im Osten? Die Gründung der SDP – hier der spätere Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff (r.) – war eine bewusste Provokation.

Die besten Tage der ostdeutschen SPD – genauer: der SDP – liegen in den ersten Monaten ihrer Existenz. Ihre Gründung am 7. Oktober 1989, ausgerechnet am 40. Jahrestag der DDR, war eine bewusste Provokation. Die Zwangsvereinigung von SPD und KPD 1946 hatte den Grundstein für die kommunistische Herrschaft zwischen Elbe und Oder gelegt. Die Wiederauferstehung der ostdeutschen Sozialdemokratie symbolisierte den rasanten Machtverfall der SED, der innerhalb weniger Wochen zur Öffnung der Mauer und zum Ende der kommunistischen Diktatur führte.

Geringe Begeisterung vieler Genossen im Westen

Im Frühjahr 1990 schien es fast unausweichlich, dass die SDP aus den ersten freien Wahlen in der DDR als Sieger hervorgehen würde. Doch dann kam der Realitätsschock. Bei den Wahlen am 18. März 1990 landeten die Sozis auf Platz zwei, weit abgeschlagen hinter der „Allianz für Deutschland“, einem Bündnis unter Führung der ehemaligen SED-Blockflöte CDU. In der Wahlnacht fasste der damalige Grünen-Politiker und spätere SPD-Innenminister Otto Schily den Frust der westdeutschen Linken in einer stummen Geste zusammen: Er hielt eine Banane in die Kamera und unterstellte dem Wahlvolk im Osten damals banale Konsumgier.

Dieses zynische Bild stand am Anfang eines Narrativs, das der Mehrheit der Ostdeutschen niedere Instinkte bei ihrer Wahlentscheidung unterstellte. Helmut Kohls Versprechen der „blühenden Landschaften“ habe sie vom vermeintlich rationalen Weg abgebracht, der scheinbar zwangsläufig zur SPD führen musste. Dass die distanzierte Haltung Oskar Lafontaines zur Wiedervereinigung und die geringe Begeisterung vieler Genossen im Westen eine ganz rationale Rolle spielten, blieb meist unerwähnt.

In Sachsen und Thüringen konnte die SPD nie wieder Fuß fassen

Nach der Wahlniederlage wurde die Frage aufgeworfen, ob es nicht ein Fehler gewesen sei, reformwillige SED-Mitglieder von der neuen SPD fernzuhalten. Den ostdeutschen SDP-Gründern, von denen viele aus der evangelischen Kirche kamen, wurde vorgeworfen, zu rigide Unvereinbarkeiten formuliert zu haben. Sie fürchteten wohl zu Recht, von den an den Parteischulen in Moskau und Ost-Berlin ausgebildeten SED-Kadern schnell an die Wand gedrückt zu werden.

Vor allem Egon Bahr meldete sich in dieser Frage zu Wort. Der pragmatische Realpolitiker dürfte den erfahrenen SED-Apparatschiks kulturell näher gestanden haben als den protestantischen Pfarrern der ostdeutschen SPD. In den traditionellen SPD-Hochburgen Thüringen und Sachsen konnte die Partei nie wieder nennenswert Fuß fassen. Anders in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und zeitweilig auch in Sachsen-Anhalt, wo die SPD auf viele Jahre Regierungsverantwortung zurückblicken kann. Teilweise gemeinsam mit und immer auch in Konkurrenz zur PDS, der späteren Linkspartei, bis diese als ostdeutsche Protestpartei von Rechts- und Linkspopulisten abgelöst und in die Bedeutungslosigkeit katapultiert wurde.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft

35 Jahre nach ihrer Wiedergründung steht die ostdeutsche SPD vor einem Dilemma: Sie ist dem Juso-Alter entwachsen und feiert ihre „Volljährigkeit“, konnte aber selbst in Brandenburg ihre Mehrheit jüngst nur mit knapper Not verteidigen. Und in Teilen Ostdeutschlands wird inzwischen schon der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde als Erfolg gefeiert. 

Dennoch bleibt die Hoffnung, dass die sozialdemokratische Idee auch diese Herausforderungen meistern wird. Sie hat 1989 mutige Frauen und Männer ermutigt, der übermächtigen SED die Stirn zu bieten. Heute sollte sie Sozialdemokraten ermutigen, die Schuld für den eigenen Niedergang nicht länger bei den Wählern zu suchen, die sich von ihrer Politik offensichtlich nicht mehr angesprochen fühlen. In diesem Sinne: Chapeau, liebe Genossinnen und Genossen in Ostdeutschland, und herzlichen Glückwunsch!

In seiner Kolumne Im Rückspiegel beleuchtet das Geschichtsforum der SPD historische Ereignisse und zieht Parallelen zur heutigen Zeit. Alle Texte der Reihe finden Sie hier.

Autor*in
Ulrich Mählert

ist Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Mitglied des SPD-Geschichtsforums

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 07.10.2024 - 15:47

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Die autoritäre Herrschaft von SED-CDU-LDPD-BP-NDPD in der DDR hatte mit Kommunismus recht wenig zu tun, aber daß ihr das schreibt gehört ja zum dämonisierenden Narrativ.
Hier in Brandenburg war es der SPD möglich große Wählerzustimmung zu erreichen - in ähnlichem Ausmaß auch in Mecklenburg-Vorpolen. In den industrialisierten Bundesländern der ex-DDR gelang das aber nicht. Der Entrechtungs- und Enteignungspolitik der "Treuhand" wurde sich nicht entgegeen gestellt - vielmehr wurde mitgemacht und vorangetrieben, vielleicht auch weil da einige "Genossen" ihre Pfründe fanden. Nach 10 Jahren Abwirtschaftung des Erbes der DDR, verbunden mit Arbeitsplatzverlusten und Verunsicherung, kam dann die SPD-Erfindung HARTZ-IV.
Vertrauen wurde verspielt. s ist die Aufgabe ehrlicher Sozialdemokraten dieses Vertrauen wieder zu ewinnen, aber ich vermute daß sie in dieser SPD kaum eine Chance dazu haben werden.