Berlin: Wie sich ukrainische Sozialdemokrat*innen im Exil engagieren
IMAGO/snapshot
„Nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine kam ich für eine Summer School nach Berlin. Währenddessen veränderte sich die Situation in meiner Heimatstadt, sodass es zu gefährlich für mich wurde, zurückzukehren“, berichtet Anastasiia Nesterova im Gespräch mit dem „vorwärts“. Kurzerhand entschloss sie sich, in Deutschland zu bleiben. „Am Anfang kannte ich niemanden. Mein Deutsch und mein Englisch waren grauenvoll“, erzählt sie.
Arbeit im Exil fortsetzen
Nesterova blieb erst einmal mit denjenigen, die den deutsch-ukrainischen Jugendaustausch organisiert hatten, in Kontakt. Doch schon bald lernte sie noch mehr Ukrainer*innen kennen, darunter auch viele Mitglieder der SD-Plattform, einer sozialdemokratischen Nichtregierungsorganisation, die seit elf Jahren in der Ukraine tätig ist. „Wir haben uns dann zusammengetan, um unsere Arbeit in Berlin fortzusetzen“, berichtet Nesterova.
In der Ukraine begann sie vor drei Jahren, sich innerhalb der sozialdemokratischen Plattform zu engagieren. Es sei eine gute Organisation, mit vielen jungen Leuten und progressiven Ideen. „Deswegen habe ich für mich entschieden, mitzumachen“, sagt sie. In Berlin ist sie inzwischen zur Koordinatorin der Plattform gewählt worden, in einem Team von zehn Leuten. „Wir sind Geflüchtete, die versuchen, nützliche Dinge für junge ukrainische Menschen zu tun“, sagt sie zur Rolle der Plattform.
Mit Unterstützung von Jusos und Falken angekommen
Dass sie heute diese Rolle ausfüllen kann, hat aus ihrer Sicht auch mit der großen internationalen Solidarität innerhalb der Sozialdemokratie zu tun: „Als ich nach Europa kam, war ich sehr frustriert und verwirrt. Die Menschen, die mich damals unterstützt haben, kamen von den Jusos und den Falken, es waren Sozialdemokraten und Politiker. Das war so wichtig für mich. Ohne diese Unterstützung wüsste ich nicht, wie ich es geschafft hätte“ sagt Nesterova.
Auch deswegen sei es so wichtig für junge Menschen aus der Ukraine, zu wissen, dass andere Menschen in Europa um ihre Probleme wissen und sie aktiv unterstützen. In der Ukraine gebe es keine klassische sozialdemokratische Partei. Diese Rolle nehme die SD-Plattform ein. Sie ist mit Beobachterstatus Teil der Young European Socialists (YES), dem Zusammenschluss der sozialistischen und sozialdemokratischen Jugendorganisationen in Europa, und seit kurzem auch Vollmitglied des globalen Pendants IUSY. „Das war für uns ein großer Erfolg. Es hat fünf bis sieben Jahre gedauert, um IUSY-Mitglied zu werden“, sagt Nesterova.
Berliner Sektion als Musterbeispiel
Zuständig für Kontakte auf internationaler Ebene ist der Internationale Sekretär Dmytro Mamaiev, der vor allem die Berliner Sektion sehr lobt. Sie bezeichnet er als den „Idealtypen, den wir gerne überall innerhalb der EU hätten, um Schritt für Schritt weiter zu expandieren“. Ähnliche Sektionen gebe es bereits in Polen und Dänemark, erklärt er im Gespräch mit dem „vorwärts“. Allerdings sei die Kommunikation aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sehr herausfordernd. Die Plattform nutze dafür vor allem digitale Kanäle wie Zoom, Telegram oder Instagram.
Dort präsentiert auch die Berliner Sektion ihre Arbeit. So waren sie zum Beispiel beim SPE-Kongress im vergangenen Herbst in Berlin vertreten und planen bereits weitere Aktivitäten: „Wir versuchen einen Debattierclub für junge Menschen aus der Ukraine zu schaffen. Denn es ist jetzt wichtig, darüber zu sprechen, wie die Ukraine wiederaufgebaut werden kann. Das wird in den nächsten Jahrzehnten eine sehr große Aufgabe. Deswegen müssen wir herausfinden, wie eine sozialdemokratische Herangehensweise dafür aussehen könnte“, sagt Nesterova.
Erfahrungen aus Deutschland weitergeben
Zudem nehmen die Mitglieder der Plattform in Berlin an vielen Veranstaltungen von Jusos oder Falken teil. „Für uns ist es wichtig, Erfahrungen zu sammeln und zu sehen, wie es in Deutschland läuft. Diese besprechen wir dann mit Aktivisten, die noch in der Ukraine oder ebenso als Geflüchtete in anderen europäischen Ländern sind, um für unsere eigene Arbeit Schlüsse daraus zu ziehen“, sagt sie. Vor allem aber möchten sie junge Menschen aus der Ukraine erreichen, mit ihnen über gesellschaftliche Probleme, Zusammenhalt und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und der Ukraine sprechen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo