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Wie ein sozialdemokratischer Wiederaufbau der Ukraine aussehen könnte

Ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist nicht abzusehen. Doch schon jetzt gibt es Überlegungen, wie das Land wiederaufgebaut und weiterentwickelt werden kann. Dazu treffen sich ukrainische Sozialdemokrat*innen auch im Exil.

von Jonas Jordan · 28. August 2024
Ukrainische Sozialdemokrat*innen träumen von einer friedlichen Zukunft ihres Landes als EU-Mitglied.

Ukrainische Sozialdemokrat*innen träumen von einer friedlichen Zukunft ihres Landes als EU-Mitglied.

Willy Brandt war gerade einmal 19 Jahre alt, als er nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 ins Exil ging. Nach Deutschland kehrte der spätere Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zurück. 

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine läuft nun bereits seit mehr als zweieinhalb Jahren, im Osten des Landes schon seit mehr als zehn Jahren. Ein Ende ist derzeit noch nicht absehbar. Doch schon jetzt beschäftigen sich Sozialdemokrat*innen damit, wie ein Wiederaufbau des Landes in der Zukunft aussehen könnte.

Dmytro Mamaiev

Dmytro Mamaiev ist Internationaler Sekretär der ukrainischen SD-Plattform. Zurzeit lebt der Doktorand in der litauischen Hauptstadt Vilnius.

Dmytro Mamaiev ist Internationaler Sekretär der ukrainischen SD-Plattform.

Auch zu diesem Zweck haben sich Mitglieder der ukrainischen sozialdemokratischen Plattform in der vergangenen Woche auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn getroffen. 

Wichtig zu wissen ist in diesem Kontext: In der Ukraine gibt es keine klassische sozialdemokratische Partei. Diese Rolle nimmt derzeit noch die vor zwölf Jahren gegründete SD-Plattform ein. Sie ist mit Beobachterstatus Teil der Young European Socialists (YES), dem Zusammenschluss der sozialistischen und sozialdemokratischen Jugendorganisationen in Europa, und seit vergangenem Jahr ebenfalls mit Beobachterstatus im globalen Pendant IUSY vertreten.

Heimat in der Ostukraine schon vor zehn Jahren verloren

Seit zwei Jahren gibt es auch in Deutschland einen von Exilant*innen gegründeten Ableger der SD-Plattform. Zu deren Treffen kam in der vergangenen Woche auch Dmytro Mamaiev. Er ist Internationaler Sekretär der SD-Plattform. Ursprünglich stammt er aus Rowenky, einer 45.000 Einwohner*innen zählenden Stadt südlich von Luhansk in der Ostukraine. „Ich habe meine Heimat schon vor zehn Jahren verloren“, sagt er im Gespräch mit dem „vorwärts“. Derzeit ist er Doktorand am Litauischen Zentrum für Sozialwissenschaften in der litauischen Hauptstadt Vilnius. 

In seiner Forschung beschäftigt er sich viel mit der Rolle von Migrant*innen und deren Integration, insbesondere mit Blick auf die Ukraine. Derzeit gebe es sieben bis neun Millionen Binnenvertriebene, referiert er. Dazu kommen mehrere Millionen Ukrainer*innen, die derzeit im Ausland leben. Nicht alle würden nach dem Ende des Krieges in ihr Land zurückkehren, glaubt Mamaiev. Dennoch sei es wichtig, Perspektiven zu schaffen. Für die Menschen und den Wiederaufbau des Landes.

Wiederaufbau könnte Jahrzehnte dauern

„Der Wiederaufbau der Ukraine wird nicht in drei Jahren beendet sein. Er wird vielleicht Jahrzehnte dauern“, so Mamaiev. Auch werde er anders als in jedem anderen Land zuvor sein. „Wir müssen unser eigenes Modell eines gerechten Wiederaufbaus finden“, sagt der ukrainische Sozialdemokrat. 

Dennoch sei es interessant, sich anzuschauen, wie der Wiederaufbau in anderen Ländern gelaufen sei. Auch deshalb lauscht er an diesem Tag den Worten von Scott Krause, der das Willy-Brandt-Forum in Unkel leitet und über die Situation in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges referiert. 

Neben Deutschland könnten auch Kroatien nach dem Ende des Jugoslawischen Bürgerkrieges und die baltischen Staaten nach ihrer Unabhängigkeit interessante Erkenntnisse zur Orientierung liefern, wie Mamaiev sagt. Schon jetzt gebe es eine breite Debatte über den Wiederaufbau des Landes, bei der jedoch soziale Themen bislang zu kurz kämen. Die SD-Plattform habe es sich daher zur Aufgabe gemacht, diese zu adressieren. Denn es gehe nicht alleine darum, die Ukraine wieder aufzubauen, sondern auch sie weiterzuentwickeln.

Traum: Eine freie, demokratische Ukraine in der EU

Dazu gehören Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungssystem ebenso wie mehr Transparenz in staatlichen Strukturen und die Bekämpfung von Korruption. „Mein Wunsch wäre eine freie, demokratische Ukraine mit hohen sozialen Standards als Mitglied der EU. Doch bis dahin gibt es für uns noch sehr viel Arbeit zu tun“, sagt Mamaiev. Die Ukraine könne gegenüber der EU gewisse Werte anbieten, müsse jedoch zugleich an ihren Stärken und Schwächen arbeiten.

Auch wenn derzeit nicht absehbar ist, wann und wie der Krieg enden könnte. Klar ist für Mamaiev: Ohne internationale Solidarität wäre die Ukraine verloren, könnte dem russischen Aggressor keinen Widerstand mehr leisten. 

Insofern blickt er mit Unverständnis auf Forderungen einzelner politischer Akteur*innen, keine Waffen mehr in die Ukraine zu liefern. „Ich kann diesen Leuten gerne eine Reise nach Luhansk organisieren, um ihnen zu zeigen, wie eine russische Version von Frieden aussieht. Das mag vielleicht zynisch klingen, aber es ist die Realität.“

Aktuell kann er ohnehin nicht in die Ukraine reisen. In diesem Fall wäre er nicht versichert und würde womöglich seinen Studentenstatus in Litauen riskieren. Sein Land vermisst er jedoch sehr. Auch wenn er im Moment nicht sagen kann, welcher Teil der Ukraine seine Heimat ist. „Wahrscheinlich das ganze Land, vielleicht am ehesten Lwiw, wo ich nach 2014 einige Jahre gelebt habe“, sagt Mamaiev.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mi., 28.08.2024 - 20:37

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Die Realität zeigt mir, daß in der Uraine alle Parteien, die sich im Dunstkreis von Sozialdemokratie definieren verboten sind; Kummunisten sowieso. Da wird ein "Sozialdemokrat" gezeigt, der sich im litauischen Exil aufhält und nun ist litauen genausowenig wie andere Länder an der Ostsee alles andere als Horte sozialdemokratischen Denkens. Also ich bin da vorsichtig mit allzuviel Nähe - vorerst. Aber beobachten sollten wir die Situation von ukrainischen Sozialdemokraten schon und wenn es berechtig ist auch unsere Solidarität zeigen.